Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Auf derStandard.at/Familie beantwortet sie rechtliche Fragen bezüglich des Familienlebens.

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Ein Punkt im Regierungsprogramm der türkis-grünen Koalition ist die Überprüfung und gegebenenfalls die Abschaffung des Verschuldensprinzips bei der Scheidung. Das Verschuldensprinzip bedeutet vereinfacht gesagt, dass ein Ehegatte nur dann die Scheidung begehren kann, wenn die Ehe aufgrund einer schweren Eheverfehlung des anderen gescheitert ist. Beim Zerrüttungsprinzip kommt es hingegen nur darauf an, ob die Ehe endgültig gescheitert ist. Es gibt in Österreich neben der Verschuldensscheidung zwar auch noch andere Scheidungsgründe, die Verschuldensscheidung ist aber (abgesehen von der einvernehmlichen Scheidung) der wichtigste Scheidungstatbestand.

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Aus der Sicht von Kritikern ist die Schuldfrage bei einer Scheidung nicht zeitgemäß, über die Abschaffung des Verschuldensprinzips wird schon lange diskutiert.
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Das Verschuldensprinzip hat in der Praxis vor allem Auswirkungen auf den Ehegattenunterhalt. Nach aktueller Rechtslage steht dem schlechter verdienenden Ehepartner nach der Scheidung grundsätzlich nur dann Unterhalt zu, wenn die Ehe aus dem alleinigen oder eindeutig überwiegenden Verschulden des anderen geschieden wurde. Ansonsten besteht nur in Ausnahmefällen ein (in der Regel zeitlich befristeter und sehr geringer) Unterhaltsanspruch, insbesondere wenn ein Ehegatte aufgrund der Betreuung eines gemeinsamen Kindes keiner Berufstätigkeit nachgehen kann oder sich nicht selbst erhalten kann, weil er sich während der Ehe um den Haushalt oder die Kindererziehung gekümmert hat. Die Rechtsprechung ist hier aber eher restriktiv, sodass der schlechter verdienende Elternteil letztendlich nur dann finanziell (halbwegs) abgesichert ist, wenn er im Scheidungsverfahren das Verschulden des anderen nachweisen kann.

Reform des Unterhaltsrechts nötig

Das Verschuldensprinzip klingt zwar auf den ersten Blick logisch, denn die Ehe ist ein Vertrag, und ganz allgemein gilt der Grundsatz, dass der vertragsbrüchige Teil dem anderen Schadenersatz leisten muss. In der Praxis führt es allerdings zu höchst unbilligen Ergebnissen. Der Ehepartner, der aufgrund der Kindererziehung und/oder Haushaltsführung beruflich zurückgesteckt hat, steht nach der Scheidung oft mit leeren Händen da, weil den anderen kein eindeutig überwiegendes Verschulden an der Scheidung trifft (oder sich dieses nicht nachweisen lässt). Hinzu kommt, dass die Richterin oder der Richter bei einer strittigen Scheidung feststellen muss, wer die Schuld am Scheitern einer zwischenmenschlichen Beziehung trägt. Das ist in vielen Fällen ein schier unmögliches Unterfangen, das oft zu regelrechten Schmutzkübelkampagnen führt. Außerdem widerspricht das Verschuldensprinzip dem Versorgungsgedanken und damit dem eigentlichen Zweck des Unterhaltsrechts. Der Unterhalt sollte keine "Strafzahlung" sein, sondern demjenigen zustehen, der darauf angewiesen ist.

Die Abschaffung des Verschuldensprinzips ist daher sehr zu begrüßen, allerdings muss dann auch das Unterhaltsrecht grundlegend reformiert werden. Eine weitgehende Abschaffung des nachehelichen Unterhalts (ganz nach dem Motto: Nach der Scheidung muss halt jeder selbst schauen, wie er über die Runden kommt) wäre nur dann sachgerecht, wenn sich die Ehegatten während der aufrechten Ehe die unbezahlte Arbeit gerecht aufteilen. Wenn also beide Elternteile gleich viel im Haushalt mithelfen, gleich lange in Karenz gehen und sich ihre Arbeitszeiten so einteilen, dass sie die Kinder zu gleichen Teilen betreuen. In solchen Fällen könnte man die Unterhaltspflicht tatsächlich auf besondere Ausnahmefälle (wie etwa Berufsunfähigkeit wegen Krankheit) beschränken.

Vor allem negative Auswirkungen für Frauen

Davon sind wir in Österreich aber meilenweit entfernt. Die Realität sieht vielmehr so aus, dass nach wie vor der weitaus überwiegende Teil der unbezahlten Arbeit (Haushalt und Kindererziehung) von Frauen geleistet wird. Bei der klassischen "Hausfrauenehe" und dem mittlerweile weitverbreiteten Modell, bei dem der eine Elternteil einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht und der andere (meistens die Frau) nach der Karenz in Teilzeit arbeitet, wäre eine weitgehende Abschaffung des nachehelichen Unterhalts höchst unfair. Denn in diesen Fällen hat der schlechter verdienende Ehepartner nach der Scheidung erhebliche Einkommens- und Pensionseinbußen.

Der Unterhalt sollte sich daher nicht am Verschulden, sondern in erster Linie daran orientieren, wie viel jeder für die Ehe aufgegeben hat. Der Ehepartner, der während der Ehe den Haushalt geschupft und sich um die Kinder gekümmert hat, muss auch nach der Scheidung abgesichert sein. Und auch der finanzielle Nachteil von Karenzzeiten oder einer Teilzeitbeschäftigung aufgrund von Kinderbetreuung muss durch einen Ergänzungsunterhalt ausgeglichen werden. Das Argument, dass schwere Eheverfehlungen damit sanktionslos bleiben würden und es ungerecht wäre, wenn ein Ehegatte, der selbst schuld am Scheitern der Ehe ist, vom anderen Unterhalt fordern könnte, ist nicht überzeugend. Schon nach aktueller Rechtslage können besonders schwerwiegende Eheverfehlungen zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen. Der Gesetzgeber wird daher bei der notwendigen Reform des Unterhaltsrechts einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen schaffen müssen. Und letztendlich wird dem Obersten Gerichtshof als Höchstgericht die verantwortungsvolle Aufgabe zukommen, das Gesetz praxistauglich auszulegen und Leitlinien zu entwickeln, an denen sich die Gerichte orientieren können. Derzeit kann man nur spekulieren, was die neue Regierung genau plant. Details finden sich im Regierungsprogramm nämlich nicht. (Carmen Thornton, 28.2.2020)