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Studierende in Bogotá protestieren für den Erhalt der öffentlichen Unis.

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Dabei legen sie bisweilen den Verkehr in der Stadt lahm.

Foto: Alejandro Arango Suarez

"Werden Sie die Bildung sterben lassen", steht auf den Schildern der Protestierenden: "So wie Sie uns sterben lassen?"

Seit den frühen Morgenstunden sind die Studierenden der bildenden Kunst der Universidad Nacional de Colombia auf den Beinen. Gemeinsam mit tausenden anderen ziehen sie durch die Straßen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, tanzen, singen und tragen einen langen, gelben Papierdrachen über sich her. "Hoch lebe die Universität", schreien sie. Immer wieder steigen Feuerwerke über ihnen auf. Doch plötzlich liegt Tränengas in der Luft, die Polizeieinheit Esmad will die Proteste auflösen, alle laufen. Als sie einander später wiederfinden, fragt die 18-jährige Alejandra Buitrago: "Wo ist Juan Diego?" Niemand weiß es.

Tausende streiken

Seit Anfang Oktober streiken tausende Studierende in Kolumbien. Das allein ist nichts Ungewöhnliches – die Protestkultur an den öffentlichen Unis ist stark ausgeprägt. Dieses Mal haben die Demonstrationen allerdings neue Ausmaße erreicht, erstrecken sich über das ganze Land und legen seit Wochen wiederholt den Verkehr der großen Städte lahm, um den Anliegen Gehör zu verschaffen. Auch Studierende von privaten Universitäten haben sich solidarisiert.

Grund der Aufregung ist das "systematische Aushungern der öffentlichen Universitäten", wie es seitens der Demonstranten heißt. Denn das Budget hinkt der Inflationsrate seit langem hinterher, während die Zahl der Studierenden über die Jahre stark gestiegen ist. Laut der Verwaltung der 32 öffentlichen Universitäten des Landes (Sistema Universitario Estatal, SUE) ist bereits ein Defizit von insgesamt 18,2 Billionen kolumbianischen Pesos oder rund 5,1 Milliarden Euro entstanden. Davon seien 900 Millionen Euro nötig, um die Universitäten offenhalten zu können – und ausständige Gehälter von Professoren auszuzahlen –, und 4,2 Milliarden Euro, um die Infrastruktur zu erhalten beziehungsweise zu modernisieren. Studierende im ganzen Land erzählen von baufälligen Gebäuden und fehlenden Unterrichtsmaterialien. SUE zufolge wurde der Anteil des Budgets für Hochschulbildung, der an öffentliche Institutionen vergeben wird, von 56 Prozent im Jahr 2002 auf 37 Prozent im Jahr 2016 reduziert.

"Kampf für alle"

"Die Unterfinanzierung ist untragbar", sagt die 23-jährige An drea Morales, Studierendenvertreterin des Instituts für bildende Kunst. Das Gebäude ist seit vergangenem Jahr geschlossen. Die Fakultät für Architektur hat schon länger keine eigenen Räumlichkeiten mehr. Ähnlich ist die Situa tion anderer Institute. Einer der Gründe, weshalb die Studierenden in den regelmäßig stattfindenden Versammlungen jedes Mal wiederholen, es sei egoistisch, an das verlorene Semester zu denken – schließlich ginge es um den Erhalt der öffentlichen Unis. "Es ist ein Kampf für alle", sagt Morales.

Obwohl die Studierenden auf Gewaltlosigkeit setzen, kommt es immer wieder zu Ausschreitungen – so wie an jenem Novembertag, an dem Juan Diego Páez Diaz (21) erst nach einigen Stunden wieder aufgetaucht ist. Er erzählt, er sei von der Polizei zusammengeschlagen worden. Wie viele andere junge Kolumbianer ist auch er die Gewalt leid, die Kolumbien bereits seit Jahrzehnten im Griff hat: "Als Studierende und als junge Menschen sind wir diejenigen, die dieses Land verändern." Die Proteste müssen um jeden Preis friedlich weitergeführt werden, fügt er hinzu.

