Im Gastkommentar wirft Religionswissenschafter Ernst Fürlinger jene Fragen auf, auf die Regierungsverantwortliche nachhaltige Antworten brauchen.

Klimafurcht: Greta Thunberg steht für die Sorgen der jungen Generation.
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Jeder zukünftige Regierungsverantwortliche, egal welcher Partei, wird vor der Geschichte an folgenden Fragen gemessen werden: Haben Sie die Herausforderung, die die Klimakrise darstellt, bewältigt oder nicht? Stehen Sie für eine weitsichtige, zukunftsfähige, verantwortungsvolle Politik – oder für ein parteipolitisches Taktieren auf kurze Sicht? Im laufenden Wahlkampf erweist sich die Haltung gegenüber einer CO2-Steuer immer klarer als Scheidelinie zwischen den Parteien. Eine Bepreisung von CO2 als politisches Steuerungsinstrument auf nationaler Ebene, um einen Anreiz für die Senkung der Treibhausgasemissionen zu schaffen, wird von ÖVP, SPÖ, FPÖ derzeit abgelehnt.

Wichtiges Leitinstrument ...

Auffällig ist der Dissens in dieser Frage zu gewichtigen und klaren Stellungnahmen der Wissenschaft. So hat beispielsweise der renommierte Klimaforscher James Hansen und sein Team bereits vor Jahren einen ausreichend hohen Preis für CO2-Treibhausgasemissionen als vorrangiges und unverzichtbares Mittel bezeichnet, um die notwendige rasche Transformation bei den Investitionen, der Produktion und beim Konsum in Richtung Dekarbonisierung anzuregen, den weltweiten Kohleausstieg in die Wege zu leiten und die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien zu verbessern.

Die 2016 eingesetzte und von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz (Columbia University) und Nicholas Stern (London School of Economics) geleitete "High-Level-Commission on Carbon Prices" hat in ihrem Report einen Preis von mindestens 40 bis 80 US-Dollar pro Tonne CO2 bis 2020 vorgeschlagen, der bis 2030 auf 50 bis 100 US-Dollar steigt, um die gewünschte Lenkungswirkung zu erzielen und das Temperaturziel des Pariser Klimavertrags zu erreichen. Laut der Kommission sollten CO2-Preis-Mechanismen durch andere Maßnahmen ergänzt werden, z. B. Investitionen in den öffentlichen Verkehr, Verbesserung der Energieeffizienz und neue Regeln für Land- und Waldmanagement.

... und Koordinationssignal

Auch der Sonderbericht des Weltklimarats vom Herbst 2018 betont, dass ein hoher Preis auf CO2 zentral sei, um das 1,5-Grad-Ziel erreichen zu können, und dass eine CO2-Bepreisung durch einen Instrumentenmix ergänzt werden müsse.

Im Juli haben sowohl die Nationale Akademie der Wissenschaften in Deutschland "Leopoldina" als auch die sogenannten Wirtschaftsweisen, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, Gutachten zur Klimapolitik vorgelegt. Sie stimmen einhellig darin überein, dass ein einheitlicher Preis für Treibhausgasemissionen rasch eingeführt werden soll, der alle Sektoren umfassen sollte, von der Industrie, Energiewirtschaft, Gebäuden bis zum Verkehr etc. Für die beteiligten Wissenschafter ist dies das "wichtigste Leitinstrument für einen effektiven Klimaschutz": "Das wichtigste Koordinationssignal für einen effektiven Klimaschutz ist ein einheitlicher und wirksamer Preis für Treibhausgasemissionen. Die Politik muss dieses Signal rasch setzen, als Kernelement eines mutigen Klimaschutzpakets".

So wie schon die High-Level-Commission on Carbon Prices halten die beteiligten Experten fest, dass dieses Leitinstrument durch weitere klimapolitische Instrumente ergänzt werden sollte, u. a. Investitionen in Infrastruktur, Effizienzstandards usw. Die Einnahmen aus dem Preis für Treibhausgasemissionen sollten in die Klimapolitik reinvestiert werden, u. a. in den nachhaltigen Umbau des Verkehrssystems und in Anpassungsmaßnahmen, um das Energiesystem, die Land- und Forstwirtschaft usw. gegenüber den Folgen der Klimaerwärmung zu wappnen. Auch in Österreich haben die führenden Klimawissenschafter erst jüngst, am 9. September, in Form eines Referenzplans für den Nationalen Energie- und Klimaplan die Forderung nach einer klimagerechten ökologischen Steuerreform, einschließlich einer CO2-Steuer, erhoben.

Historische Verantwortung

Bei der Wahl sollte diese weitreichende Zukunftsfrage im Zentrum stehen. Welche Partei hat die überzeugendsten Konzepte, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen und Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu vermeiden? Wem ist zuzutrauen, den dringend anstehenden, umfassenden Transformationsschub in Richtung Nachhaltigkeit auf struktureller Ebene rasch in die Wege zu leiten – und dabei die Mehrheit der Bevölkerung auf demokratischem Weg mitzunehmen?

Wem traut man am ehesten zu, diese Verantwortung, die von einer historischen Tragweite ist, übernehmen zu können? Wer hört der Wissenschaft zu, tritt mit ihr in einen echten Dialog und transponiert deren Erkenntnisse entschlossen in zukunftsfähige Politik? Wer stellt das langfristige öffentliche Gemeinwohl, die Interessen der kommenden Generationen und der am stärksten von den Klimafolgen betroffenen Menschen über kurzfristige private, wirtschaftliche Interessen? Wer nimmt die Forderungen der jungen Menschen ernst, um deren Zukunft es geht und die seit neun Monaten jeden Freitag von den verantwortlichen Politikern ein rasches und wirksames Handeln einfordern, um die in Paris vereinbarten Ziele zu erreichen? (Ernst Fürlinger, 16.9.2019)