Als Rudi Warzwiesinger vor 30 Jahren das Tempel in der Zirkusgasse in Wien eröffnete, wirkten die weißen Wände in Kombination mit schwarzem Gestühl und zackigen New-Wave-Wandleuchten so richtig avantgardistisch, zu essen gab es sanft modernisierte Klassiker im Kanon der gerade ausgerufenen "Neuen" Wiener Küche.

Das wurde zehn Jahre später beim Umzug in die stimmungsvollen Gewölbe eines früheren Pferdestalls in einem Hinterhof der Praterstraße ebenso beibehalten wie der reduzierte Look. Auch da sah der Tempel noch frisch und munter aus – und der verwunschene Gastgarten war überhaupt einer der charmantesten der ganzen Stadt (ist er bis heute).

Seit 23 Jahren unverändert, derweil auch unter dem Neopächter Thomas Edlinger: Restaurant Tempel in der Leopoldstadt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Als Warzwiesinger sein Lokal vergangenen Sommer schloss, um sich auf die nahe Pension vorzubereiten, hatte sich so gut wie nichts verändert. So ist das eben, wenn man seinen Stil gefunden hat und ihm treu bleibt.

Seit Anfang Oktober hat mit Thomas Edlinger ein weiterer Haudegen der Wiener Gastroszene das Restaurant übernommen. Auf den ersten Blick lässt sich das nur am Präfix "Geschmacks" erkennen, das er dem Lokalnamen nun voranstellt: Die antiquiert spacigen Wandlampen sind ebenso unverändert wie die weiß eingedeckten Tische und die schmale Schank im Eingangsbereich – nur die elektrische Glastüre vom früheren Raucher- zum Nichtraucherbereich bleibt, großer Dank an unsere einzigartig prinzipienfesten Parlamentarier, nach dem dritten Anlauf nun doch offen.

Das eine oder andere Detail soll in den kommenden Wochen noch erneuert werden. Die Weinkarte aber hat mit Erneuerung eher nix am Hut.

Immerhin: Neben allerhand altertümelnden Smaragden, unreformiert südsteirischen Fruchtzuckerln und fett alkoholischen Rotwein-Cuvées lässt sich darauf auch die eine oder andere Überraschung finden.

Die außerordentlichen Rieslinge von Wagram-Winzer Clemens Strobl zum Beispiel: ganz famoser Stoff – die (eh kulant kalkulierten) 70 Euro pro Flasche muss man halt erst einmal flüssig haben.

Die kräftigen Selcharomen der paprizierten Fischsuppe sind offenbar dem geräucherten Wels zuzuschreiben, der in dicken Würfeln darin schwimmt.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Thomas Edlinger ist gebürtiger Salzburger und war bis vor ein paar Jahren Betreiber des Pan e Wien, eines zeitweilig mit zwei Hauben bewerteten Edelitalieners im Botschaftsviertel. Risotto und getrüffelte Ravioli hat er auch an der neuen Adresse im Programm, im Wesentlichen aber will nun auch er regionalen Geschmacksvorlieben huldigen.

So überrascht die paprizierte Fischsuppe (siehe Bild) mit kräftigen Selcharomen, die sind offenbar geräuchertem Wels zuzuschreiben, der in dicken Würfeln darin schwimmt. Die Knoblauchmayo, ein satter, auf getoastetem Schwarzbrot in Suppenmitte platzierter Gupf, hält aber souverän dagegen.

Trüffelmolekül

Gebackenes Trüffel-Ei ist innen weich, außen nicht ganz knusprig und bekommt Trüffelkaviar obendrauf. Warum die fragile Delikatesse nicht frisch gehobelt, sondern mittels Molekularküchen-Tricks denaturiert wird, darüber kann nur spekuliert werden – ist angesichts des Preises von 13 Euro aber nicht so schwer.

Kürbisrisotto wird, "weil es die Gäste so wollen", nur marginal bissfest serviert, dafür ist der marinierte Kürbis dazu schön knackig. Nicht anders als fantastisch gerät der gebackene Kalbskopf, ein kleiner Ziegel prachtvoll stückiger, gallertiger Herrlichkeit, in Butterschmalz zur Perfektion gebacken, mit herausragendem Erdäpfelsalat und an pikanten Eisalat gemahnender Sauce Tartare ideal komplettiert, so gut wie schon sehr lange nicht.

Waller unter einer Kartoffelkruste macht sich, wie bei dem Fisch nicht anders zu erwarten, auf eh saubere Art ziemlich breit am Gaumen – dass die dazu angekündigten Dillgurken in Wahrheit eine Art Gurkensalat mit geräuchertem Rahm (?) sind, war aber nicht ausgemacht.(Severin Corti, RONDO, 31.10.2019)

Google-Map: Aktuelle Restaurantkritiken in Wien

Lokale in Österreich: Severin Cortis Restaurantkritiken