Guter Ort zum Aufwärmen, auch für schwere Verhandlungen: das Kaffeehaus.

foto: regine hendrich

Wien – Wiens Kaffeehäuser, vor allem jene in Parlaments-, Rathaus- und Hofburgnähe, gelten für politische Verhandler jedweder Couleur traditionell als Ausweichquartiere und Aufwärmstuben. In letzterer Funktion diente das Café Eiles, in einem Eckhaus gleich am Beginn der Josefstädter Straße und damit unweit von besagten Prunkbauten gelegen, vor wenigen Wochen den türkis-grünen Koalitionsverhandlern der Hauptgruppe 04.

Das ist jene aus rund 20 Personen bestehende türkis-grüne Politiker- und Expertenrunde, die sich zum Umgang mit Asylwerbern und Immigranten einigen soll, ebenso zur künftigen Sicherheitspolitik in Österreich, zur Landesverteidigung sowie zur EU- und außenpolitischen Positionierung der Republik.

In der ÖVP gilt sie dem Vernehmen nach als "besonders brisant", weshalb man den Sebastian-Kurz-Vertrauten und ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer mit der Leitung beauftragt habe.

Grünen-Verhandler Rudi Anschober sorgte für das gegenseitige "Gspür" in der Gruppe.
Foto: Werner Dedl

Zwei politische Kulturen

Hauptgruppe 04 beackert ein extrem weites Feld. Eines, das noch dazu "von sehr unterschiedlichen Positionen geprägt ist, wie man aus beiden Parteiprogrammen ersehen kann", sagt Nehammer im Standard-Gespräch. Dazu sei anfangs noch gekommen, "dass sich die Gruppenteilnehmer mit nur wenigen Ausnahmen überhaupt nicht gekannt haben", ergänzt sein grünes Gruppenleitungsgegenüber, Rudi Anschober.

Tatsächlich treffen hier zwei politische Kulturen aufeinander: Insgesamt neun Frauen und mit Anschober drei Männer verhandeln in Hauptgruppe 04 für die Grünen, zwei Frauen und mit Nehammer sieben Männer für die Türkisen.

ÖAAB trifft auf Zivilgesellschaft

Auch gibt es zwischen ÖVP-Repräsentanten mit Aufstiegserfahrung in einer Parteiteilorganisation wie etwa dem Arbeitnehmerbund ÖAAB sowie Grünen, die sich ihre Sporen vielfach mit zivilgesellschaftlichem Engagement im sozialen oder im Migrationsbereich verdient haben, sonst nur wenig Berührungspunkte.

Von fremd zu fremd spricht es sich jedoch schwer: "Daher habe ich als ersten Schritt im kleinen Leitungskreis eine Einladung auf neutralen Boden ausgesprochen. Ins Café Eiles", sagt Anschober. Worum es bei diesem Beschnuppern inhaltlich ging und wie sich diese Erörterungen inzwischen weiterentwickelt haben, verrät der oberösterreichische Integrationslandesrat nicht; zu den Verhandlungsgegenständen üben sich beide Seiten in Stillschweigen.

Drei besondere Stunden

Auf alle Fälle aber wurde im Kaffeehaus ein ungewöhnlicher Hauptgruppenverhandlungsstart vereinbart: "Statt gleich mit den ersten Sachthemen zu beginnen, haben wir uns auf meinen Vorschlag hin drei Stunden Zeit genommen, um miteinander Bekanntschaft zu schließen", sagt Anschober.

Um ein "Gspür füreinander zu bekommen", brauche es das, das wisse er aus zwei schwarz-grünen Verhandlungsrunden in Oberösterreich.

ÖVP-Verhandler Karl Nehammer befürwortet eine Gesprächs-"Choreografie" vom Leichten hin zum Schweren.
Foto: APA/Schlager

Nehammer: "Gut und intensiv"

Die Sache dürfte auch in Wien geklappt haben. "Es war gut und intensiv: ein richtiges kleines Get-together", sagt ÖVP-Gruppenleiter Nehammer. Die türkisen Verhandler könnten ihr grünes Gegenüber nun weit besser einschätzen: "politisch", betont Nehammer.

Auch habe man sich auf eine "Verhandlungschoreografie" geeinigt, die wiederum Anschober im Standard-Gespräch folgendermaßen umreißt: "Angefangen haben wir dort, wo am ehesten Einverständnis zu erwarten ist." Von da aus arbeite man sich nun weiter vor – mit dem festen Willen, haltbare Kompromisse zu finden.

Europapolitisch nicht einfach

Wo aber liegen die einigungsfähigen Punkte? Etwa die EU- und Außenpolitik, wo ÖVP und Grüne erfahrungsgemäß weniger weit auseinanderliegen, als es bei Türkis und dem früheren Koalitionspartner FPÖ der Fall war? "Ganz so einfach ist es europapolitisch nicht", antwortet der grüne Anschober kryptisch auf eine diesbezügliche Frage.

Dann vielleicht die Landesverteidigung, die Nehammer mit seiner Vergangenheit als Einjährig-Freiwilliger und Milizionär wohl ein besonderes Anliegen ist? "Auch das ist ein recht schwieriges Kapitel", sagt Anschober.

Hohe Hürde Ausländerpolitik

Keinen Hehl macht er so wie Nehammer aus den besonderen Herausforderungen, die die Kapitel Asyl, Migration und Integration in den Koalitionsverhandlungen bergen. Während die ÖVP in ihrem Wahlprogramm zum Beispiel eine Ausweitung des Kopftuchverbots an Schulen fordert, wollen die Grünen ein Einwanderungsgesetz, das unter anderem Asylwerbern in Mangelberufen offensteht.

Zumindest in der Lehrlingsfrage gebe es inzwischen eine Lösung, sagt Anschober. Der Verbleib abgelehnter junger Asylwerber in Berufsausbildung bis zu deren Ende sei seit einem Beschluss des Nationalrats am Mittwoch garantiert.

Genau, bestätigt Nehammer, und die Einigung gehe auf einen ÖVP-Vorschlag zurück. Einziges Problem, so beide: "Wir haben die Lehrlingsfrage nicht als Teil der Koalitionsgespräche behandelt." (Irene Brickner, 14.12.2019)