Am Donnerstagabend machten Gerüchte die Runde, dass Pamela Rendi-Wagner unmittelbar vor dem Rücktritt stehe.

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Wien – Die Lage wird für Pamela Rendi-Wagner immer heikler: Indizien verdichten sich, dass die SPÖ-Chefin aus dem Amt gedrängt werden soll. Ihr Rückhalt in der Partei scheint rapide zu schwinden, am Donnerstagabend machten sogar Gerüchte die Runde, dass Rendi-Wagner unmittelbar vor dem Rücktritt stehe. Präsidiumsmitglieder schlossen ein entsprechendes Szenario nicht aus. Sprecher der Obfrau versuchten zu beruhigen: Alles "Unsinn", die Frontfrau sei entschlossen, die Partei auf Vordermann zu bringen.

ORF-Innenpolitikredakteurin Kathrin Pollak analysiert die Turbulenzen in der SPÖ.
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Fakt ist aber, dass sich Kritiker hinter den Kulissen formieren und nach Mehrheiten suchen, um den Machtwechsel durchzusetzen. Der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war die Debatte über den Sparkurs in der Bundespartei: Erst meldete sich am Donnerstagmorgen Ex-SPÖ-Chef Christian Kern mit einer geharnischten Mail zu Wort, in der er Rendi-Wagners Klage, ihr Vorgänger habe ihr einen "Rucksack an Steinen" hinterlassen, zurückwies (siehe unten). Dann wurden 23 Mitarbeiter der Bundeszentrale – per Mail – von ihrer bevorstehenden Kündigung informiert.

Kein persönliches Gespräch

Dies stieß nicht nur deshalb auf Unverständnis, weil die Information nicht in einem persönlichen Gespräch überbracht wurde – "letztklassig" finden das manche in der Partei. Die Wiener SPÖ soll auch das Angebot gemacht haben, erst alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Betroffenen bei Vorfeldorganisationen unterzubringen.

Aus der Parteizentrale heißt es hingegen, die Mails seien in Übereinkunft mit dem Betriebsrat ausgeschickt worden. Mit jedem Betroffenen werde es noch ein Gespräch geben, um zu helfen. Manche Genossen fragen sich aber, warum damit nicht längst begonnen wurde. Schon lange hätte die Parteispitze einen Sozialplan erstellen können, so die Kritik: "Der Missmut ist riesig."

In einer ganztägigen Betriebsversammlung in der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße soll am Freitag über die bevorstehenden Kündigungen beraten werden. Spätestens Montag übernächster Woche soll der Parteivorstand ein von Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch gestaltetes Sparprogramm absegnen.

Ein roter Albtraum

Auch am PR-technischen Umgang mit der Angelegenheit gibt es Kritik: Die SPÖ bestimmte wieder einmal die Schlagzeilen, obwohl zeitgleich etwa auch eine Sondersitzung zur türkis-blauen Casinos-Affäre stattfand. Angesichts des Desasters wiederholte Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl, was er bereits am Dienstag im STANDARD befand: Die SPÖ sei nicht nur nicht regierungsfähig, sondern derzeit auch nicht oppositionsfähig. Aus sozialdemokratischer Sicht sei die ganze Situation "ein Albtraum", urteilt Schnabl: "Es gibt eine spürbare Entsolidarisierung der Funktionäre auf allen Ebenen."

Ein anderer Niederösterreicher forderte am Donnerstagabend als erster namhafter Mandatar mehr oder minder direkt Rendi-Wagners Rücktritt: "Manchmal muss man zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr geht. Aus. Schluss", twitterte Andreas Kollross, Vizeklubchef im Nationalrat und Bürgermeister von Trumau.

Abrechnung am 9. Dezember

Kuriose Begleiterscheinungen: Der Tiroler Parteichef Georg Dornauer, in der Vergangenheit mit Querschüssen gegen die Parteispitze aufgefallen, will als "Soforthilfe" zugunsten der Mitarbeiter ein Monatsgehalt aus seiner Funktion als Klubchef abgeben. Dem Magazin "Profil" wurde wiederum eine Mahnung zugespielt, wonach Rendi-Wagner 16 Monate lang ihre im SPÖ-Parteistatut vorgesehene Mandatsabgabe ("Parteisteuer") schuldig geblieben sei. Die Außenstände hätten sich zwischenzeitlich auf mehr als 13.000 Euro summiert, seien aber mittlerweile beglichen worden.

Abgerechnet wird auch am 9. Dezember. An diesem Tag muss Rendi-Wagner das Sanierungskonzept für die SPÖ im Parteivorstand absegnen lassen, ihre Gegner haben aber anderes im Sinn: Sie wollen bis dahin eine breite Front schaffen, die Rendi-Wagner zum Rücktritt zwingt.

Kein logischer Nachfolger

Der Haken daran ist, dass es keinen logischen Nachfolger gibt. Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher hat womöglich in Wien zu viele Gegner. Doris Bures könnte die interimistische Anführerin spielen, ehe ein geeigneter Spitzenkandidat für die nächste Wahl aufgebaut wird, stößt aber in den Ländern auf Widerstand: Sie zählt zu der als antireformerisch verrufenen "Liesinger Partie", aus der auch Rendi-Wagners Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch stammt. Auf Peter Kaiser als Übergangschef könnten sich wohl alle einigen, doch der Kärntner Landeshauptmann wies am Donnerstagabend Gerüchte zurück, für eine Parteiübernahme zur Verfügung zu stehen. Gehandelt werden überdies der Spitzengewerkschafter Roman Hebenstreit und der Wiener Stadtrat Peter Hanke.

Die ungelöste Nachfolgefrage könnte nun darauf hinauslaufen, dass Rendi-Wagner zumindest bis zur Burgenland-Wahl im Jänner die Partei weiter führen soll. Vor allem die Wiener und die burgenländische Landesorganisation, die 2020 Landtagswahlen vor sich haben, sollen sich gegen einen sofortigen Rückzug Rendi-Wagners gestemmt haben, während die Mehrheit der allerdings weniger mächtigen Landesorganisationen hinter den Kulissen den Tag über auf einen Abgang gedrängt hatte.

Vielleicht werde es aber auch eine Lösung wie in der deutschen SPD geben, sagt ein Funktionär: Erst die Chefin abwählen, dann den Nachfolger suchen. (Gerald John, APA, 28.11.2019)

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