Sebastian Kurz wirkt derzeit nicht ganz so souverän, wie er wirken möchte – und schon einmal gewirkt hat. Die Schredder-Affäre setzt ihm zu, zumindest in politisch interessierten Kreisen. Mag sein, dass das eine Geschichte für die Blase ist und die breitere Wählerschaft auf dem flachen Land gar nicht erreicht. Aber dass die Vernichtung von fünf Festplatten aus dem Kanzleramt unter Angabe eines falschen Namens ein ganz normaler Routinevorgang sein soll, wie Kurz und sein Team es der Öffentlichkeit weismachen wollen, das wird man nicht einmal in der Jungen Volkspartei widerspruchslos nachvollziehen. Da hakt es in der Argumentation.

Die türkise Mannschaft hat die Kontrolle über die Message verloren. Das passt Kurz gar nicht, er kann mit Kontrollverlust nicht umgehen. Er mag die penible Planung, die verlässliche Vorbereitung, den routinierten Auftritt, die klare Botschaft. Dass er jetzt mit einer zwielichtigen Datenvernichtungsaktion angepatzt wird, passt gar nicht in das Konzept, das er und die neue, ganz auf ihn zugeschnittene Volkspartei sich für diesen Wahlkampf zurechtgelegt haben.

Sebastian Kurz kann mit Kontrollverlust nicht umgehen.
Foto: APA/HANS PUNZ

Die Reise ins Silicon Valley ging in der Berichterstattung rund um die Festplattenvernichtung unter. Dass sich auch große deutsche Medien für die Schredder-Affäre interessieren und darüber spekulieren, wie Kurz unter Druck gerät, ärgert diesen sicher ganz besonders – auch wenn gerade diese Berichterstattung keinerlei Auswirkungen auf das Verhalten der Wählerschaft in Österreich haben wird, weil sie diese nicht erreicht. Aber er will halt gut dastehen. Nachvollziehbar.

Versuchte Einflussnahme

Auch das Buch des "Kurier"-Herausgebers tut weh. Der Autor reitet üblicherweise politisch die Wellen nach günstiger Strömungslage, war Kurz aber ein verlässlicher Feind. Helmut Brandstätter beschreibt anschaulich die versuchte Einflussnahme von Kurz-Leuten bei den Medien – und er weiß gar nicht, was wir im STANDARD schon erlebten. Dass selbst die "Kleine Zeitung" das Selbstbild von Kurz als Kanzler infrage stellt und seine Souveränität anzweifelt – wie konnte es soweit kommen? Kurz ist nicht mehr der unantastbare, der unumstrittene Superstar der Politszene. Er macht Fehler, er wirkt unsicher, die sonst so perfekte Message-Control seines Teams greift nicht mehr so effizient wie sonst. Mag sein, dass das nur den Politik-Aficionados auffällt und es an der Stammwählerschaft abprallt. Aber dass er nicht übers Wasser gehen kann, ist mittlerweile auch manchem Anhänger aufgefallen – trotz gemeinsamer Gebete.

Derzeit stottert der türkise Apparat. Für Kurz muss das ein Warnsignal sein: Seine Wiederwahl, bei der er alle Gegner in Grund und Boden fährt – nichts anderes war die Ausgangslage -, scheint nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor ein paar Wochen.

Dass die SPÖ und Pamela Rendi-Wagner den Misstrauensantrag mittrugen und Kurz erst einmal stürzten, erscheint aus heutiger Sicht logisch. Damals hielten das viele politische Beobachter für Harakiri. Rendi werde an der Souveränität von Kurz zerschellen, lautete die Analyse in vielen Medien. Derzeit schaut es nicht danach aus. Jedenfalls nicht so dramatisch. Gerade Kanzlerin Brigitte Bierlein und ihr Team haben gezeigt, wie angenehm und sympathisch eine Regierung sein kann, der es weniger um Selbstdarstellung und Inszenierung geht. Für Kurz wird es mit jedem Tag schwieriger, eine breite Mehrheit von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen. (Michael Völker, 24.7.2019)