Immer wieder kommt es im Rahmen von Polizeieinsätzen bei Protesten und Demonstrationen zu gewaltvollen Zwischenfällen. Zuletzt schockierten Videos von polizeilichen Amtshandlungen bei der Auflösung einer Sitzblockade am Rande einer Klimademo. Gegen acht Beamte laufen deshalb derzeit strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Der nächste Großeinsatz steht am Freitag mit den Protesten gegen den Akademikerball bevor. Im Zuge dieser Proteste kam es immer wieder zu Ausschreitungen, die Polizei reagierte darauf zumeist mit repressiven Maßnahmen. Auch heuer gibt es eine großangelegte Sperrzone rund um den Veranstaltungsort Hofburg.

STANDARD: Mehrere polizeiliche Amtshandlungen im Rahmen einer Klimademo wurden kürzlich als rechtswidrig eingestuft. Sie vertraten zwei Beschwerdeführer vor Gericht. Hat die Polizei ein Gewaltproblem?

Clemens Lahner: Die meisten machen einen anständigen Job. Von Montag bis Donnerstag macht einer gute Arbeit, am Freitag ist er vielleicht überfordert. Überall dort, wo Menschen arbeiten, können Fehler passieren. Aber wenn ein Polizist einen Fehler macht, wird's dramatisch. Er hat das Gewaltmonopol inne, trägt Uniform und Waffe.

STANDARD: Wie geht die Polizei mit Fehlern um?

Lahner: Ich sehe ein Problem darin, dass die Polizei dort, wo Kritik geübt wird, nicht die Gelegenheit erkennt, etwas zu verbessern. Sondern dass ein reflexartiger Schulterschluss vollzogen wird. Dass sich sofort hochrangige Beamte hinstellen und sagen: Die Vorwürfe sind falsch. Als Betroffener kann man nur durch eine Maßnahmenbeschwerde erreichen, dass Behauptungen in einem gerichtlichen Verfahren widerlegt werden. Nur dann werden Fehler eingestanden und es heißt: Ja, das müssen wir jetzt evaluieren.

STANDARD: Wann geht die Polizei zu weit?

Lahner: Jede Befugnis, die die Polizei hat, muss sie mit Fingerspitzengefühl durchsetzen. Es gibt Fälle, in denen die Polizei von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen muss, manchmal sogar mit dem Ziel, Menschen zu töten. Aber nur dann, wenn nichts anderes hilft. Wenn Pfefferspray ausreicht, darf ein Polizist nicht schießen. Wenn ein Schubser reicht, keinen Spray verwenden, und wenn ein strenges Wort genügt, nicht einmal schubsen.

STANDARD: Waren Sie überrascht, dass das Gericht die Amtshandlungen bei der Klimademo für rechtswidrig erklärt hat?

Lahner: Ich bringe Beschwerden ein, wo ich optimistisch bin, dass wir gewinnen können. Es kommt vor, dass ich Mandantinnen und Mandanten sagen muss: Ja, ich sehe eine bestimmte Amtshandlung auch als Gesetzesbruch an, aber ich glaube nicht, dass wir gewinnen werden. Wenn vor Gericht Aussage gegen Aussage steht, ist die Frage: Wem glaubt das Gericht mehr? Richter gehen in der Regel schon davon aus, dass Polizistinnen und Polizisten normalerweise keinen Grund haben, überschießende Gewalt anzuwenden, Leute ohne Grund festzunehmen oder vor Gericht zu lügen.

Polizistinnen und Polizisten werde in der Regel vor Gericht geglaubt, sagt Rechtsanwalt Lahner.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Das klingt nicht gerade fair.

Lahner: Ich verstehe ein Stück weit, wenn eine Richterin sagt: Die Polizistin hat einen Eid abgelegt, wieso soll mich die anlügen? Ein Skandal wäre, wenn ein Mensch verletzt ist und die Polizei nicht erklären kann, wieso. Und trotzdem würde ihr geglaubt. Oder wenn nicht anständig untersucht würde, wenn Beweise unter den Tisch fallen würden.

