Nur Beine schauten unter den Leinwänden hervor, die sich im Mai des Jahres 1951 über die achte und neunte Straße New Yorks sowie die Fourth Avenue bewegten. Riesige, farbstarke Abstraktionen wurden zu der heute legendären, weil bahnbrechenden Ausstellung getragen. Denn die sogenannte, von den Künstlern selbst organisierte Ninth Street Show in einem abbruchreifen Warenhaus markiert den Beginn der Nachkriegsavantgarde, bekannt als New York School.
Wer Glück hatte, diese Parade der Leinwände durch Greenwich Village zu beobachten, ja einen Blick auf die "reisenden Wunder" zu erhaschen, wie Mary Gabriel schwärmt, wurde "Zeuge von nichts weniger als der Zukunft der modernen Kunst".
Starke atmosphärische Bilder, die immer etwas ins Pathos abdriften, das ist die Tonart, die die US-Autorin und ehemalige Reuters-Journalistin Mary Gabriel in Ninth Street Women anschlägt. Ihr Buch musste jedoch geschrieben werden, um den verklärten Blick auf die jüngere amerikanische Kunstgeschichte um die weibliche Perspektive zu ergänzen.
Denn wie der Titel verrät, geht es einmal nicht um die männlichen "Genies" des abstrakten Expressionismus, sondern um die Künstlerinnen Lee Krasner, Elaine de Kooning, Grace Hartigan, Joan Mitchell und Helen Frankenthaler. Also um jene fünf Frauen der Ninth Street Show (insgesamt waren elf Künstlerinnen unter den 72 Ausstellenden), die auch international bekannt wurden.
Auch Alfredo Jarr, Direktor des Museum of Modern Art und damals die "Hand Gottes" im Hinblick auf Karrieren, kam zur Vernissage. Leo Castelli, zu jener Zeit noch ohne eigene Galerie, hatte die Schau gehängt und soll Barr später in die berühmte Cedar Bar geschleppt haben, wo eine "Liste mit Namen" entstand. Kurzum: Werke von Willem de Kooning, Jackson Pollock oder Robert Motherwell sollten sich bald in den Sammlungen der bedeutendsten Museen wiederfinden.
Die rauschhafte Aufbruchstimmung, die rund um die Ninth Street Show herrschte, stellt Gabriel an den Anfang ihres Buchs. In detaillierten, fast drehbuchhaft ausgeschmückten Episoden, die die 928 Seiten des Wälzers erklären, erzeugt sie eine Stimmung, in der zunächst alles möglich scheint. Aber nicht für alle. Umso ernüchternder wirken im Kontrast die bitteren Details. So hatten etwa auch die Village-Künstler im Vorfeld der Schau diskutiert, ob die Einbeziehung von Frauen, ihre Chancen, ernst genommen zu werden, mindern würde.
Aufbruch mit bitterer Note
Frauen, die Schulter an Schulter mit ihren männlichen Kollegen gemalt und gesoffen hatten, wurden zu Randfiguren. Gabriels These: Das geschah just in dem Moment, wo der Markt begann, die Kontrolle über die Kunstwelt zu übernehmen. Mit Blick auf noch immer herrschende Verhältnisse erscheint das einleuchtend.
Lee Krasner etwa, die später hinter dem Erfolg ihres Ehemanns Jackson Pollock verschwinden sollte, war in den 1930ern Musterschülerin Hans Hofmanns. Ihre Arbeit lobte der Professor als gut genug, um als die eines Mannes durchzugehen. Heute wäre eine solche "Anerkennung" absurd und lächerlich. Aber damals trachteten die Malerinnen danach, ihre Bilder "männlich" erscheinen zu lassen: also monumental und energetisch. "Sie ist kein Pollock!" musste sich Krasner anhören, die erst nach dessen Tod zu alter Qualität zurückfand.
Der chauvinistische Blick auf Künstlerinnen sollte sich lange nicht ändern. Unter den aufsteigenden jungen Künstlerinnen, die das Life-Magazin 1957 mit großen Fotos und wenig Zeilen vorstellte, war auch Jane Wilson: Inszeniert als eine Art Joan Crawford, hingegossen auf einer Chaiselongue, garniert mit den Worten: "Obwohl sie in New York als Model arbeitet, verbringt sie bis zu acht Stunden am Tag mit Malen." Aber man muss zugeben: Auch Pollock war 1949 von Life als Marlon-Brando-Posterboy verkauft worden.
"Role models" für heutige Künstlerinnen geben die fünf nicht ab. Für die Karriere verzichteten die abstrakten Expressionistinnen auf Kinder. Nur Grace Hartigan hatte einen Sohn, gab ihn jedoch in die Obhut der Schwiegereltern. Manche, wie de Koonings Frau Elaine, nutzten ihre Schönheit für fruchtbare Affären. Helen Frankenthaler warf man ihre Liaison mit dem doppelt so alten Kritiker Clement Greenberg vor. Für Joan Mitchell waren beide "Bitches". Einzig Hartigan schaffte es allein. Feministin war sie keine. Sie sah es so: "Nur minderwertige Talente" haben Probleme. (Anne Katrin Feßler, 8.3.2019)