Bei aller angeblichen Einhelligkeit in beiden Parteien über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen: In ihren separaten Statements setzten ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Grünen-Boss Werner Kogler sehr wohl einige Doppelbotschaften ab.

Im Privatleben wie in der Privatwirtschaft hört sich vertrauensbildende Rhetorik anders an als bei ÖVP-Chef Kurz und Grünen-Boss Kogler. Doch solche Regeln gelten freilich nicht für die Politik.
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Kostprobe: Schon am Sonntag erklärte Kogler nach dem einstimmigen Votum im erweiterten Bundesvorstand der Ökos: "Unsere Hand zur ÖVP ist damit ausgestreckt!" Nur wenige Sekunden später baute er aber diese Drohkulisse auf: Wenn es von Kurz, Köstinger & Co Versuche gebe, türkis-blaue Politik mit grünem Mascherl zu machen, werden die Grünen vom Verhandlungstisch aufstehen.

Im Privatleben wie in der Privatwirtschaft hört sich vertrauensbildende Rhetorik anders an. Doch solche Regeln gelten freilich nicht für die Politik. "Neu ist, dass bei der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen von beiden Seiten die Ergebnisoffenheit derart überbetont wird", bestätigt Politexperte Thomas Hofer.

Viel Wenn und Aber

Denn auch in der Rede von Kurz zu den anstehenden Regierungsgesprächen mit Grün finden sich nicht wenige Wenn-und-Aber-Sätze: Gleich zu Beginn "bedauerte" der Ex-Kanzler etwa erneut, dass sich die FPÖ "gleich nach der Wahl entschieden hat, keine Koalitionsverhandlungen führen zu wollen". Dazu lobte Kurz wortreich die Gespräche mit Blau im Herbst 2017, die man "irrsinnig zügig geführt" habe. Subtext: Exklusivrechte für die Grünen waren aus ÖVP-Sicht von Anbeginn nicht gegeben, geschweige denn, dass man nun an einen raschen Abschluss mit Kogler, Gewessler & Co glaube.

Stattdessen sprach auch Kurz – wie zuvor schon Kogler – den Worst Case schonungslos an: "Wenn es mit den Grünen nicht zu einer Einigung kommt, und wir in Regierungsverhandlungen mit einer anderen Partei eintreten müssen, ist der Prozess noch länger."

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat seine Entscheidung bekanntgegeben: Er will Regierungsverhandlungen mit den Grünen aufnehmen – auch wenn es schwierig werden kann.
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Diese Aussagen von Kurz decodiert Politologe Hofer als Signale an die türkise Klientel, denn: Nicht erst heuer, sondern schon im Wahlkampf 2017 liefen abertausende Wähler von der FPÖ zur ÖVP über. Mittlerweile, so rechnet der Experte vor, stellen in der zur 37,5 Prozent erstarkten Volkspartei die vormaligen Blau-Sympathisanten "ein Drittel" – und diese Gruppe blicke höchst skeptisch auf die anlaufenden Verhandlungen mit den Grünen. Ihnen versuche Kurz daher zu vermitteln: Er könne zwar so gut mit Neo-FPÖ-Chef Norbert Hofer, aber leider verweigere sich halt derzeit dessen Partei. Damit gelte jetzt: "Ich kann nicht anders."

Hart, aber herzlich

Neben diesem "Blaming Game" gegenüber der unwilligen FPÖ versuche Wahlgewinner Kurz mit solchen verbalen Kunstgriffen freilich auch Druck auf die Grünen aufzubauen, erklärt Experte Hofer – und zwar in diesem Sinne: "Wenn Ihr es bei den Verhandlungen zu bunt treibt, gibt es für uns noch andere Parteien, mit denen wir Gespräche aufnehmen könnten."

Grünen-Chef Kogler wiederum, so analysiert der Politologe, richte mit seinem Wording Türkis "in aller Freundlichkeit, aber in hemdsärmeliger Art" aus, dass er eine unbewegliche ÖVP nicht dulden werde. Mit seinem Verweis auf die geplatzten Verhandlungen unter Ex-ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel im Februar 2003 samt Ausblick, dass Aufstehen wieder eine Option sei, habe es Kogler auch geschafft, in seiner Partei hundertprozentigen Rückhalt für die Regierungsverhandlungen mit Kurz’ Partei zu bekommen – mehr als einst Alexander Van der Bellen, heute Bundespräsident.

Auf eine "einstimmige" Entscheidung in seiner ÖVP verwies übrigens auch Kurz am Montag. Allein: Da er parteiintern auch rund um Koalitionsverhandlungen ohnehin über ein Durchgriffsrecht verfügt, brauchte er mit der Frage kein einziges Gremium zu befassen. (Nina Weißensteiner, 11.11.2019)