"Wenn man mehr von der Emotion eines Ortes mitbekommt, kann man sie als Geschenk mitnehmen – und braucht nicht das Produkt, das dahintersteckt."

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Zuletzt erschien von Christian Mikunda das Buch "Hypnoästhetik – Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektur", Econ-Verlag 2018.

Wie werden wir in Zukunft einkaufen? Wird der stationäre Handel neben dem boomenden Shopping übers Internet bestehen? Er wird – sagt der Wiener Autor, Berater und strategische Dramaturg Christian Mikunda. Denn der Mensch wolle nicht nur die Produkte, sondern auch ein emotionales Extra beim Einkaufen – und das gewinne an Bedeutung. Das Luxussegment sei hier wegweisend, indem es Waren beispielsweise wie Kunstwerke inszeniert. Die Gefahr, dass wir durch ausgeklügelte Shopping-Dramaturgie mehr kaufen, als wir rational brauchen, sieht Mikunda nicht: Wenn man die Emotion eines Ortes als Geschenk mitnimmt, brauche man das Produkt nicht mehr unbedingt.

STANDARD: Bei der Zukunft des Einkaufens denken viele Menschen heute an Bots, denen sie ihre Einkaufslisten diktieren – oder an Kühlschränke, die Essen automatisch nachbestellen. Warum sollte in Zukunft noch jemand ein Geschäft betreten?

Mikunda: Weil der Mensch das Bedürfnis hat, sich ein emotionales Extra abzuholen. Wir arbeiten im Moment viel in Südkorea, wo die Shops und Lokale knallvoll mit jungen Menschen sind. Die schauen zwar ununterbrochen in ihr Smartphone, aber gleichzeitig haben sie verstanden, dass es so etwas wie das reale Leben gibt und dass dieses emotionale Geschenk etwas wert ist. Früher hat man gesagt: Wer nicht lächeln kann, der soll kein Geschäft aufmachen. Das gilt immer noch. Ein Lächeln als etwas, das man dazugibt, ein kleines emotionales Erlebnis, das die Menschen international wiederentdeckt haben.

STANDARD: In Südkorea findet also die Zukunft des Einkaufens statt?

Mikunda: Dort passieren spannende Dinge. Etwa das sogenannte Art Priming: Das ist eine Erlebnisform, bei der die kulturelle Dimension in der Warenwelt hervorgekitzelt wird. Gentle Monster, eine südkoreanische Brillenmarke, ist wahrscheinlich Weltmarktführer mit dieser Methode. Die haben Läden, die inszeniert sind wie verrückte Galerien. Einen ihrer Läden betritt man quasi durch ein altes Schiffswrack, dann kommt man in einen Raum, in dem ein Baum horizontal durch eine Wand geschlagen wurde. Im nächsten Raum fährt rund ein Dutzend Säulen mit den Brillen hydraulisch hinauf und hinunter. Dadurch bekommt man das Gefühl, dass diese Sonnenbrillen Kunstwerke sind. Die hat jemand gestaltet. Man ist emotional so aufgeladen, dass man sich kaum zurückhalten kann, nicht eine dieser Brillen zu kaufen. Das ist eine Methode, mit der in Österreich etwa Swarovski arbeitet. Im Kristallweltenshop auf der Kärntner Straße gibt es derzeit eine Installation der niederländischen Künstlerin und Modeschöpferin Iris van Herpen. Da schweben mysteriöse Puppen durch die Luft, ein riesiger Kopf träumt auf einer Spiegelfläche. Die Touristen bleiben stehen und machen ein Selfie – auch wenn sie sich nicht für Kunst interessieren. Das ist der Instagram-Moment, den man heute in den Läden zu inszenieren versucht.

STANDARD: Abgesehen von Geschäften, die Mode und Luxusaccessoires verkaufen: Wie wird in Zukunft der stationäre Handel mit Lebensmitteln, Toilettenpapier und Katzenfutter funktionieren?

Mikunda: Priming, diese Methode des vorinszenierten Erlebnisses, ist inzwischen auch in den Supermärkten angekommen. In Asien legt man große Holzstücke in die Warenträger von Pilzen oder Kartoffeln, um das Erdige und Haptische der Produkte spürbar zu machen. Wir beraten auch die deutsche Lebensmittelkette Edeka; sie hat in ihren Flagshipstores einen Turm, in dem Kräuter gezüchtet werden, die man vor Ort kaufen kann. Damit kannst du herzeigen, dass du mit dem, was du verkaufst, biologisch und naturnah bist – ohne dass du es durch PR behaupten musst.

STANDARD: Klingt nach Greenwashing.

Mikunda: Nein, es sollte bei Inszenierungen immer darum gehen, die Wahrheit an einem Element herauszubringen. Die angesprochenen Kräuter sind ja real und wachsen vor einem. Im deutschen Sprachraum hört man oft, dass etwas keine Inszenierung sein darf – weil man Inszenieren mit Lügen gleichsetzt. Jeder Regisseur und jede Regisseurin am Theater wäre entsetzt, wenn man seine oder ihre Inszenierungen als Lügen bezeichnen würde. Man versucht ja durch die Inszenierung die Wahrheit des Lebens herauszubringen und die Menschen an das Leben heranzuführen. Natürlich gibt es immer die Möglichkeit, etwas zu vertuschen oder in eine andere Richtung zu lenken. Das ist aber bei jeder Art der Kommunikation der Fall.