STANDARD: Es gibt ja durchaus Risiken, die man eingeht, wenn man sich offiziell beschwert. Ist es verständlich, dass viele Betroffene dann hadern?

Lahner: Ja. Wenn die Behauptungen strafrechtlich relevante Sachverhalte betreffen, kann man im blödesten Fall wegen Verleumdung beschuldigt werden.

STANDARD: Passieren diese Gegenanzeigen der Polizei reflexartig?

Lahner: Oft gilt hier anscheinend: Angriff ist die beste Verteidigung. Es ist natürlich auch eine Frage der Beweislage. Aber ja, es ist meine Wahrnehmung, dass es eine problematische Situation gibt.

STANDARD: Was ist mit finanziellen Risiken?

Lahner: Wenn man eine Beschwerde einbringt und verliert, muss man 900 Euro pro Beschwerdepunkt zahlen. Wenn man gewinnt, ist es zwar leichter, Schmerzengeld für Verletzungen zu erhalten. Sonst hat man aber keinen materiellen Benefit. Das heißt, Leute beschweren sich vor allem dann, wenn ihr Gerechtigkeitsempfinden massiv verletzt wurde oder wenn sie solidarische Unterstützung erfahren und mit dem Risiko nicht alleingelassen werden.

STANDARD: Sollte das dann nicht anders geregelt werden?

Lahner: Für mich als Unternehmer ist es ein gutes Geschäftsfeld. Wenn ich vor dem Verwaltungsgericht gewinne, zahlt der Bund nach Anwaltstarif. Also gutes Geld. Dadurch kann ich es mir leisten, im Bereich Asylrecht Geflüchtete zu vertreten, die sich Anwaltshonorar nach Tarif nicht leisten könnten. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir eine unabhängige Behörde brauchen, die sich anschaut, was passiert ist, ohne dass der oder die Einzelne ein Kostenrisiko trägt. Wenn jemand ohne Grund geschlagen wird, haben wir alle ein Interesse an Aufklärung, damit alle in Zukunft vor solchen Rechtsverletzungen sicher sind.

Die geplante Behörde, die im Fall von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizisten ermitteln soll, sollte außerhalb des Innenministeriums angesiedelt sein, meint Lahner.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Menschenrechtler fordern diese Behörde seit Jahren mit Nachdruck. Nun steht sie zumindest im Regierungsprogramm. Wieso hat das so lange gedauert?

Lahner: Für Politiker ist es leichter, sich schützend vor die Polizei zu stellen, als zu sagen: Wir brauchen ein anderes System, um Grundrechtsverletzungen zu untersuchen. Grundsätzlich hat die Polizei ja ein gutes Standing in der Bevölkerung. Als Politiker Problemfälle anzusprechen und eine möglicherweise komplizierte Problemlösungsmethode zu erklären eignet sich nun mal nicht für die Sprechblasen, in denen Politik heute funktioniert.

STANDARD: Wie sollte die Behörde strukturiert sein?

Lahner: Allein schon wegen der Optik wäre es wichtig, dass sie außerhalb des Innenministeriums angesiedelt ist. Es braucht Menschen mit entsprechender Ausbildung. Das muss nicht nur juristisch sein. Auch Sozialarbeiterinnen, Ärzte oder Psychologinnen. Das Wichtigste ist aber, dass die Menschen, die dort arbeiten, keine Weisungen von oben bekommen und keine Angst haben müssen, dass sie sich ihre Karriere verbauen, wenn sie zu kritisch sind. Auch wenn es nicht viele Fälle sind, müssen Grundrechtsverletzungen anständig untersucht werden. Und man darf nicht vergessen, dass nicht alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen von Grundrechtsverletzungen betroffen sind. Menschen mit dunkler Hautfarbe etwa werden auch in Österreich öfter verdächtigt, kontrolliert und in ihren Rechten verletzt.

