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Gewebe kann sich neu bilden, die regenerative Medizin erforscht die Prozesse der Zellerneuerung.

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STANDARD: Sie sind plastischer Chirurg und beschäftigen sich mit Hauterneuerung. Lässt sich der Alterungsprozess aufhalten?

Kamolz: Alt werden ist keine Erkrankung, sondern ein physiologischer Prozess, also etwas, was ganz natürlich ist. Wir wissen heute auch bereits, was eine Zelle altern lässt, was man dagegen tun kann und was passiert, wenn diese Reaktion aus dem Ruder läuft. Konkret bedeutet das, dass die Zellerneuerung nicht mehr so gut funktioniert, und damit auch die betroffenen Gewebe und Organe.

STANDARD: Was genau bedeutet das?

Kamolz: Überall im Körper findet ein ständiger Zellerneuerungsprozess statt. Zellen leben eine bestimmte Zeit, dann sterben sie und werden durch neue ersetzt. Das ist in allen Organen ein immerwährender Zyklus. Wenn man jung ist, erneuern sich die Zellen schneller, im Alter dauert es länger. Das kennt auch jeder ganz intuitiv. Man erholt sich nach großen Anstrengungen weniger schnell, Wunden verheilen langsamer, vieles fällt einem nicht mehr so leicht wie in der Jugend. Das alles hat mir Zellerneuerung in den unterschiedlichen Organen zu tun.

STANDARD: Sie erforschen diesen Prozess bei Coremed, dem Zentrum für regenerative Medizin von Joanneum Research. Gibt es Faktoren, die den Alterungsprozess schneller oder langsamer machen?

Kamolz: Es sind vor allem Entzündungen, die den Alterungsprozess befeuern. Die finden überall im Körper statt, und wir versuchen gerade zu verstehen, was genau da passiert. Die Idee ist: Wenn wir diese Entzündungsprozesse verstehen, können wir sie vielleicht auch beeinflussen.

STANDARD: Was genau verstehen Sie eigentlich unter einer Entzündung?

Kamolz: Eine Entzündung ist eine Reaktion des Körpers auf schädliche Reize, die sich klassischerweise durch Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung, Überwärmung, Schmerz oder funktionelle Einschränkungen äußern. Eine sichtbare Entzündung findet beispielsweise statt, wenn man sich einen Schiefer einzieht. Der dringt unter die Haut, der Körper erkennt das und aktiviert das Immunsystem. Um diesen Schiefer wieder aus dem Körper zu bekommen, sind eine ganze Vielzahl von Zellen am Werk. Wir erforschen, was genau alles dabei passiert. Ein Schiefer verursacht sozusagen eine sichtbare Entzündung, aber es gibt auch viele unsichtbare Entzündungen.

STANDARD: Wie meinen Sie unsichtbar?

Kamolz: Grundsätzlich kann jeder Reiz eine Entzündung auslösen. Wir unterscheiden unterschiedliche Formen. Mechanische Reize etwa sind Verletzungen oder Fremdkörper, thermische Reize sind Hitze und Verbrennungen oder UV-Strahlung. Dann gibt es chemische Reize, also gesundheitsschädliche Stoffe und Substanzen. Entzündungen können auch von Viren und Bakterien verursacht werden. Es kann in sämtlichen Teilen des Körpers stattfinden, und manche Entzündungen sind, wie wir Mediziner sagen, klinisch nicht sichtbar.

STANDARD: Doch besonders Organe mit direktem Kontakt zur Außenwelt sind betroffen, also die Haut und die Lungen?

Kamolz: Genau. Die Lunge ist das Organ, das die Luft von außen aufnimmt. Doch in der Luft sind auch Reizstoffe, die in die Lungenbläschen kommen und dort Mikroentzündungen auslösen. Über die Jahre schädigen sie die Lunge. Ähnlich unsichtbare chronische Entzündungen spielen nicht nur bei der Organalterung, sondern auch bei der Hautalterung eine entscheidende Rolle. Wenn wir verstehen, wie Entzündungsprozesse ablaufen, könnten wir noch gezielter eingreifen, zum Beispiel mit Medikamenten. Das ist die Idee von regenerativer Medizin.

STANDARD: Was unterscheidet die regenerative Medizin von anderen Fachbereichen?

Kamolz: Wenn wir die Folgen der Schädigung aufheben oder deutlich reduzieren können, dann bedeutet das tatsächlich Heilung und nicht nur Reparatur. Wir arbeiten daran, dass der Körper sich quasi selbst heilt, "induzierte Autoregeneration" ist der Fachbegriff für diesen Teilbereich der Medizin. Sie steht auf vier großen Säulen.

STANDARD: Auf welchen?

