Die Fotos stammen aus dem Buch "Leidenschaft", für das Gerda Reisch, Lehrerin an der Hans Radl Schule, die Kinder porträtiert hat. Die Kinder konnten selbst entscheiden, wie sie sich zeigen möchten.

Foto: Gerda Reisch
Foto: Gerda Reisch
Foto: Gerda Reisch
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Foto: Gerda Reisch

Produziert wurde eine limitierte Auflage von 500 Stück.

Foto: privat

Eigentlich fordert Karin Riebenbauer nur etwas, das für jedes andere Kind eine Selbstverständlichkeit ist: "Mein Sohn soll auch bis 18 in die Schule gehen dürfen." Die von der rot-schwarzen Vorgängerregierung ab 2017/18 verordnete "Ausbildungspflicht bis 18" gilt aber nicht für Kinder wie Anton. Denn der Neunjährige ist ein Kind mit Behinderung, und er besucht momentan die Hans-Radl-Schule in Wien-Währing. Ein Ort, an dem er und seine Eltern glücklich sind. "Diese Schule hat etwas, wo man sich gut aufgehoben fühlt", erzählt Riebenbauer.

Errichtet wurde die öffentliche Schule 1959 für Kinder mit körperlichen Behinderungen mit zweckmäßig angelegten Klassenzimmern und Tagräumen, einem Trakt für Unterwasser- und Bewegungstherapie, Aufzügen für Rollstuhlfahrer, Ärztezimmern und anderen Spezialeinrichtungen. Namensgeber war der Volksschullehrer Hans Radl (1894-1973), dem nach einer Verwundung im Ersten Weltkrieg ein Unterschenkel amputiert werden musste.

Hochindividualisiert und behindertengerecht

Heute beherbergt die Hans-Radl-Schule eine Volksschule, eine Sonderschule und eine Neue Mittelschule. Das Besondere damals wie heute ist neben dem hochindividualisierten pädagogischen Konzept die behindertengerechte Ausstattung: Einen Schularzt, einen Facharzt für Orthopädie, Sozialarbeiter, Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie gibt es ebenso vor Ort wie ein Schwimmbecken für individuelle Therapien, einen Psychomotorikraum mit Labyrinth und einen Motopädagogikraum mit Kletterwand. Zum Schulangebot gehört auch die Möglichkeit zum heilpädagogischen Voltigieren. Für die Eltern eine unglaubliche Erleichterung, so viele Therapiemöglichkeiten unter einem Dach zu haben.

Schulzeit mit verordnetem Ablaufdatum

Allerdings eben nur mit Ablaufdatum: "Anton hat höchstens noch sechs Jahre das Recht auf einen Platz im österreichischen Schulsystem, dann ist Schluss für Kinder wie ihn", kritisiert Riebenbauer. Nach Ablauf der neunjährigen Pflichtschulzeit müssen Kinder mit Behinderungen raus aus dem Schulsystem, weil es danach kaum noch integrative Bildungsangebote gibt. Zwar kann die jeweilige Schuldirektion noch ein freiwilliges zehntes Jahr erlauben. Für ein elftes und zwölftes Jahr müssen Betroffene aber beim Landesschulinspektor einen Antrag stellen. Falls der genehmigt wird, können diese zwei zusätzlichen Schuljahre nur an Sonderschulen absolviert werden.

Und dann? Wohin? Viele Kinder landen in der sogenannten Tagesstruktur, also Therapie- und Tagesheimstätten, wo sie für ein Taschengeld kleine Bastel- und sonstige Arbeiten machen. "Dabei könnten diese Kinder viel mehr", sagt Karin Riebenbauer: "Gerade für Kinder mit besonderen Bedürfnissen wären längere Lern- und Entwicklungszeiten besonders wichtig. Mein Sohn könnte vielleicht auch irgendwann lesen und schreiben lernen. Er braucht Zeit", sagt sie. "Aber laut Gesetz hat er nicht so viel Zeit, weil das elfte und zwölfte Schuljahr für Kinder mit Behinderung nicht verankert ist. Das ist einfach ungerecht." Zumal die UN-Behindertenrechtskonvention dieses Recht auf Bildung festschreibe. Darum kämpfen Karin Riebenbauer und der Elternverein der Hans-Radl-Schule wie viele andere betroffene Eltern zumindest für ein Recht auf Schule bis 18, idealerweise bis 25 auch für Kinder mit Behinderungen.

Sinnerfüllte Arbeit auch für Menschen mit Behinderung

Ihr Anliegen wird vom Behindertenanwalt Hansjörg Hofer unterstützt. Er amtiert weisungsfrei und unabhängig im Sozialministerium und sagt dem STANDARD: "Die Möglichkeit des Schulbesuchs bis zum 18. Lebensjahr muss allen Menschen mit Behinderungen offenstehen." Und er argumentiert ähnlich wie die Eltern, die sich für ihre Kinder möglichst viel Selbstständigkeit wünschen: "Die Anforderungen am Arbeitsmarkt nehmen aufgrund der technischen Entwicklungen, nicht zuletzt der zunehmenden Digitalisierung, konstant zu. Eine sinnerfüllte Arbeit setzt daher die bestmögliche Ausbildung voraus. Dies gilt für alle Menschen, insbesondere aber für Menschen mit Behinderungen, da sie am Arbeitsmarkt immer noch stark benachteiligt sind."

Durchmischung als Normalität

Es wäre auch in gesamtgesellschaftlichem Interesse, Menschen mit Behinderung so gut wie möglich zu befähigen, ihren Lebensunterhalt (teilweise) selbst finanzieren zu können, anstatt sie von staatlicher Unterstützung abhängig zu machen, sagt Riebenbauer. Um das zu erreichen, brauche es ein inklusives Bildungssystem: "Es müsste von Anfang an Durchmischung geben. Es sollte einfach normal sein, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder miteinander lernen."

Normalität bedeutet für Riebenbauer etwa, dass Anton, der geistige und motorische Einschränkungen hat und Epileptiker ist, zu Hause selbstverständlich auch seinen Teller selbst vom Tisch räumt wie seine siebenjährige Schwester Sofia. "Man muss die Kinder mit Behinderungen auch nicht falsch schonen", sagt sie. Gleiche Regeln – im Wissen um ihre besonderen Bedürfnisse oder auch Grenzen – seien eine Form des Respekts.

Segregation im Bildungssystem

Behindertenanwalt Hofer wünscht sich mit Blick auf das ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm, das eine "Stärkung" der Sonderschulen, aber auch eine Evaluation der Ausbildungspflicht bis 18 und der Ausbildungsgarantie bis 25 vorsehe, ebenfalls kein Nebeneinander, sondern echte Inklusion: "Das derzeitige Bildungssystem in Österreich ist noch weitgehend auf Segregation von Menschen mit Behinderungen fokussiert. Um eine inklusive Gesellschaft aufzubauen und die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, bedarf es eines inklusiven Systems vom Kindergarten bis zur Hochschule. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen müssen gemeinsam ihren Ausbildungsweg gehen können." (Lisa Nimmervoll, 29.4.2019)