Katharina war in der 13. Woche schwanger, als plötzlich eine Blutung einsetze. Bei der Untersuchung konnte man keine kindlichen Herztöne mehr feststellen. "Ich war schockiert und sprachlos. Mein Baby war tot." Die 32-Jährige erzählt selbst drei Jahre später unter Tränen vom Verlust ihres Kindes. Die Ursachen für den Abort sind unklar. In der Zwischenzeit hat Katharina eine gesunde Tochter zur Welt gebracht. Die quälende Frage nach dem Warum beschäftigt die Wienerin aber bis heute.

Die Schuldfrage

Eine aktuelle Umfrage des Femtech-Herstellers Ava mit 1.323 erwachsenen Frauen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich zeigt, dass sich beinahe die Hälfte (46 Prozent) aller Frauen, die eine Fehlgeburt erlebten, selbst die Schuld dafür gibt. Die Psychotherapeutin Anja Gutmann betreut Frauen nach Fehlgeburten. "Schuld suggeriert den Betroffenen, dass sie etwas hätten tun können, um den Abort zu vermeiden", sagt Gutmann. "Hätte ich nur weniger gearbeitet" oder "Hätte ich mich doch nur gesünder ernährt, ja dann wäre alles vielleicht anders gekommen" – all diese Sätze kennt Gutmann von ihren Klientinnen sehr gut. Die Schuldgefühle und Selbstzweifel seien eine Art Abwehrmechanismus, um die Hilflosigkeit der Betroffenen in den Hintergrund zu drängen. Sie suggerieren eine Selbstwirksamkeit, die tatsächlich jedoch nicht vorhanden war. "In der Realität waren betroffene Frauen diesem Ereignis gegenüber macht- und hilflos, und das ist oft schwerer auszuhalten, als sich selbst die Schuld zu geben", sagt die Therapeutin.

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Eine Fehlgeburt kann gleichermaßen für die Frau und den Mann traumatisierend sein.
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Zudem sind laut der Umfrage viele falsch informiert: 70 Prozent der betroffenen Frauen sind davon überzeugt, dass Stress eine Fehlgeburt auslösen kann, und 37 Prozent sehen das Heben von schweren Gegenständen als potenzielle Ursache. Die Forschung hat dies allerdings längst widerlegt. Reproduktionsmedizinerin Bettina Toth von der Universität Innsbruck beschreibt das Verschmelzen von Spermium und Eizelle als einen hochkomplexen Vorgang, der leicht gestört werden kann. "Das startet mit der Interaktion von Spermien und Eizelle und geht weiter mit einer fehlenden Einnistung aufgrund von Entzündungen, immunologischen Störungen oder anderen Problemen. Gründe für Fehlgeburten sind am häufigsten Chromosomenstörungen." Der Lebensstil hat laut Toth hierbei nur einen geringen Einfluss.

Tabuthema Fehlgeburt

Michelle Obama sprach 2018 öffentlich von ihrer Fehlgeburt vor mehr als 20 Jahren. In Interviews sagt Obama anschließend, dass sie sich nach dem Verlust ihres ungeborenen Kindes wie eine Versagerin fühlte. Dabei belegen aktuelle Studien, dass jede fünfte Schwangerschaft vor der zwölften Woche endet. Das bedeutet, dass im Schnitt mehr Frauen eine Fehlgeburt erleiden, als sie Kinder gebären. Nur redet niemand darüber.

Wie verbreitet das Schweigen ist, hat auch Katharina erlebt: "Erst als ich ganz offen erzählte, dass ich mein Kind verloren hab, erfuhr ich, wie viele in meinem Umkreis genau dasselbe durchgemacht haben." Doch woher kommt diese Scheu, offen über Fehlgeburten zu sprechen?

"In der Gesellschaft wird eine Fehlgeburt noch häufig als Krankheit gesehen. Es wird erwartet, dass sich die Frau möglichst bald erholt, wieder arbeiten geht und gut funktioniert", sagt Gutmann. Die seelischen Wunden, die durch ein derartiges Erlebnis entstehen, würden jedoch meist weit über die körperliche Genesung hinaus wirken. "Viele Frauen nehmen den Embryo ab dem ersten Tag als ihr Kind wahr, und sie bauen eine emotionale Beziehung auf." Für solche Menschen sei die Fehlgeburt ein heftiger Schicksalsschlag.