Kamolz: Neben der induzierten Autoregeneration beschäftigt sich die regenerative Medizin auch noch mit dem Züchten von Geweben und Organen im Labor, auch da hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan. Die zwei weiteren Teilbereiche beschäftigen sich mit den Stammzellen, also Zellen, die sich von den normalen Zellen insofern unterscheiden, als sie sich zu unterschiedlichen Zellarten entwickeln können und damit eine Schlüsselrolle bei der Zellerneuerung spielen. Und schlussendlich ist auch die Gentherapie ein Teilbereich der regenerativen Medizin.

STANDARD: Wird in jedem Teilbereich der Medizin an regenerativen Methoden geforscht?

Kamolz: Wir nehmen an, dass sich die Zellerneuerungs- und Heilungsprozesse in den verschiedenen Organen sehr ähneln. Unser Fachgebiet ist die Haut. Sie hat aus der Forscherperspektive den Vorteil, dass sie an der Körperoberfläche liegt, damit gut sichtbar ist und wir deshalb sehr einfach beobachten können, wie Zellerneuerung dort funktioniert oder eben nicht funktioniert.

STANDARD: Was genau interessiert Sie?

Kamolz: Wundheilung. Wer sich verletzt, kann zusehen, wie der Körper die Wunde zuerst schließt und dann langsam neues Gewebe bildet. Uns interessiert, wie so ein Heilungsprozess genau abläuft, was ihn stört und welchen Einfluss die Störung auf die Heilung hat.

STANDARD: Können Sie ein konkretes Beispiel geben?

Kamolz: Wir beschäftigen uns intensiv mit Verbrennungen. Feuer zerstört Hautzellen, aber es kommt maßgeblich darauf an, wie tief unter die Haut eine Verbrennung geht. Das ist entscheidend dafür, ob eine Verbrennung von alleine und ohne Narben heilt oder ob wir operieren müssen. Wir haben auch herausgefunden, dass eine Verbrennung sogar nach dem Ereignis selbst noch weitergehen kann. Also dass die kaputten Hautzellen der oberen Schichten die unteren auch Tage nach der Verbrennung noch weiter schädigen können. Das nennen wir Nachbrennen. Infektionen und Entzündungen spielen auch hierbei eine entscheidende Rolle.

STANDARD: Wenn der Zellerneuerungsprozess in der Haut nicht gut läuft, bilden sich Narben, oder?

Kamolz: Genau, deshalb entwickeln wir zum Beispiel Verbände, die die Haut sozusagen in der Heilung unterstützen und das Infektionsrisiko reduzieren. Auch die Narbenbildung interessiert uns.

STANDARD: Warum die Narbenbildung?

Kamolz: Wenn sich eine Wunde schließt, wird neues Gewebe gebildet. Bei tiefen Wunden entstehen Narben. Narben sind allerdings ein minderwertiges, faserreiches Ersatzgewebe, das häufig nicht nur unschön ist, sondern auch nicht so gut funktioniert wie unverletztes Gewebe. Vernarbungen können nicht nur in der Haut, sondern auch in den Organen auftreten, am Herzen nach einem Infarkt zum Beispiel. In der Haut sind sie dann besonders sichtbar, wenn die Wundheilung aufgrund einer Entzündung länger gedauert hat oder der Körper den Zellerneuerungsprozess nicht rechtzeitig gestoppt und deshalb mehr Gewebe als notwendig gebildet hat. Wir nennen das eine hypertrophe Narbenbildung, also eine übersteigerte, übermäßige Gewebebildung.

STANDARD: Und was ist die Erkenntnis daraus?

Kamolz: Hypertrophe Narbenbildung der Haut ist ein Phänomen, das wir besonders bei jungen Menschen beobachten, und zwar dann, wenn Entzündungen dazukommen und die Wundheilung länger dauert und überschießend wird. Bei älteren Menschen ist in den Organen ein ähnliches Phänomen der Narbenbildung zu beobachten. Es sind die Organfibrosen.

STANDARD: Was haben Narbenbildung der Haut und Organfibrose gemeinsam?

Kamolz: Bei beiden Reaktionen spielen Entzündungsprozesse eine Schlüsselrolle. Bei beiden kommt es zu einer krankhaften Vermehrung des Bindegewebes. Bei vielen Organfibrosen spielen allerdings chronisch entzündliche Vorgänge eine vorrangige Rolle. Das ist etwas Gemeinsames, und deshalb ist die Erforschung von Entzündungsprozessen auch so essenziell. Wenn wir Entzündungsprozesse genau verstehen, verstehen wir auch, was bei der Narbenbildung und bei der Alterung passiert und wie wir sie aufhalten können. (Karin Pollack, 6.1.2020)