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Gewählt! Ursula von der Leyens Reaktion auf das Votum Dienstagabend im EU-Parlament.

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

"De Standaard" (Brüssel): Herz und Schatten

"Die Deutsche Ursula von der Leyen hat dann doch eine Mehrheit der Europaabgeordneten überzeugt, ihrer von den EU-Staats- und Regierungschefs eingefädelten Nominierung zuzustimmen. Von Herzen kam das nicht und der Schatten der Hinterzimmerpolitik, die dem vorausging, wird noch lange über ihrer Präsidentschaft liegen. (...) Das gebotene Spektakel wird nur wenige Europäer davon überzeugt haben, dass die Führer der EU ihre Botschaft gehört und verstanden haben. Aber es scheint keine realistische Alternative zu der mühsamen Plackerei zu geben, die europäischen Entscheidungen vorausgeht. Wir müssen mit diesem Europa zurechtkommen. Ein anderes gibt es nicht."

"Times" (London): Eine Marionette

"In ihrer Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission wird es nicht um großartige französisch-deutsche Projekte der Vergangenheit wie den Euro gehen, sondern darum, die Reihen geschlossen zu halten, während eine zerstrittene EU mit Herausforderungen wie Russland, China und der Präsidentschaft von Donald Trump konfrontiert ist. Die Tatsache, dass sie von Angela Merkel und Emmanuel Macron installiert wurde, dürfte kaum eine Quelle der Stärke sein, sondern eher das Gegenteil. Es gibt echte Zweifel, ob sie genügend politischen Charakter und Mut hat, europäische Politik zu gestalten, oder nicht einfach nur eine Marionette des französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin sein wird, die sie zu dem gemacht haben, was sie ist."

"Neue Zürcher Zeitung" (Zürich): Großes Talent

"Sie ist ein großes Talent, wenn es darum geht, Politik zu erklären, medial darzustellen und begreifbar zu machen. Davon kann Brüssel zweifellos profitieren. Auch wenn manchen ihr wie "ins Gesicht gemeißeltes Strahlen" auf die Nerven geht – vielleicht hellt es die verblassten europäischen Sterne etwas auf."

"Le Monde" (Paris): Rückkehr zum Ruhm

"Es gibt nichts, was eine politische Führungsperson, die in Ungnade zu fallen schien, daran hindert, eine unerwartete Rückkehr zum Ruhm zu genießen. Ministerin mit kritisierter Bilanz, umstrittener Redlichkeit und veränderter Popularität – diejenige, die einst als Kandidatin für die Nachfolge von (Bundeskanzlerin) Angela Merkel galt, schien auf einem Schleudersitz zu sitzen. Sie ist heute Präsidentin der Europäischen Kommission und die erste Frau, die dieses Amt innehat."

"Süddeutsche Zeitung": Bravourös gekämpft

"Ursula von der Leyen hat bravourös gekämpft, um schwankende Abgeordnete zu überzeugen. Ein Füllhorn von Versprechungen schüttete sie über diese aus. Grüner Deal. Geschlechtergerechtigkeit. Besteuerung von Digitalunternehmen. Stärkung der Arbeitnehmerrechte. Flüchtlingsrettung. Asylsystem. Harte Kante gegen rechte Europaverächter. Setzt sie künftig all dies durch, wird die EU zu einem (noch) besseren Ort werden."

"Lidove noviny" (Prag): Rationales Bollwerk

"Als Ursula von der Leyen um Unterstützung warb, erschien sie nicht als Siegerin der Wahl, sondern vielmehr als diejenige, die sich bei allen einschmeicheln muss. (...) War das nur Teil des Rituals? Oder gibt dies bereits ein Bild der künftigen Ausrichtung der EU ab? Das ist schwer zu sagen. Wer über von der Leyen nun schon den Stab bricht, sollte berücksichtigen, dass in Deutschland bald eine Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Postkommunisten regieren könnte. Daneben würde die neue EU-Kommissionschefin wie ein rationales Bollwerk gegen ein radikales Deutschland wirken."

"Corriere della Sera" (Rom): Autonomer als Vorgänger

"Ursula von der Leyen hat kein kleines Land hinter sich (...). Daraus kann sie Führungsstärke gewinnen. Sie wird möglicherweise autonomer sein als viele ihrer Vorgänger. (...) Und es darf natürlich nicht unterschätzt werden, dass erstmals eine Frau an die Spitze der Kommission gewählt wurde. Auch das wird auf jeden Fall zur Stärke beitragen."

"Magyar Nemzet" (Budapest): Völlig farblose Kommission

"Die EU in ihrer gegenwärtigen Aufstellung erlaubt auch gar nichts anderes als die Bestellung einer politisch korrekten, völlig farblosen und sterilen Kommission, mit einer Leiterin, die von Hinterzimmerdeals mehr Ahnung hat als wir, aber umso weniger die wahren Probleme kennt. (...) Ein humanistisches, der Geschlechtergleichberechtigung und der Klimapanik frönendes Europa reduziert die Bestrebungen des Kontinents auf das Niveau einer Sammlung von Gemeinplätzen, die bis 2020 längst veraltet sein wird. Nein, die Union hat keine Minute Zeit, sie kann nicht mit Reformen auf sich warten lassen. Die EU darf keine unregierbare Ansammlung von Staaten bleiben, in der wir auf jede Frage nur ausweichende Antworten geben."

"La Vanguardia" (Barcelona): EU oder Sintflut

"500 Millionen europäische Bürger erwarten Fortschritte, keine Rückschläge oder Stagnation, weil es außerhalb der Europäischen Union nur noch mächtige Blöcke gibt, die eine europäische Schwächung begrüßen würden. Es ist notwendig, die innere Einheit wiederherzustellen, die geografischen Blockaden zu beseitigen und wieder zu überzeugen: die EU oder die Sintflut."

"Tages-Anzeiger" (Zürich): Schimpfwort Kompromiss

"Umsetzen kann sie jedoch nichts, wenn Mitgliedsstaaten und EU-Parlament sie nicht unterstützen. Kompromiss scheint jedoch zum Schimpfwort zu werden. Ohne tragfähige Kompromisse droht der Stillstand und Ursula von der Leyen eine Kommissionspräsidentin ohne Macht und Kraft zu werden."

"Kommersant" (Moskau)": 200 Jahre schweigen

"Ihre damals (Anm. 2018) häufig in den Medien zitierte Formulierung, mit Moskau aus einer Position der Einheit und Stärke heraus den Dialog zu führen, hat in Russland wilde Reaktionen ausgelöst. Der Verteidigungsminister der Russischen Föderation, Sergej Schoigu, meinte damals, dass die Kollegen aus Deutschland lieber mal '200 Jahre' lang schweigen sollten. 'Vielleicht sollten sie auch einmal bei ihren Großvätern nachhorchen, was es heißt, mit Russland aus einer Position der Stärke zu sprechen. Sie können das wahrscheinlich erklären', warnte er." (red/APA)