Glückwunsch vom Parteichef: Werner Kogler verabschiedet Maria Vassilakou.

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Wien – Die Wiener Grünen haben Birgit Hebein als Nachfolgerin der scheidenden Vizebürgermeisterin und Stadträtin Maria Vassilakou nominiert. 438 Delegierte votierten in der Landesversammlung für die Entsendung der Noch-Gemeinderätin in die Stadtregierung. Das waren 94,19 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Die Wahl wird am Mittwoch im Gemeinderat erfolgen. Hebein ist auch designierte Spitzenkandidatin für die Wien-Wahl 2020.

Hebein nun auch Wiener Parteichefin

Bei der Landesversammlung haben die Wiener Grünen auch die Funktion des Parteichefs bzw. der Parteichefin beschlossen – die es bisher noch nicht gab. Gleichzeitig wurde Birgit Hebein, die künftige Vizebürgermeisterin und Spitzenkandidatin für die Wien-Wahl 2020 in diese Funktion berufen. Sie ist damit neue und erste Parteiobfrau der Wiener Grünen.

Spitzenkandidat und Parteichef ist jedoch nicht automatisch ein und dieselbe Person. Künftig wird nämlich vor jeder Kür eines Listenersten bei den Wiener Grünen entschieden, ob der oder die Kandidatin auch der Partei vorstehen wird. Die Funktion des Landessprechers wurde gleichzeitig abgeschafft. Er wird durch einen Landesparteisekretär ersetzt, wobei vorerst der bisherige Landessprecher Peter Kristöfel interimistisch das Amt bekleidet.

Blumen, Geschenke, Liebeserklärungen: Birgit Hebein (li.) wurde mit 94,19 Prozent als Nachfolgerin von Maria Vassilakou nominiert.
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Hebein verschrieb sich in ihrer Rede dem Kampf gegen die Klimakrise, sie bedankte sich aber auch bei ihrer Vorgängerin. "Maria Vassilakou hat genau das getan, was Politik tun muss, nämlich das Leben der Menschen so zu gestalten, dass es auch möglich ist. Sie hat es getan mit enormen Widerständen von allen Parteien, sie hat Stand gehalten", sagte Hebein. Auch die Frage, was der größte Unterschied zwischen Vassilakou und ihr sei, beantwortete sie: "Du hast vor neun Jahren bei Null begonnen. Ich habe jetzt definitiv das Privileg, dass ich auf deinen Erfahrungen aufbauen kann. Ich danke dir von Herzen."

Sie trete "nicht um des Amtes willen" als Vizebürgermeisterin an, betonte sie, sondern "weil es um unsere Zukunft geht, weil ich etwas beitragen möchte". Sie habe zwei Ziele: "Ich will Wien zur ersten Stadt machen, wo es keine Kinderarmut mehr gibt und ich will Wien zur ersten Klimahauptstadt Europas machen."

Mit dem Taxi zur Versammlung

Es gehe nicht darum, dass die einzelnen Menschen die gesamte Verantwortung übernehmen: "Auch ich bin nicht perfekt und ich will es gar nicht werden", sagte Hebein, die etwa verriet, dass sie mit dem Taxi zur Landesversammlung kam, weil sie zu nervös gewesen sei, um mit dem Rad zu fahren. "Sondern wir kämpfen gegen eine Politik, die ganz selbstverständlich einen Tunnel durch ein Naturschutzgebiet bauen will und wir stehen heute hier und sagen, sicher nicht mit uns", übte sie etwa scharfe Kritik am Projekt des roten Koalitionspartners, dem Lobautunnel.

"Keines unserer Kinder wird fragen, warum wir Milliarden in ein Klimarettungspaket gesteckt haben, sie werden uns fragen, verdammt noch mal, warum habt ihr es nicht gemacht", plädierte sie dafür, auch Schulden für den Klimaschutz in Kauf zu nehmen. "Niemand hat etwas davon, wenn die Menschheit mit einem Nulldefizit untergehen wird."

Das Rote Wien habe die Antworten auf die sozialen Krisen des 20. Jahrhunderts gehabt. "Das Grüne Wien muss die Antworten auf die Klimakrise im 21. Jahrhundert finden. Helft mir dabei", appellierte sie an ihre Parteifreunde. Das Ziel für die kommenden Wahlen steckte sie hoch: So viele Menschen wie noch nie hätten in Wien zuletzt Grün gewählt, verwies sie auf die EU-Wahl. "Wir haben 20 Prozent erhalten, das ist eine Vorgabe, liebe Leute."

Liebeserklärung

Vassilakou hat bei der Versammlung ihre Abschiedsrede gehalten. "Ich liebe euch, danke! Es waren großartige lange, lange Jahre"", resümierte sie ihre Zeit in der Stadtpolitik. Wobei sie keine "eitle Leistungsbilanz" ziehen wolle, wie sie betonte. Stattdessen gab es Danksagungen an die Weggefährtinnen und Weggefährten.