STANDARD: Aber es ist doch ein Unterschied ist, ob man auf einer Bühne dezidiert Fiktion ansieht oder im Supermarkt ein Produkt kauft?

Mikunda: Es geht darum, die Menschen an einem Ort gut zu behandeln. Den Menschen beim Einkaufen oder Shopping Erlebnisse mitzugeben heißt auch, ihnen ein Gefühl für das Leben und den eigenen Körper zu geben. Wir sind ja nicht nur Denkmenschen. In den 1970er- und 80er-Jahren hat sich im öffentlichen Raum etwas ganz dramatisch geändert. Wenn Sie früher durch Wien gegangen sind, war das eine graue und depressive Stadt. Durch die Dramatisierung der Shops, der Hotellobbys, der Museumsatrien – denken Sie etwa ans Museumsquartier mit seinen Enzis – und viele weitere Maßnahmen ist Emotion in den öffentlichen Raum gekommen. Heute lächeln die Menschen in Wien viel eher als früher. Deswegen ist es sehr okay, wenn auch die Wirtschaft dazu beiträgt, dass es Erlebnisse in der Welt gibt. Für viele Menschen mit wenig Kaufkraft ist der Besuch im Supermarkt neben dem Fernsehen das einzige Entertainment, das sie haben können, ohne Eintritt zu bezahlen.

STANDARD: Dramaturgiekonzepte funktionieren also auch abseits des Konsums?

Mikunda: Ja, wir arbeiten beispielsweise oft an roten Fäden für Städte oder für ganze Regionen. Wir haben zum Beispiel ein Regionalkonzept für Ostbelgien gemacht. Wir beschäftigen uns auch mit Erlebnisgestaltung in Krankenhäusern und Pensionistenheimen. Dramaturgie ist überall dort gefragt, wo Erlebnisse eine Rolle spielen und wo es den Menschen gut gehen soll.

STANDARD: In Ihrem letztes Jahr erschienenen Buch "Hypnoästhetik" beschäftigten Sie sich auch mit der Strategie der Destabilisierung als Teil von Einkaufsdramaturgie. Was hat es damit auf sich?

Mikunda: Destabilization nenne ich kontrollierte Verwirrung. Hynotherapeuten setzen sie in der Kurzzeittherapie ein, wenn der Patient in Trance ist. Da stößt der Therapeut vielleicht ein Glas Wasser um und sagt: "Scheiße!" Dann erschrickt der Patient furchtbar und ist dadurch einige Sekunden lang seelisch für hypnotische Botschaften geöffnet. Auch Conchita Wurst arbeitet so: Sie hat den Kontrast von Mann und Frau als kleinen Tabubruch eingesetzt, sodass ihre Botschaften auf extreme Empfangsbereitschaft gestoßen sind. Ein großartiges Beispiel für Destabilization war vor einigen Jahren die Aktion "Stopp Bryllupet / Stop The Wedding" der Kinderrechtsorganisation Plan International: Ein junges Mädchen in Norwegen, zwölf Jahre alt, hat im Internet behauptet, dass sie ihre Hochzeit mit einem 37-jährigen Mann vorbereitet. Man sieht in ihrem Blog, wie sie Brautkleider und Ring aussucht. Die Empörung weltweit war groß, man versuchte sie zu finden, fand sie aber nicht. Am Tag der Hochzeit ging sie im Internet live, am Altar fragt der Priester sie, ob sie den Typ heiraten will. Sie schüttelt den Kopf und geht. Eine Zwölfjährige im Jemen oder in Äthiopien kann nicht Nein sagen. Aber das zwölfjährige blonde Mädchen, das deine Tochter oder Enkelin sein könnte, geht eben emotional nah.

STANDARD: Zurück zum Handel: Prognosen von Beratungsfirmen sagen, dass viele Jobs in dem Sektor verloren gehen werden. Einerseits weil mehr online gekauft wird, andererseits weil auch im stationären Handel digitalisiert wird. Sie dagegen sagen, dass Menschen in Geschäften wichtig bleiben. Warum?

Mikunda: Es gibt neben Priming und Destabilization ein weiteres hypnoästhetisches Phänomen: Attunement, also Gleichklang. Das heißt: Im Handel werden Menschen künftig nicht mehr nur aufgrund ihrer Ausbildung engagiert, sondern auch aufgrund ihrer Sozialisation zu einer Marke. Du möchtest, wenn du coole Sneaker kaufst, niemanden als Verkäufer haben, der so aussieht wie ich. Ich trage gerade ein schwarzes T-Shirt und einen schwarzen Anzug darüber. Du möchtest jemanden haben, der Bestandteil des Kultlabels ist und im Gleichklang der Marke schwingt. Dadurch entsteht soziale Ansprechbarkeit – und du schwingst mit.

STANDARD: Führt diese Inszenierung im Handel nicht auch dazu, dass wir mehr kaufen, als wir rational brauchen?

Mikunda: Ich glaube, dass Inszenierung im Handel dazu führt, dass man sich emotional mit der Warenwelt beschäftigt. Wenn man mehr von der Emotion eines Ortes mitbekommt, kann man sich diese Emotion als Geschenk mitnehmen und braucht dazu nicht immer das Produkt, das dahintersteckt. Ich selbst bin ganz schwer dazu zu bringen, etwas zu kaufen. Ich habe immer dieselben Schuhe an, die ich mir alle zwei Jahre neu kaufe. Gerne kaufe ich nur Bücher und Musik. (Philip Pramer, 1.8.2019)