Den Plan muss ich gar nicht machen, es gibt ihn schon. Die Planetary-Health-Diet wurde im Jänner veröffentlicht, 27 Forscherinnen und Forscher aus 16 Ländern haben sie entwickelt, und wenn sich die Menschen an sie hielten, retteten sie die Erde und sich selbst. Der Plan bestimmt aufs Gramm genau, wie viel wir am Tag wovon essen dürften, um die CO2-Bilanz auf dem Planeten zu reparieren und elf Millionen frühzeitige Tode zu verhindern. Wenig überraschend steht ganz oben Gemüse (300 g) und ganz weit unten Fleisch (43 g, davon höchstens 14 g rotes), oben noch Milch- (250 g) und Vollkornprodukte (230 g) sowie Früchte (200 g), ganz unten Zucker (weniger als 40 g), Fisch (28 g) und Eier (13 g).

43 Gramm Fleisch am Tag, das wären gut 15 Kilo im Jahr. Tatsächlich werden in Österreich, wie Global 2000 vorrechnet, pro Kopf 65 Kilo Fleisch verspeist: jeder/r isst im Leben durchschnittlich 1287 Tiere. Wir schlachten in Österreich 99 Millionen Tiere jährlich, um sie zu essen, und diese Tiere müssen auch erst fressen: Um ein Kilo Fleisch produzieren zu können, benötigt man zwischen drei (Huhn) und 25 (Rind) Kilo Kraftfutter, unter anderem aus importiertem Gen-Soja, für das Regenwälder abgeholzt werden.

Es gibt den Plan, es gibt den Willen, es gibt heute kein Fleisch, Baby.
Foto: Frank Robert

Und wenn mir Fleisch schmeckt?

Ich will also nicht mehr so viele Tiere essen. Ich will eigentlich gar keine Tiere mehr essen. Es spricht sehr viel dagegen, Lebewesen zu töten, damit man Spaß im Mund hat. Eigentlich alles. Dennoch ist es normal. Nicht wir Karnivoren müssen uns permanent dafür rechtfertigen, warum wir das Fleisch getöteter und gequälter Tiere essen, sondern die Vegetarierinnen und Veganer, weil sie es nicht tun und damit auch dem Klima viel weniger schaden. Das ist eine völlig verkehrte Welt, daran gibt's nix zu rütteln.

Trotzdem wird aus mir einfach keine Vegetarierin. Fleisch schmeckt mir. Muss nicht Braten oder Steak sein, nur so ein bisschen Hendlfleisch in der Suppe, im Curry oder im Caesar Salad, ein bisschen Speck in der Quiche, im Kraut und im Knödel: Es schmeckt mir mit besser als ohne. Ich habe darüber nachgedacht, warum es mir so schmeckt. Wie viel Fleisch ich als Kind so gegessen habe: nicht so viel. Fleisch, im Sinne von große Fleischstücke, war ein Luxus, das gab's am Sonntag. Unter der Woche nicht, da gab es Fleischloses oder Speisen mit etwas Fleischgeschmack: Nudeln mit Wurst, Gemüse oder dicke Suppe mit etwas Speck, ein wenig Faschiertes im Auflauf oder in der Soße, das viel billigere Leberkäsebrät in Teigverpackung. Fleisch war nicht der Star am Teller, man aromatisierte damit. Vielleicht deswegen fehlt mir, wenn ich länger darauf verzichte, weniger das Fleisch am Teller als die Wurst am Brot.

Besser als Wurstbrot

Dabei schmeckt so eine Scheibe gutes, frisches Brot, gebuttert oder behummust, belegt mit einer hauchdünn aufgeschnittenen, aromatischen Paradeiser, mit Gurke, mit Radieschen, gebratenen Pilzen oder frischem Schnittlauch genauso gut wie ein Wurstbrot, was heißt: besser. Ich habe gelesen, je öfter man etwas isst, desto besser schmeckt es einem. Ich habe es ausprobiert, und es stimmt, und deswegen gibt es jetzt oft wochenlang keine Wurst. Brauch ich nicht. Wurst ist für Würstel. Ich besorge stattdessen noch mehr Paradeiser, den bunten Biomix im Kartonschüsserl, derzeit billiger als Glashaustomaten in Plastik. Ma, was duften die, so super.

Von dem Geruch muss ich kurz das Bewusstsein verloren haben, denn ich finde mich an der Feinkosttheke wieder, wo mir eine freundliche Dame gerade ein warmes Papiersackerl überreicht, mit einer feisten Leberkässemmel darin. Ja, sorry, ist mir passiert, Unterzuckerung oder was. Ich weiß, dass der Leberkäse nicht einmal bio ist, aber manchmal will ich all das einfach vergessen. Will es nicht wissen. Nur schmecken, riechen, beißen, kauen, jetzt sofort, egal wie falsch und verlogen es ist.

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"Ich besorge noch mehr Paradeiser"
Foto: ap/reich

So verlogen wie die Sache mit dem Schnitzel, dem ich im Gasthaus nie widerstehen kann. Steht auf der Karte Wiener Schnitzel, muss ich es essen, es ist eine Art kulinarische Zwangsneurose, ich habe gelesen, Wittgenstein hatte sowas Ähnliches. Jedenfalls. In einem Gasthaus, in dem ich manchmal esse, kommt das Schnitzel vom Donaulandschwein, und ich habe mir immer vorgestellt, wie das Schwein in Donauufererde wühlte und sich im Stroh wälzte, und selbstverständlich stimmt das nicht, ich habe jetzt nachgelesen.

Dieses Etikett beschreibt nur die Herkunft, nicht die Art der Haltung. Wahrscheinlich lebte das Schwein auf einem Spaltboden aus Beton und hat nie Erde oder Stroh gesehen, wie die meisten Schweine in Österreich. Ich hab auch jahrelang das "Bauernhendl" auf dem Markt gekauft, und ich stellte mir beharrlich einen Pixiebuch-Bauernhof rund um das Hendl vor. Obwohl der Zweifel immer stärker an mir nagte, habe ich nicht nachgefragt, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Dann habe ich endlich doch gefragt: Wo kommt das Huhn her, wie hat es gelebt, wie wurde es gefüttert? Jetzt gibt es viel seltener Hendl und nicht mehr dieses. Vielleicht endlich mal Fleischersatzprodukte probieren ... (Doris Knecht, 29.6.2019)

Folge 1:

Wir brauchen viel mehr schlechtes Gewissen!