STANDARD: Weil die Polizei ein Rassismusproblem hat?

Lahner: Es gibt Rassismus in der Bevölkerung, und jeder, der salopp behauptet, er sei kein Rassist, sollte kurz innehalten und darüber nachdenken, ob er nicht doch ein paar Vorurteile hat, die sich im Alltag niederschlagen. Man muss vorsichtig sein, bevor man mit dem Finger auf andere zeigt. Gleichzeitig glaube ich schon, dass das Problem in der Polizei existiert und sich dramatischer niederschlägt als anderswo. Ein guter Schritt wäre zum Beispiel, wenn die Polizei ein bisschen mehr so aussehen würde wie die Gesamtheit unserer Bevölkerung.

STANDARD: Polizisten sind seit Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, dass übermäßig viele Probleme damit haben, sich nach rechts abzugrenzen.

Lahner: Ich befürchte, dass es da gewisse Tendenzen gibt, das sieht man schon an den Ergebnissen der Personalvertretungswahlen. Auch wurden gezielt Inserate in rechtsextremen Medien geschaltet, um Polizeipersonal anzuwerben. Das hat natürlich auch einen Effekt. Dazu kommt, dass rechte und rechtsextreme Politikerinnen und Politiker Kleingeld machen, indem sie bestehende Probleme vereinfacht darstellen, Ängste schüren und einfache Lösungen versprechen. Die Arbeit der Polizei ist sicher keine einfache. Sie haben zum Teil schlechte Arbeitszeiten, werden nicht übermäßig toll bezahlt und haben oft mit Menschen zu tun, die Probleme bereiten. Manche Polizistinnen und Polizisten fühlen sich dann vielleicht von Rechtspopulisten besser verstanden als von jenen, die sagen: "Die Probleme, die es in der Polizei gibt, müssen wir uns anschauen." Aber ein Sturmgewehr in jedem Streifenwagen löst keine Probleme.

STANDARD: Wie könnte man verhindern, dass es überhaupt zu brenzligen Situationen kommt?

Lahner: Ein besserer Dialog zwischen Polizei und Bevölkerung wäre von Vorteil. Möglichst viele kleine Wachzimmer mit Anbindung zur Nachbarschaft statt eines Hauptquartiers, von dem Spezialeinheiten mit Panzerung losgeschickt werden und dann breitbeinig aufmarschieren.

STANDARD: Also brauchen wir keine Bereitschaftseinheit?

Lahner: Eine Grätzlpolizistin kann die Aufgaben besser wahrnehmen als so eine martialische Einheit. Auch für die Polizei wäre es ein besseres Arbeiten, würden sie die Leute, die sie beamtshandeln, besser kennen. Also insgesamt eine weniger repressive Herangehensweise an die Aufgaben, die natürlich vor allem in einer Großstadt schon gelöst werden müssen. Aber dafür braucht man meistens keine Glock.

STANDARD: Im Falle der Klimademo laufen noch strafrechtliche Ermittlungen gegen acht Beamte. Was erwarten Sie?

Lahner: Meinem Empfinden nach wird sehr umsichtig in alle Richtungen ermittelt. Alles Weitere wäre Kaffeesudlesen. Aber ich habe das Gefühl, dass der zuständige Staatsanwalt seine Arbeit sehr genau macht.

"Je stärker jemand in der Öffentlichkeit steht oder das Gewaltmonopol ausübt, umso mehr halte ich Überwachung für zulässig", sagt Lahner.
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Alle beschuldigten Beamten versehen unterdessen weiterhin normal ihren Dienst.

Lahner: Im Falle jenes Mannes, der von Kollegin Alexia Stuefer vertreten wird, müssen Konsequenzen gezogen werden. Er lag mit dem Gesicht auf dem Boden, mehrere Beamte knieten auf ihm, und einer schlägt wieder und wieder und wieder mit der Faust auf ihn ein. Hier hielte ich auch eine Suspendierung nicht für ausreichend. So jemand hat nichts in einer Uniform verloren. Der sollte weder das Gewaltmonopol ausüben noch mit einer Waffe durchs Leben gehen, sondern eine andere Aufgabe für sein Leben finden.

