Ob es einen Grund gebe, hat jemand gefragt. Es sei nämlich ein bisserl auffällig, dass hier in letzter Zeit wenig Asphalt und viel Wald zu sehen sei. Und jetzt, heute, sei ich schon wieder im Wald. Zufall sei das keiner, oder?

Es war Sonntag. Kurz vor zehn Uhr. Wir standen auf dem Cobenzl. Rund um uns machten sich ein paar hundert Läuferinnen und Läufer bereit: In ein paar Sekunden würde der Startschuss ertönen – 500 oder 600 Menschen würden dann losrennen. Knapp die Hälfte würde 6,4 Kilometer und 290 Höhenmeter in Angriff nehmen. Die anderen würden auf 14 Kilometern 590 Höhenmeter abspulen. Ich stand auf der falschen Seite der Startlinie, bedankte mich höflich, dass mich jetzt schon der zehnte Läufer und der 25. Zuseher (stets freundlich) darauf hinwies, dass ich am falschen Ende des Korridors stünde – und nickte dem, der mich angesprochen hatte, zu: "Klar gibt es einen Grund: Im Wald laufen macht einfach mehr Spaß."

Startschuss. Die Masse setzte sich in Bewegung: Der dritte Vienna Trail Run hatte begonnen. Ich hatte meine ersten Fotos …

Foto: thomas rottenberg

Ich lief außen um den Startbereich herum, reihte mich ziemlich weit hinten ein und überlegte, ob ich mich mit der kurzen Version ("Light Trail") begnügen oder doch die längere Variante ("Classic Trail") angehen sollte: Am Freitag hatte ich mir beim Freiwasserschwimmen in der Neuen Donau auf einem Stein (oder war es eine Scherbe?) den Fuß blöd und tief aufgeschnitten. Natürlich genau dort, wo man es beim Gehen spürt. So was passiert halt. Es kann einem das Laufen aber ziemlich verleiden. Zum Start humpelte ich, ließ mir den Fuß rasch von den netten Sanis vom Grünen Kreuz nochmal einwickeln und beschloss, zumindest zu starten: Schau' ma mal – dann wer' ma sehn.

Foto: thomas rottenberg

Der "Vienna Trail Run" ist eine in meinen Augen durch und durch sympathische Veranstaltung. Den hätte ich auch als Zuseher genossen. Heuer, diesen Sonntag, fand den von Thomas Pohoralek und ein paar seiner Freunde nach dem Prinzip der kollektiven Selbstausbeutung ersonnenen und aufgezogenen Event zum dritten Mal statt. Hatte der hauptberuflich in der Chemiebranche tätige Wiener Cross-Triathlet beim ersten Mal etwa 400 Läuferinnen und Läufer durch den Wald gejagt, waren es im Vorjahr schon 100 mehr. Und heuer kamen dann noch einmal mindestens 100 dazu.

Zum einen, weil Trailrunning boomt. Zum anderen, weil es sich eben herumspricht, wenn eine Veranstaltung durch und durch passt.

Foto: thomas rottenberg

Eine kleine Compliance-Anmerkung: Ja, Thomas Pohoralek hatte mir den Startplatz beim Vienna Trail Run spendiert. Aber auch wenn ich ihn regulär gezahlt hätte, würde ich den Event genauso fein finden – und die Arbeit der Menschen, die dieses Ding vorbereiten, loben: "Manchmal beneide ich ja die Macher von Straßenläufen", hatte der Trailrunner mir verraten. Denn allein das Markieren einer Strecke auf der Straße sei um einiges einfacher als im Wald: ein paar Schilder auf der Hauptallee, ein Wendepunkt, eine Labe und ein paar Zeitmatten. Die Rettung kann sowieso überall zu- und abfahren. "Im Wald ist das alles ein bisserl komplizierter – und da haben wir noch gar nicht über Umweltschutz und andere Auflagen gesprochen." Dennoch: "Ich beneide die Kollegen, will aber nicht tauschen: Trail ist etwas komplett anderes. Und das ist auch gut so."

Foto: thomas rottenberg

Wenn wir schon über Compliance reden: Ich habe dem Frager beim Start nicht alles erzählt. Weil ich über ungelegte Eier ungern gackere. Aber: Ja, da steht noch etwas an – und als Vorgeschmack darauf durfte ich am Sonntag wieder einmal neue Schuhe ausprobieren: diese hier, den Icebug Mist 2.

