Der Bastard (Niko Lukic) in William Shakespeares Drama König Johann, das in Friedrich Dürrenmatts Übersetzung am Donnerstag Premiere feiert.

Andrea Klem

Es scheint, als ob Anna Maria Krassniggs Wortwiege auf unsichtbaren Kufen quer durch Niederösterreich rutschen würde. Nach einigen Sommeraufenthalten im langen Kurschatten der Rax haben Krassnigg und ihr Team jetzt in Wiener Neustadt Quartier bezogen. In den Befestigungsanlagen der Metropole findet man die sogenannten Kasematten: ein jüngst eindrucksvoll revitalisiertes Gewölbe, in dessen Obhut – nach erfolgreicher Ausrichtung der NÖ-Landesausstellung – jetzt Haupt- und Staatsaktionen gezeigt werden.

Bereits am Donnerstag feiert die erste von zwei Krassnigg-Inszenierungen Premiere. Shakespeares schmählich unbeachtetes Königsdrama König Johann wird in der klug-infernalischen Textfassung von Friedrich Dürrenmatt gezeigt. Warum aber Königsdramen auf halber Strecke zwischen Wien und Wechsel? Regisseurin Krassnigg setzt weiterhin auf die Darstellungskraft von Fürstenspiegeln. "Da muss ich gar nicht erst an das erratische Verhalten von Donald Trump denken", sagt Krassnigg: "Es genügt, dass Oberon und Titania miteinander in Streit liegen, und schon missrät komplett die Ernte, kollabiert die Natur!"

An der Nahtstelle von Allmacht und Ohnmacht operiert auch das zweite der beiden in Wiener Neustadt vorgestellten Stücke. In Die Königin ist tot der Grazer Romanschreiberin Olga Flor (ab 12. März) reüssiert eine Lady Macbeth der Glaspaläste im Biotop der Auserwählten: im Reich der Gutbetuchten und auserlesen Schönen.

Melania-Trump-Mechanik

Erzählt wird auch in der Stückfassung zur Gänze aus der Innenperspektive einer erhabenen wie marmorglatten Täterin. Man darf gespannt sein, welche aktuellen Früchte Krassniggs Manier tragen wird, Filme in das Bühnengeschehen einzublenden. Die Regisseurin jedenfalls spricht mit Blick auf Olga Flors Text vom Wirksamwerden eines "Melania-Trump-Mechanismus". Zum Einsatz gelangen vor Ort drei Frauen und ein Bildschirm. Mit 16 anberaumten Vorstellungen setzen die Schaukelkünstler der Wortwiege auf reges Publikumsinteresse.

Beide Spielorte sind für jeweils 110 Besucher bestuhlt. Die Stadtväter und -mütter tragen das Festival großherzig mit (bei einem Gesamtbudget von 150.000 Euro). In einer der formschönen Kasematten-Röhren wird denn auch, parallel zum Theaterprogramm, die Kunst des Denkens gelehrt – oder zumindest performativ vorgelebt.

Schuh, Šnajder, Guérot

Den Anfang macht im Salon Royal am Donnerstag Franz Schuh. Als weitere Impulsgeber und als spontan Reflektierende sind unter anderen Slobodan Šnajder, Ulrike Guérot oder Moralphilosoph Dario Gentili vorgesehen. Immerhin: Um das Lösegeld, das für den gefangenen König Richard Löwenherz erlegt worden war, konnten die Landeskinder der Babenberger-Herzöge einst Wiener Neustadt aus der fruchtbaren Ackererde stampfen. Mitunter zeitigt sogar das Ränkespiel der Mächtigen segensreiche Effekte. (Ronald Pohl, 4.3.2020)