Die Idylle trügt: Pierre (Marcus Bluhm) und Anne (Susa Meyer) mit ihrem Sohn Nicolas (Julian Valerio Rehri).

Foto: Moritz Schell

Die Kammerspiele sind der seligste Ort für die Wiener Jugend, um sich in den Habitus der bürgerlichen Altvorderen einzuüben. Was aber, wenn es nicht gelingt oder man nicht will?

Die Welt steht kopf ebendort. Von der Decke wachsen Tischchen und die Zimmerpflanze kopfüber nach unten, die Pölster hat Bühnenbildnerin Miriam Busch fest mit der Couch vernäht. Kopfüber steht auch die Welt für Pierre (Marcus Bluhm) und Anne (Susa Meyer), als sie erfahren, dass ihr pubertierender Nicolas (toll: Julian Valerio Rehri) seit drei Monaten nicht in der Schule war. Die Scheidung der Eltern setzt ihm zu, und er will fortan beim Vater leben. Während Anne dem das begreiflich macht, kauert der Bursche mit angezogenen Knien auf einem Sessel und kaut sich stierend die Nägel ab. Unter dem Pulli hat er sich die Arme aufgeritzt.

Erfolgsdramatiker

Der Sohn des Autors Florian Zeller (40) erzählt von einer jugendlichen Depression, das ganze Leben macht Nicolas zu viel Druck. Die Josefstadt zeigt das Stück erstmals in Österreich. 2016 lief schon hoch erfolgreich Zellers dementer Vater mit Erwin Steinhauer. Zeller ist seit einigen Jahren der mit Preisen überhäufte Star unter Frankreichs aktuellen Dramatikern. Seine Stücke werden weltweit gespielt, gerade verfilmt. Er kann Dialoge, Spannung und verschiedene Blickwinkel, seine Plots wurzeln in konkreten Alltagsproblemen. Der Abend wird so zum Lehrstück für Eltern. Zeller schaukelt Verzweiflung und Hoffnung geschickt wechselnd hoch, garniert mit Zweckoptimismus und falschen Beteuerungen.

Pierre hat inzwischen eine jüngere zweite Frau (Swintha Gersthofer). Der Glutkern des Abends liegt aber zwischen Vater und Sohn. Er sorgt und bemüht sich, spult mit "Was soll mal aus dir werden?" aber zum eigenen Ärger die Sätze ab, die er an seinem Vater gehasst hat. Er glaubt, dass der Bursche mit etwas Druck auf den Weg zurückzubringen ist ...

In den feinfühligen Händen von Regisseurin Stephanie Mohr läuft der Abend ohne Kitsch und Pathos und in bestem Realismus inszeniert ab und birgt einige intensive Momente. Etwa als die Eltern den Bub nicht aus der Psychiatrie mitnehmen wollen, weil er sich selbst gefährdet. Zuckersüß das Glück der Familie beim Teetrinken. Stark und zu Recht heftig bejubelt. (Michael Wurmitzer, 28.2.2020)