Bogotás Bürgermeister Enrique Peñalosa wirft den Demonstranten unterdessen Vandalismus vor und eine massive Störung des Lebens in der Stadt. "Wir werden jedes Mal drastischer gegen jene vorgehen, die unsere Normen verletzen und Bürger mobben, die nichts mit ihren Forderungen zu tun haben", twitterte er.

Angespannte Stimmung

Die Situation ist angespannt. So würde Studierenden unterstellt, von bewaffneten linken Gruppen unterstützt zu werden, sagt Juan Carlos Rodriguez Echeverri (23), Studierendenvertreter in Bogotá: "Soziale Bewegungen in Kolumbien sind oft mit solchen Vorwürfen konfrontiert. So stigmatisiert man uns."

Die Demonstrierenden wollen weitermachen, bis sie ihre Ziele erreicht haben. Dabei berufen sie sich auf das "Ley 30" aus dem Jahr 1992 – ein dieser Tage vielzitiertes Gesetz, das den Erhalt der öffentlichen Unis festschreibt. Darin heißt es unter anderem, das Budget müsse kontinuierlich gehoben werden: auf "nicht weniger als 30 Prozent des Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts". Der Staat habe die Verantwortung, die Qualität von Bildungseinrichtungen sowie deren Autonomie zu garantieren, so das Gesetz. Schon lange werden die öffentlichen Unis vernachlässigt, sagt Morales, deren Eltern bereits an der Universidad Nacional studiert haben.

Neue Kredite

Neben der Unterfinanzierung der Unis geht es bei den Protesten zudem um die Reform des staatlichen Stipendienprogramms, die der seit August amtierende Präsident Iván Duque Mitte Oktober vorgestellt hat. Sein neues Programm nennt sich "Generación E", E für Equidad, Equipo und Excelencia, auf Deutsch Gleichheit, Gemeinschaft und Exzellenz.

Es ersetzt das Vorgängerprogramm "Ser Pilo Paga" und soll über die nächsten vier Jahre 336.000 Studierende fördern, die in der Universitätsreifeprüfung besonders gut abschneiden und aus ärmeren Familien kommen. Ein großer Kritikpunkt daran ist, dass das Programm als Kredit ausgezahlt wird. Es treibe Studie rende in die Verschuldung, sagte SUE-Präsident Jairo Miguel Torres in einer Stellungnahme. In sozialen Netzwerken hat es den Spitznamen "Generación Endeudada", verschuldete Generation, bekommen. Zudem kritisierte Torres: "Zugang zu höherer Bildung kann mit guter Qualität der öffentlichen Unis gestärkt werden." Alle verfügbaren Ressourcen sollten dort verwendet und nicht in Programme gesteckt werden, deren Vorteile zweifelhaft seien.

Tiefe Gräben

Duque hat indes mehrfach bekräftigt, er wolle an seinem Kurs festhalten. Zusätzliches Geld für die öffentlichen Universitäten stehe nicht zur Verfügung, und so sieht es derzeit nicht nach einem baldigen Kompromiss aus. Zwar war auch schon Duques Vorgänger Juan Manuel Santos an den öffentlichen Universitäten nicht besonders beliebt, doch mit der Amtsübernahme durch den rechtskonservativen Duque sind die Gräben tiefer geworden, sagt Studierendenvertreter Rodriguez Echeverri und nennt die Regierung antidemokratisch.

Seit über einem Monat wird nun gestreikt. Der Campus der Universidad Nacional de Colombia ist an manchen Tagen beinah menschenleer. Doch an diesem Tag treffen sich die Studierenden mit ihren Professoren vor dem geschlossenen Gebäude 301, dem Gebäude der bildenden Künste. An den Säulen kleben Plakate mit der Aufschrift: "Streiken heißt nicht Urlaub machen." Strategien werden besprochen und Whats app-Gruppen gegründet. In dieser Nacht bleiben die Studierenden in der Universität, um einen neuen Drachen zu basteln – für die nächste Demonstration. (Alicia Prager und Sebastian Palasser aus Bogotá, 23.11.2018)