Die PR-Leute der hippen Marke aus Westschweden schickten mir den superleichten, luftigen Sommerlaufschuh mit den charakteristischen (Gummi-)Spikes mit dem Rat, ihn gut einzulaufen – auf möglichst unterschiedlichem Terrain. Wofür genau, das darf ich leider noch nicht sagen – aber ich bin schon ziemlich aufgeregt.

Der Schuh selbst? 1.) Ich mochte ihn auf den ersten Blick und Tritt, 2.) waren Grip und Halt sind super, wobei ich brauche und will 3.) im Gelände so wenig Dämpfung wie möglich, denn 4.) dann spürt man bei wenig Schuh den Boden besser, und das hat 5.) in der Regel mehr Vor- als Nachteile, kann aber 6.) wehtun, wenn man eine satte Schnittwunde am Fuß spazieren läuft. Aber daran ist 7.) nicht der Schuh schuld.

Foto: thomas rottenberg

Aber zurück auf den Cobenzl: Traillaufen ist ja eigentlich eine einsame Geschichte. Genau das macht es für viele so schön. Dass sich das mit dem Gedanken eines Laufbewerbes dann nur bedingt verträgt, ist systemimmanent. Nur: Was wäre Plan B? Das Laufen im Wald verbieten, sobald dort mehr als fünf Hanseln und Hanselinen unterwegs sind? Für das Gros der Läufer steht bei solchen Events der Wettkampf ja auch gar nicht im Vordergrund: Für viele sind lockere Trailevents wie der Vienna Trail Run eine erste Möglichkeit, Waldlaufluft zu schnuppern: Dass von den knapp 500 angemeldeten Starterinnen und Startern gut 200 "nur" die kleine, die 6,4 Kilometer kurze, Runde in Angriff nehmen wollten, ist dafür bezeichnend, denn das ist "Schnuppern" – und das ist gut so. Dass es dann zumindest am Anfang der Strecke recht eng wird, ist halt so.

Foto: thomas rottenberg

Vorn, wo auch ein paar Freunde und Vereinskollegen von mir gestartet waren, wurde gerannt. Richtig schnell. Weiter hinten war es eher gemütlich. Ich bin aber ganz bewusst hinten gestartet: Ich war nicht sicher, wie sich mein Fuß benehmen würde – und wollte niemandem im Weg sein. War ich dann auch nicht: In meinem Segment gingen es alle zwar beherzt, aber doch stressfrei an. Kollegial, freundlich und amikal: Auf der Straße geht es da oft ganz anders zu. Obwohl es auch dort bei uns Hobetten und "Age-Groupern" genau um die goldene Klobürste geht.

Foto: thomas rottenberg

Es ging vom Cobenzl aus rund um den Reisenberg in Richtung Himmel und dann – hinter der Himmelwiese – bergab Richtung Kohlenbrennergraben und dann den Holzknechtsteig entlang bis zur ersten Labe beim Agnesbrünnl: Das waren gerade mal drei Kilometer – und das Feld lief rund um mich hier noch sehr dicht zusammen.

Nur: Stressen und Drängeln hätte genau gar keinen Sinn gemacht. Denn Hobbyläufer, die hier bei den ersten Bergaufpassagen schon voll aufs Gas steigen, kommen in der Regel nicht weit. Schon gar nicht im Wienerwald – denn die Intensität der Anstiege hier unterschätzt man nur allzu leicht. Gerade weil uns immer weisgemacht wird, dass "echte" Berge zumindest Dachstein- wenn nicht Glocknermassivniveau haben müssen, um als solche zu gelten. Falsch, ganz falsch. Und wer es nicht glaubt, ist gern eingeladen zu laufen. Die kleine Runde des Events reicht.

Foto: thomas rottenberg

Es gab aber noch einen zweiten Grund, dass hier keiner drängelte: Alle wussten, dass der Weg zum Agnesbrünnl nur das Vorspiel gewesen war: Wer es wirklich eilig hatte, war also beim Start schon losgeprescht – und wurde bereits jetzt, wenn er oder sie sich verrechnet hatte, ein- und überholt.