Sprachlosigkeit und Unsicherheit

Umgekehrt ist es für das Umfeld oft schwierig, angemessen zu reagieren. Was braucht die betroffene Person jetzt? Tröstende Worte? Eine Hand auf der Schulter? Oder sollte man lieber gar nichts sagen? "Als Schwester oder Freundin fällt es noch leichter, adäquat zu reagieren, aber beim Arbeitskollegen oder beim Chef wird es schon heikler", sagt Gutmann. "Außerdem kommt hinzu, dass jede Frau etwas anderes als unterstützend und angemessen empfindet." Am Ende reagiert das Umfeld aus Unsicherheit lieber gar nicht, um Fehlverhalten zu vermeiden. Die Fehlgeburt wird zum Tabu.

Um genau diese Sprachlosigkeit zu vermeiden, empfiehlt Gutmann betroffenen Frauen, sich zuerst zu überlegen, welche Reaktion für sie hilfreich wäre, und in weiterer Folge ihre Wünsche nach außen hin klar zu kommunizieren. Dies hat laut der Psychotherapeutin zwei Vorteile: Zum einen sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, tatsächlich die Form der Unterstützung zu bekommen, die jemand in dem Moment braucht. Und zum anderen nimmt es dem Gegenüber die Unsicherheit.

Männer gehen anders mit Fehlgeburten um

Eine Fehlgeburt kann sowohl für Mütter als auch für Väter sehr belastend sein. Frauen sind hier jedoch durch die eigene körperliche Betroffenheit noch einmal mehr in das Geschehen involviert. Nicht immer gehen die toten Embryonen von selbst ab. Häufig muss durch Medikamentengabe eine natürliche Geburt ausgelöst werden. Frauen müssen teilweise unter Wehen und Schmerzen ihr totes Kind vaginal auf die Welt bringen. Andere müssen sich einer Kürettage, einer operativen Ausschabung der Gebärmutter, unterziehen. Dass sich diese Erlebnisse tief ins Gedächtnis einprägen können, liegt auf der Hand.

Während die Frau ins Geschehen involviert ist, bleibt dem Vater vermeintlich nur die Zuschauerposition, obgleich es auch seine Elternschaft ist, die soeben beendet wurde. Männer sind in solch einer Situation machtlos. Laut Gutmann versuchen sie infolgedessen häufig durch Ablenkung und Arbeit ihre Trauer zu überwinden. Frauen könnten sich dadurch von ihren männlichen Partnern alleingelassen fühlen. Für das Paar sei es deswegen umso wichtiger, dass jeder klar mitteilt, was er in der jetzigen Situation braucht. "Männer müssen dabei keine Wunder bewirken oder etwas tun. Oft hilft es, einfach nur da zu sein oder zuzuhören."

Angst und Freud

Neben der Trauer um das verlorene Kind, kommt häufig ein erneuter Kinderwunsch hinzu, der, wird er nicht durch eine neuerliche Schwangerschaft befriedet, mit der Zeit zusätzlich belastend für das Paar wirkt. Hier kann ein Teufelskreis entstehen: "Die Ohnmachtsgefühle infolge des Aborts verbinden sich mit einem Gefühl der Hilflosigkeit aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches. Tritt eine neuerliche Schwangerschaft ein, so schwanken die Eltern häufig zwischen Angst und Freude. Zu groß ist die Sorge, dass es zu einer neuerlichen Fehlgeburt kommt." Das kann laut der Psychotherapeutin für Paare eine enorme Herausforderung sein.

Gutmann will betroffene Frauen darin bestärken, dass diese Angst normal und situationsangemessen ist: "Wie sollte es möglich sein, nach einer derartigen Erfahrung tiefenentspannt in eine neue Schwangerschaft zu gehen? Wenn es gelingt, die Ängste zu akzeptieren, kommt es meist schon zu einer deutlichen Verbesserung der Situation."

Wurde die Fehlgeburt jedoch als sehr belastend erlebt, rät die Psychotherapeutin vor einer neuerlichen Schwangerschaft zu einer traumatherapeutischen Aufarbeitung. (Nadja Kupsa, 30.1.2020)