Mit den jüngsten Razzien rund um das blaue Casinos-Gate und dem Prüfverfahren in der türkisen Schredderaffäre geriet auch die Justiz selbst ins Gerede – vor allem wegen der Attacken von FPÖ und ÖVP. Im Interview erklärt Noch-Neos-Abgeordnete Irmgard Griss, welche Maßnahmen es bräuchte, damit derartige Vorwürfe kein Gehör mehr finden – etwa ein objektives Auswahlverfahren für den gesamten öffentlichen Dienst.

Plädiert angesichts der türkis-blauen Ausfälle gegen die Justiz für ein objektives Auswahlverfahren für Staatsdiener: Irmgard Griss.
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STANDARD: Angesichts von Casinos-Gate rund um die Bestellung des blauen Wiener Bezirksrats Peter Sidlo zum Finanzvorstand attackierte Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) die Justiz, bezeichnete die Razzia bei ihm als"Akt der Willkür". Geriet der Rechtsstaat aus Ihrer Sicht schon einmal derart unter Beschuss?

Griss: Auch wenn es nachvollziehbar sein mag, dass sich Strache angegriffen fühlt: Für einen Ex-Spitzenpolitiker sind das völlig unqualifizierte Angriffe, diese Äußerungen sind unannehmbar. Denn der österreichische Rechtsstaat garantiert eine unabhängige Justiz – also Staatsanwaltschaften, die ihre Aufgaben adäquat erfüllen, und Gerichte, denen man vertrauen kann.

STANDARD: Erinnert all das nicht an die düsteren Zeiten von Ex-FPÖ-Obmann Jörg Haider, der einst als Landeshauptmann wegen des Kärntner Ortstafelurteils den Verfassungsgerichtshof und dessen Präsidenten desavouierte?

Griss: Da gibt es zweifellos Parallelen. Aktuell ist ein erneuter Verlust an Hemmungen offensichtlich, die Institutionen des Staates aus Eigennutz zu attackieren. Haiders Motiv war der Beifall, den er von Teilen der Bevölkerung gekriegt hat. Strache will mit seinen Angriffen vergessen machen, was auf Ibiza und bei den Casinos vorgefallen ist und welche Verdachtsmomente nun im Raum stehen.

"Strache will damit vergessen machen, was auf Ibiza und bei den Casinos vorgefallen ist": Griss zu den Beschwerden des blauen Ex-Vizekanzlers.
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STANDARD: Die ÖVP von Sebastian Kurz empörte sich rund um die türkise Schredderaffäre, bei der die Justiz einen Zusammenhang mit dem Ibiza-Video nicht ausschließt, über eine Schmutzkübelkampagne. Gleicht sich die ÖVP immer mehr dem FPÖ-Stil an?

Griss: Definitiv. Da sehe ich keinen Unterschied. Denn mit dem Begriff "Schmutzkübelwahlkampf" kann ja nicht der politische Gegner gemeint sein, sondern nur die Staatsanwaltschaft, die die Angelegenheit untersucht – und damit wird so getan, als ob die sich hier von jemandem einspannen ließe. Auch das ist absolut daneben. Bei der Partei des Ex-Kanzlers, der dieses Amt erneut anstrebt, halte ich solche Anschuldigungen übrigens für noch unannehmbarer als beim politischen Mitbewerber.

STANDARD: Obwohl die Staatsanwälte vor den Razzien ihrer Berichtspflicht gegenüber den vorgesetzten Behörden nachkamen, rückte FPÖ-Chef Norbert Hofer die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in SPÖ-Nähe, das Bundeskriminalamt in ÖVP-Nähe – was ist an einer solchen Zuordnung dran?

Griss: Auch das sind natürlich Ablenkungsversuche von den aktuellen Causen. Aber dass solche Behauptungen überhaupt erhoben werden können und Gehör finden, hat natürlich seine Gründe. Nämlich, dass wir im öffentlichen Dienst bis heute kein wirklich objektives Auswahlsystem haben, mit Ausnahme der Assessment-Center für angehende Richter und Staatsanwälte und des A-Préalable im Außenministerium. Dies bedeutet leider ein Einfallstor für solche Behauptungen. Denn der gelernte Österreicher glaubt, jede Regierungspartei besetzt sämtliche frei werdenden Posten in den von ihr geführten Ministerien und nachgeordneten Behörden mit Vertrauensleuten.

STANDARD: Wie könnte man dem besser entgegentreten?

Griss: Wir brauchen endlich ein objektives Auswahlverfahren für den gesamten öffentlichen Dienst – und zwar ähnlich den Concours auf europäischer Ebene, im Zuge derer jedes Jahr festgelegt wird, wie viele Fachkräfte gebraucht werden, welche Kriterien sie erfüllen müssen, und am Schluss wird bewertet, wer von Bewerbern die höchste Punktezahl erreicht. Nur dann haben diejenigen Chancen auf einen Posten, die tatsächlich am besten abschneiden. Eine neue Regierung wäre den Bürgern ein derart nachvollziehbares Verfahren schuldig.

STANDARD: Welche Maßnahmen sind noch unabdingbar, insbesondere für die Aufklärung von Politcausen – ein weisungsunabhängiger Bundesstaatsanwalt?

Griss: Genau. Denn damit stünde nicht mehr der Justizminister an der Weisungsspitze und hätte das letzte Wort – das hat er, auch wenn es den Weisungsrat gibt. Mit einem vom Parlament ernannten Bundesstaatsanwalt und einer Amtszeit mit bis zu zwölf Jahren würde man die heiklen Causen aus dem Ministerium herauslösen und dieser Person die Staatsanwälte unterstellen. Solange es das nicht gibt, wird immer gemutmaßt werden, dass der jeweilige Minister vielleicht etwas gedreht hat bei der Einleitung oder der Einstellung von Politverfahren.

STANDARD: Wie die Neos fordern auch SPÖ und Liste Jetzt einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Bei der Nationalratswahl werden Sie zwar nicht mehr kandidieren, aber an den letzten Parlamentssitzungen vor dem Urnengang teilnehmen. Ob die derzeit empörte FPÖ und ÖVP da noch einlenken?

Griss: So optimistisch bin ich nicht. Wenn man sich nicht in Illusionen versteigt, wird es leider noch lange Jahre so sein, dass jene Parteien einem Bundesstaatsanwalt sicher nicht zustimmen, die gute Chance sehen, demnächst den Justizminister zu stellen. (Nina Weißensteiner, 23.8.2019)