Verhandlungsduo Wöginger und Hebein: Dorfkindheit verbindet das politisch höchst ungleiche Paar.

Schon die Auswahl des Treffpunkts ist ein Statement. Für das Gespräch mit dem STANDARD hat sich Birgit Hebein das von der Initiative Vinzirast betriebene Lokal Mittendrin, wo ehemalige Obdachlose österreichisch-orientalische Leckereien kochen und servieren, ausgesucht. "Ein wunderbarer Ort, um einander zu begegnen", findet sie.

Sozialarbeit am Bahnhof, Lobbying für Punks, Verteidigung von Bettlern: Ihr politischen Leben lang hat sich die 52-Jährige für Menschen am Rand der Gesellschaft eingesetzt – und allergisch reagiert, wenn sie diese Arbeit durchkreuzt sah. Ein "Armutsförderungsgesetz" nannte Hebein die neue Sozialhilfe, auf die ÖVP und FPÖ die alte Mindestsicherung heruntergestutzt haben, kurz: "eine Riesensauerei".

Angesprochen darf sich jener Mann fühlen, dem sie fast täglich gegenübersitzt. August Wöginger hat die Sozialhilfe miterfunden – um, wie er selbst sagte, "die Leute aus der sozialen Hängematte zu holen". Nun soll der 45-Jährige mit einer seiner schärfsten Kritikerinnen ein ganz anderes Werk vollbringen: Der türkise Klubchef im Nationalrat und die grüne Vizebürgermeisterin Wiens leiten jenes 23-köpfige Verhandlungsteam (Auswahl siehe unten), das zu Pensionen, Pflege und anderen sozialen Fragen einen koalitionstauglichen Kompromiss sucht.

Hätte in jungen Jahren gut in Wögingers Welt gepasst, bog dann aber nach Links ab: Grüne Verhandlerin Birgit Hebein.
Foto: Heribert Corn

Kann das gutgehen? Lerne man jemanden persönlich kennen, "verändern sich die Bilder im Kopf", antwortet Hebein gerne auf diese aufgelegte Frage. Außerdem habe sie beim ersten Treffen mit Wöginger und Co keineswegs ein Kulturschock ereilt: "Meine erste Liebe ist das Dorf."

Die gebürtige Kärntnerin spielt auf eine biografische Parallele an – wobei Wögingers Innviertler Heimatort Esternberg mit seinen 2900 Einwohnern im Vergleich zur 600-Seelen-Gemeinde Feistritz an der Gail fast eine Metropole ist. Aufgewachsen ist er, der Oberösterreicher, mit vier Generationen unter einem Dach. Die Mutter war Hausfrau, der Vater Schichtarbeiter, sattelte mit dem Kauf einer Donaufähre aber auf Unternehmer um. Wöginger war noch Teenager, als er die Häuser nach Unterschriften abklapperte, um bei der Vorwahl der Jungen ÖVP auf die Liste zu kommen. Von Beginn an habe ihn die Aufgabe fasziniert, für die Leut direkt etwas tun zu können, erzählt er, und ging es auch nur um ein zerrissenes Netz auf dem Tennisplatz oder ein holpriges Stück Gehsteig.

Mit dem Traktor nach links

Hebein, der Vater Maurer, die Mutter ebenso Hausfrau, hätte einst gut in Wögingers Welt gepasst: Sie war bei der Landjugend, trug Dirndl, besitzt den Traktorführerschein, bekochte ihren Opa auf der Alm, wenn dieser Vieh hütete – und bog trotzdem nach links ab. Just eine Klosterschwester, die Religionslehrerin, ermutigte sie, die Sozialakademie zu absolvieren. Obwohl sie ihr erstes Buch erst in der Hauptschule bekam, hatte sie letztlich alle Chancen, sagt Hebein. Dass dies für alle anderen Kinder ebenso gelte, sei ihr Anspruch als Politikerin.