"An Tagen wie diesen und eigentlich in den letzten Wochen lässt man sehr viel Revue passieren. Schon eigentlich unglaublich, aber wahr: 24 Jahre meines Lebens. Ich bin 1996 Gemeinderätin geworden", schilderte die gebürtige Griechin – die bereits 1993 bei der Partei angedockt ist – ihren Werdegang. "Ordentlich mehr als die Hälfte meines Lebens", habe sie bei den Grünen verbracht.

Bei Pilz' Piranhas

"Da durchwühlt man dann sein Archiv und glaubt mir, ich habe ein Archiv", versicherte sie. Mit dabei hatte sie etwa ihrer erste handgeschriebene Rede aus dem Herbst 1995, mit der sie sich um ein Mandat beworben hat. "Ich erinnere mich auch noch an die Zeit, wie ich zu Peter Pilz gebracht wurde zum Kennenlerntermin und da staunte ich nicht schlecht über das Aquarium, wo er Piranhas hielt."

Manchmal, so verhehlte sie nicht, würden einem die Trümmer um die Ohren fliegen. Woher sie die Kraft in heftigen Zeiten nehme? "Ich war nie alleine, man hat an mich geglaubt." Die Grünen hätten ihr die Möglichkeit geschenkt, die Stadt zu verändern. Wobei sie betonte, dass sie Mitstreitern Gesicht und Stimme gegeben habe, die selber oft maßgeblich an der Umsetzung von Vorhaben beteiligt gewesen wären. "Die Mariahilfer Straße ist unser aller Projekt", meinte sie etwa.

"Just around the corner"

Wien sei eine Stadt der Solidarität und des Respekts, zeigte sich Vassilakou überzeugt – wobei sie auf die von der Zivilgesellschaft initiierte Bewachung und die Instandsetzung jener Porträts von NS-Opfern verwies, die vor einigen Wochen beschädigt worden waren: "So was kann man um alle Oligarchengelder der Welt nicht kaufen, so etwa kann man weder herbeibeten noch herbeisegnen."

Es seien die Grünen, die darauf achten würden, dass Menschenrechte und Grundrechte nicht verhandelbar seien. "Bleibt genauso wie ihr seid, bleibt voller Ideen für die Zukunft", appellierte sie an die Anwesenden. Und sie versicherte: "Wenn ihr Trost und Rat braucht, ich bin just around the corner." Die Rede wurde immer wieder von Zwischenapplaus unterbrochen – und zum Ende gab es erneut Standing Ovations für die scheidende Vizebürgermeisterin.

Kogler und die Demut

Der Bundessprecher der Grünen, Werner Kogler, appellierte am Samstag, trotz des "überraschend guten" Ergebnisses bei der EU-Wahl "auf dem Boden" zu bleiben. Nach so einem Ergebnis sei klar: "Demut ist immer besser als Hochmut."

"Aber möglicherweise sind wir dabei, die größte Comeback-Geschichte der europäischen Grünen zu schreiben", befand Kogler. Er erinnerte an die Mariahilfer Straße – und die negative Stimmung, die gegen das Projekt verbreitet worden sei. Letztendlich sei es geschafft worden, die Stimmung zu drehen. Auch dies sei ein Comeback gewesen, betonte er.

Kogler bedankte sich für das Engagement der Wiener Grünen bei der Europawahl. Dass er nun doch nicht ins EU-Parlament einziehe, sondern als Spitzenkandidat in die Nationalratswahl gehe, sei keine leichte Entscheidung gewesen, beteuerte er. Der Grünen-Chef kündigte eine Auseinandersetzung mit der "türkis-blauen Rasselbande" an – etwa beim Thema Kinderarmut. Die Regierung hätte viele Kinder bis zur Armutsgrenze verschoben: "Und viele auch hinuntergestoßen."

Erbost zeigte er sich einmal mehr über die Wahlkampfkosten-Überschreitungen bei der FPÖ und der ÖVP im vorigen Wahlkampf. Die Freiheitlichen hätten daraufhin befunden, das Gesetz, das die Grenze vorgebe, gehöre weg. Die ÖVP habe argumentiert, dass alle schummeln würden: "In jedem zivilisierten Land Europas müssten die auf der Stelle zurücktreten und zwar ohne Video."

Grandios gescheitert

Dass es in den Bundesländern unterschiedliche Wahlmodi bei den Grünen Listenerstellungen gibt, heißt Kogler gut – inzwischen. Ursprünglich habe er dafür plädiert, die Modalitäten zu vereinheitlichen. "Da bin ich grandios gescheitert. Und das ist gut so."

Somit würden eben demokratische Experimente stattfinden: "Ich tät auch gern mehr steuern und führen. Aber mir ist dieses demokratische System noch hundertmal lieber als was die anderen treiben in der finsteren Kammer." (APA, 22.6.2019)