Vier Racheengel in "Wut" verkünden, sie wollen Veränderung für dieses Land.

Unpop

Sie tragen Kampfmontur, Sonnenbrillen und riesige schwarze Schwingen: Vier gewaltige Racheengel verkünden, sie wollen Veränderung für dieses Land. Hinter ihnen flimmern Terror, Krieg und Tod in einer TV-Kakophonie über die Bildschirmwand. "Was uns nicht fehlt, das ist unser Gott." Da dröhnt Knockin’ on Heaven’s Door aus den Boxen, die schwarzen Flügel entschweben nach oben, hinter den vier Frauen tut sich ein Kitschparadies auf. Eine goldene Treppe führt zur goldenen Himmelspforte, umrahmt von wattig-weißen Pappmaché-Wolken, die wie kugelige Phalli aussehen. Man reibt sich die Augen: Was für ein Gott soll da bitte wohnen?

Es sind große Fragen, die die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in Wut herausschreit. Geschrieben 2015 unmittelbar nach den Anschlägen in Paris auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt, ein Text mit Furor. Jelinek lotet sprachgewaltig aus, wie man fassungslos der Gewalt gegenübersteht.

In Dornbirn zeigt das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung (Unpop) jetzt eine konzentrierte Interpretation. Unpop, von Regisseur Stephan Kasimir und Ausstatterin Caro Stark 2016 gegründet, widmet sich zeitgenössischen Stücken. In kurzer Zeit wurde das Ensemble zu einer wichtigen Stimme der Vorarlberger Theaterszene. Ob Kasimir und Stark Unpop so weiterführen können, wird aktuell verhandelt. Für 2020 stehen Produktionen und Gelder fest, doch wie es 2021 weitergeht, ist offen.

Vier Jelinek-Figuren

In Wut, ihrer siebten Produktion, schlagen sie ernste Töne an. Regisseur Kasimir inszeniert Jelineks Text schnörkellos, vertraut ganz auf die Sprache. Er stellt vier Elfriedes auf die Bühne. Zur typischen Jelinek-Haartolle tragen sie zwar Kampfmontur, doch ihre Kalaschnikows legen sie an die Rampe. In ihrem armseligen Theaterhimmel sind sie die unerbittlichen Beobachterinnen. Sie beobachten sich selbst und ihre Wut.

Durch seine konzentrierte Lesart und kluge Aufteilung der Jelinek'schen Textfläche legt Stephan Kasimir die analytisch-hinterfragende Ebene frei: Woher kommt diese Gewalt, dieser Hass, die schon in den antiken Sagen von Prometheus und Herakles ins Elend führten? Und welche Rolle spielen dabei heute Internet und Smartphone?

Kasimir kürzt Jelineks Stück radikal. In nur 80 Spielminuten fokussiert er auf die persönliche Erzählebene der Autorin. Seine vier Schauspielerinnen Christina Scherrer, Katharina Haudum, Michaela Spänle und Maria Strauss wechseln rasch die Perspektiven: Chor, Autorin, Attentäter, Beobachterin. Kasimir nimmt Jelinek beim Wort, und weil er ihren Text so pur inszeniert, ihm kaum Bilder oder Deutungen entgegensetzt, wirkt das Spiel bisweilen, als fahre es mit angezogener Handbremse.

Mächtige Flügelschwingen schweben aus dem Schnürboden herab, zu Led Zeppelins Stairway to Heaven schnallen die vier Elfriedes sie sich an. Sie sind die Wut. Sie sind die Gewalt. Sie sind der Adler, der Prometheus quält. (Julia Nehmiz, 5.9.2019)