Auch die Erzählungen des Großvaters über den Krieg haben abgefärbt. In Wien angekommen, arbeitete sie in der Arge Wehrdienstverweigerung und beim Bahnhofsozialdienst, ehe der Aufstieg bei den Grünen begann. Noch als Berufspolitikerin habe sie bis in die Nacht telefoniert, um einzelnen Gestrauchelten zu helfen, erzählt ein Ex-Kollege: "Sie brennt so sehr dafür, dass sie Gefahr lief, selbst auszubrennen."

Hebein mache den schlimmstmöglichen Einzelfall zum Maßstab ihrer Politik, heißt es aus der SPÖ, mit der die Grünen in Wien in Koalition sind. Das ist nicht nur als Lob gemeint. Hebein hat sich gegen strengere Bedingungen für junge Sozialhilfebezieher ebenso gestemmt wie gegen das Alkoholverbot am Praterstern. Was für die SPÖ ein Mittel zur Befriedung dieses Hotspots ist, hält sie für eine reine Verdrängung des Problems.

Umkippen nach rechts

Wögingers Nachrede beim – in seinem Fall – ehemaligen Koalitionspartner kippt ins andere Extrem. Der einstige Betriebsrat beim Roten Kreuz habe sich mit Sebastian Kurz’ Übernahme der ÖVP stark gewandelt, so der rote Tenor: Heute spiele der Sozialpolitiker In- und Ausländer gegeneinander aus und verrate – Stichwort Zwölfstundentag – die Arbeitnehmer. Der Gescholtene kontert mit dem Hinweis auf Errungenschaften wie den Familienbonus, und auch die letzte Wahl bietet ein Argument: Bei den Werktätigen war die ÖVP klar die Nummer eins.

Wöginger zählt nicht zur türkisen Urtruppe um Kurz, gilt – weil eine "Idealbesetzung" für die Klubführung – aber mittlerweile als unverzichtbar. Mit seiner Mischung aus Schmäh und Bauernschläue habe er die Strenge mancher seiner Vorgänger gar nicht nötig, schwärmen ÖVPler: "Er umkreist seine Herde wie ein Hirte."

Mit Schmäh und Bauernschläue für Sebastian Kurz unverzichtbar geworden: ÖVP-Verhandler August Wöginger.
Foto: Regine Hendrich

Außerdem erreicht der volkstümliche "Gust" Anhänger, die auf slicke türkise Inszenierungen nicht ansprechen. Mit kariertem Hemd und Trachtengilet adjustiert, bringt Wöginger Landpublikum zum Johlen, mitunter mit Resonanz über die Bierzeltgrenze hinaus. Berühmt-berüchtigt ist seine Wahlkampfrede vom September in Ried im Innkreis: "Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkommen. Wer in unserem Hause schlaft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen."

Blitzt da autoritäres Gehabe auf? "Erstens war’s im Wahlkampf, zweitens hab ich dazugesagt: ,Reds mit eahna!‘", erwidert Wöginger, der sein Wesen mit einem heimatlichen Vierzeiler umschriebt: "Frisch außa, wias drin is, net kriacha am Bauch, ins Gsicht schaun und d’Händ gebn is Obaöstreicha Brauch."

"Aus Wien als Grüner heimgekommen: Familie lässt Wöginger nicht mehr ins Haus", titelte die satirische Tagespresse anlässlich der Verhandlungen, worauf ihn Hebein prompt ansprach – an Verbissenheit sollte die Koalition nicht scheitern. Aber wie steht es um die Inhalte? "Hebein hat breites Fachwissen", lobt Wöginger, ließ sich von ihrer Kritik an der Sozialhilfe neu aber nicht überzeugen: "Wenn sich mit der Mindestsicherung ein mittleres Arbeitseinkommen erreichen lässt, verstehen die Leute das nicht."

Vice versa gilt das Gleiche. Der Absturz in eine Notsituation sei schnell passiert, da müsse man sich auf das Mindeste zum Leben verlassen können, hält Hebein entgegen: "Ich ändere doch nicht meine Grundhaltung." Aber das hindere Wöginger und sie nicht daran, etwas Gemeinsames zu finden: "Und er versucht das genauso ernsthaft wie ich." (Gerald John, 13.12.2019)