Der Weg vom Agnesbrünnl (also von der Jägerwiese) hinauf zum Hermannskogel ist dann nämlich ein Singletrail. Und richtig steil. Dass die Veranstalter aus Sicherheitsgründen hier absolutes Überholverbot verordnet hatten, war nachvollziehbar. Und da sich bis hier das Feld ohnehin nach den jeweiligen Leistungsniveaus auseinandergezogen hatte und die meisten hier auch in Schrittgeschwindigkeit verfallen wären, wenn sie freie Bahn gehabt hätten, war es für niemanden ein Problem, hier auf "Wandertag" umzuschalten: Die "Körner", die man so sparte, würde man schon noch verbrennen können. Egal, ob es von hier noch zwei oder noch zehn Kilometer sein würden.

Foto: thomas rottenberg

Vergangene Woche war ich zu zeitig hier: Die Habsburgerwarte war da noch geschlossen. Heute hätte ich rauf können. Kurz spielte ich auch mit dem Gedanken, war dann aber doch zu faul: Klar wäre das ein lustiges Bild und ein Hammerausblick gewesen – aber auch wenn ich diesen Lauf ohne Ehrgeiz lief, wollte ich doch nicht als Allerletzter im Ziel ankommen.

Also weiter. "Was is'n das heute für ein Event?", fragte die Warten-Wärterin – und war durchaus beeindruckt, als ich ihr die Eckdaten und -zahlen nannte: "Na dann, viel Spaß noch!" Danke, ebenfalls.

Foto: thomas rottenberg

Vom Aussichtsturm ging es den komfortablen, breiten Weg zurück zur Jägerwiese und zum Agnesbrünnl. Irgendwer beschwerte sich und fragte, wieso wir denn nicht über diese Route heraufgekommen wären. "Das hätte ich nämlich laufen können." Eh. Nur hätte der Weg hinunter dann wohl über einen der steilen Singletrails geführt. Ich bin hier einmal beim diesjährigen "Wings for Life Run" mit ein paar im Gelände ungeübten Läuferinnen nur runtergegangen. Schon das war nicht wirklich lustig. Die Vorstellung, da gleich ein paar Hundert Läuferinnen und Läufer den steilen Pfad runterzu …

Sagen wir es so: Ich finde es gut, dass Sportveranstaltungen ohne Sanis (und in dem Fall auch Bergrettungsleuten an der Strecke) nicht möglich sind. Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass diese Leute sich so richtig langweilen – weil sie nix zu tun haben.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem kann man nach der Jägerwiese dann eh immer wieder noch ein bisserl "trailen". Auch auf der kurzen Runde – und, wenn man will, durchaus "technisch": Die kleinen Waldwege hängen zum Teil hübsch schräg im Hang, sind schön unregelmäßig mit Wurzeln durchzogen oder sind steinig-schottrig: Da mit vollem Karacho durch- oder runterzurennen, ist für reine Straßenläuferinnen und -läufer durchaus eine Challenge. Besonders dann, wenn sie mit Straßenlaufschuhen unterwegs sind – und nicht damit rechnen, dass es vollkommen normal ist, wenn der Boden hin und wieder einfach mitgeht.

Foto: thomas rottenberg

Bei der Kreuzeichenwiese musste ich mich endgültig entscheiden: Sechs oder 14 Kilometer? Aber im Grunde hatte ich es eh schon nach den ersten paar Hundert Metern gewusst: Mein Fuß war hübsch professionell eingepackt. Ab und zu, wenn ich genau mit dem Schnitt voll drauftrat, meldete sich der eine oder andere spitze Stein in meinem Schmerzzentrum an. Aber abgesehen davon war das hier ein pipifeiner, lustiger und stressfreier Sonntagslauf mit netten und fröhlichen Leuten: 14 Kilometer also, gar keine Frage.

Nebenbei: Nach dem Lauf wurde ich Zeuge, wie sich zwei Damen beim Veranstalter bitter beschwerten: Sie seien falsch abgebogen und dadurch quasi "gezwungen" worden, weiter zu laufen als geplant. Das Umkehren, als sie den Irrtum bemerkten, hätte sie um gute Zeiten und den Spaß am Lauf gebracht.

Foto: thomas rottenberg

Nicht böse sein, aber: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Denn die Gabelung war mit mindestens drei Schildern klar gekennzeichnet. Unmittelbar vor dem Start war extra erklärt worden, wohin es links und wohin es rechts ging. Da standen auch jede Menge Streckenposten. Und wenn 500 Leute richtig abbiegen und ich als einer von zweien falsch, suche ich den Fehler eher nicht beim Veranstalter.

(Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Personen im Bild sind nicht die Falschabbiegerinnen – die sah ich erst im Ziel.)

Foto: thomas rottenberg

Das Schöne an solchen Läufen ist immer auch, dass man unterwegs nette Leute und ihre Geschichten trifft: Rene etwa. Er war längere Zeit außer Gefecht und an dem Tag das erste Mal wieder "richtig" unterwegs. "Zuerst hab ich mir das Sprunggelenk verletzt. Und dann, als der Gips weg war, kam ein Lungeninfarkt. Das hier ist mein Testlauf. Ich möchte nächste Woche beim Karwendelmarsch dabei sein." Der geht – je nachdem, wie lange man durchhält – über 35 oder 52 Kilometer und über 1.800 oder 2.200 Höhenmeter. "Ich hab schon 'Wien rundumadum' und 'Burgenland extrem' (ein 24-Stunden-Ultralauf, Anm.) gemacht – aber aufs Karwendel freue ich mich echt besonders."

Rene ist 46 Jahre alt – und wurde nicht als Ultraläufer geboren. "Ich laufe erst seit ein paar Jahren. Davor war ich anders drauf. Ganz anders."

Foto: thomas rottenberg

Der zweite Teil des Vienna Trail Runs führt im Grunde genommen einfach rund um den Kahlenberg herum. Eine schöne, komfortable Laufstrecke, mit Wald- und Wiesenelementen, ein paar kleinen, mitunter sogar kurz knackigen Anstiegen (wenn man sie denn knackig läuft), bei denen man auch einen Eindruck davon bekommt, was die Höhenstraße für Wien bedeutete, als diese noch nicht selbstverständlich war. Es geht an der Stefaniewarte vorbei und dann weiter in Richtung Krapfenwaldl.

Das Feld war hier schon weit auseinandergezogen. Die einen kämpften wirklich hart, die anderen machten einfach einen schönen Genusslauf bei Traumwetter draus. Der Vorteil, wenn man nicht auf Anschlag unterwegs ist: Man hat noch Augen für kleine Details, die einen vom Streckenrand her anlachen.

Foto: thomas rottenberg

Freilich: Für die "großen" Bilder sind dann auch jene empfänglich, die sich bei so einem Lauf voll auspowern. Egal, ob ganz vorn, in der Mitte oder hinten. Und an diesem Sonntag gab es eine Menge solcher Bilder – schlicht und einfach, weil es ein Traumsonntag war.

Foto: thomas rottenberg

Obwohl man das natürlich auch anders sehen kann: Es hat Gründe, wieso die meisten Leute ihre Longjogs im Hochsommer zeitig in der Früh beginnen. Der Vienna Trail Run aber startet um zehn. Da prügelt die Sonne am Schluss schon recht heftig auf die Stadt und die Lichtungen.

Andererseits: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Start um sieben oder acht Uhr morgens auch so viele Leute dabei sind, ist wohl eher gering.

Foto: thomas rottenberg

Und auch wenn der Vienna Trail Run zum Wiener Laufcup gehört, geht es den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern hier weniger um Platzierung, Zeit und Performance, als um das Erlebnis an sich: Wald- und Wiesenlaufen ist etwas ganz anderes als die Straßen- oder Asphaltrennerei. Egal, ob solo, für sich allein oder mit ein paar Lieblingsmenschen oder im Rahmen eines Wettkampfs.

Und während "echte" Wald-Trailer sich hier die Wettkampf-Kante geben können, können Anfänger bei solchen Events sehr gut und vor allem risikofrei Trailluft schnuppern: Verlaufen ist so gut wie unmöglich – und sollte man sich wehtun, ist auch gleich jemand da.

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Und das Schönste: Nach dem Lauf fragte mich niemand nach Zeit oder Platzierung. Diejenigen, die hier den Wettkampf gesucht hatten, hatten ihn sich geholt – aber auch alle anderen hatten bekommen, was sie sich gewünscht hatten: einen wunderschönen Start in einen wunderschönen Augustsonntag. (Thomas Rottenberg, 22.8.2018)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme am Vienna Trail Run war eine Einladung des Veranstalters. Die Schuhe wurden von Icebug zum Testlaufen zur Verfügung gestellt.

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