STANDARD: Der Ausgang der Prozesse hing wesentlich mit den vorhandenen Videobeweisen zusammen. Auch in Österreich gibt es Feldversuche mit Bodycams. Ist es einem Arbeitnehmer wirklich zuzumuten, sich bei der Arbeit filmen zu lassen?

Lahner: Es macht schon einen Unterschied, ob jemand an einem Fließband steht oder ob jemand in unser aller Auftrag mit einer Waffe durch die Stadt marschiert. Ich halte zwar das Argument, dass jemand, der nix anstellt, auch nix zu verbergen hat, für zu flach. Aber je stärker jemand in der Öffentlichkeit steht oder das Gewaltmonopol ausübt, umso mehr halte ich Überwachung für zulässig. Es kommt aber darauf an, wie es umgesetzt wird. Drücken Beamte den Powerknopf nur nach eigenem Ermessen, wird es nicht viel bringen. Es ist übrigens auch erlaubt, die Polizei bei ihrer Arbeit zu filmen, solange man die Amtshandlung dadurch nicht behindert. Um Videos zu veröffentlichen, braucht man aber gute Gründe, etwa ein öffentliches Interesse.

STANDARD: Warum kommt es gerade bei Protesten vermehrt zu Zwischenfällen?

Lahner: Weil die Polizei dort relativ lange im Einsatz ist. Sie stehen und gehen ewig herum, es ist oft sehr kalt, heiß oder laut. Bei Großeinsätzen werden Beamtinnen und Beamte von anderen Bundesländern hinzugezogen. Die werden dann noch kaserniert, und in den beengten Räumen dampft das Testosteron heraus. Wenn dann in der Vorbesprechung auch noch davon die Rede ist, dass man mit sogenannten gewaltbereiten Chaoten rechne, dann geht man anders hin als zu einem Kindergeburtstag. Das kann dann gehörig nach hinten losgehen.

STANDARD: Polizisten müssen dann ausrücken, wenn politische Lösungen ausbleiben und es zu zivilgesellschaftlichem Protest kommt. Wie etwa beim Akademikerball oder im Fall der Klimakrise. Ist es nicht unfair, wenn sie dann diejenigen sind, die die Wut abbekommen?

Lahner: Was die Polizei aushalten muss, sind Belastungen durch die Umstände oder dass sie Slogans zu hören bekommt, die ihr nicht gefallen. Aber nicht, wenn sie mit Pyrotechnik oder Steinen beworfen wird. Ich kann auch verstehen, wenn Beamte es mühsam finden, jeden einzeln von einer Sitzblockade wegzutragen. Aber es gibt keinen Grund, einen Schmerzgriff anzuwenden, wenn ein Haltegriff reicht.

STANDARD: Am Freitag finden wieder die alljährlichen Proteste gegen den Akademikerball statt. Die Stimmung ist durch die aktuellen Proteste gegen den Geschichtsprofessor Lothar Höbelt, der mit seiner Nähe zum Rechtsextremismus provoziert, wieder etwas hochgekocht. Was raten Sie der Polizei für ihren bevorstehenden Einsatz?

Lahner: Es ist Aufgabe der Polizei, zwei Gruppen voneinander fernzuhalten, wenn zu befürchten ist, dass es zu Handgreiflichkeiten kommt. Wenn Rechtsextreme sich europaweit vernetzen, ist es aber klar, dass Antifaschistinnen und Antifaschisten dagegen protestieren. Auch persönlich halte ich den Protest nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch für notwendig. Die Polizei sollte das gelindeste Mittel wählen, das zum Erfolg führt, und nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. (Vanessa Gaigg, 24.1.2020)