Nicole Ruckser, Georg Kapsch, Klemens Riegler-Picker, Sibylle Hamann und Katharina Soukup- Altrichter (v. li.) diskutierten in der Urania. STANDARD-Redakteurin Lisa Nimmervoll moderierte.

Foto: Heribert Corn

Wien – Bildung ist eines jener Themen, bei denen die Regierungsparteien ÖVP und Grüne traditionell weit auseinander liegen. Wie erfolgversprechend das Regierungsprogramm ist, das sie gemeinsam ausgehandelt haben, wurde am Dienstag bei der "Bildungsarena" der Initiative "Neustart Schule" – getragen von der Industriellenvereinigung und 24 Partnerinstitutionen – diskutiert.

Auf dem Podium waren Sibylle Hamann, Bildungssprecherin der Grünen, Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, Klemens Riegler-Picker, Sektionschef im Bildungsministerium, Nicole Ruckser von Teach for Austria und Katharina Soukup-Altrichter von der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen. Moderiert wurde die Veranstaltung von STANDARD-Redakteurin Lisa Nimmervoll.

Stream der Veranstaltung.

Die große Vision fehlt

Schon bei der ersten Antwortrunde zeigte sich, dass in Bezug auf das türkis-grüne Bildungsprogramm eher Ernüchterung vorherrscht. Für Kapsch fehlt der "lang ersehnte bildungspolitische Ruck" für das "zutiefst verpolitisierte" Schulsystem in Österreich, für Soukup-Altrichter die Gesamtsicht, und selbst Hamann, die das Programm mitverhandelt hat, bewertete es mit einem nüchternen "Ich stehe dazu".

Kritisiert wurde vor allem die fehlende Bildungsvision für das Land. Das Programm bestehe aus Einzelmaßnahmen, weil Wissenschaft und Praxis zu wenig in die Ausarbeitung von Konzepten einbezogen würden, sagte Bildungswissenschafterin Soukup-Altrichter. Als Beispiel nannte sie die Ziffernnoten ab der zweiten Volksschulklasse und die Deutschförderklassen, bei denen es bereits gut funktionierende Modelle gegeben habe, deren Anwendung nun aber wieder in weite Ferne rücke.

Ministerium will kein "Durchwinken"

Den Vorwurf der Praxisferne wollte der Vertreter des Ministeriums nicht gelten lassen; "Ich habe noch keine Reform in diesem Haus begleitet, wo wir nicht intensiv mit Praktikern zusammengearbeitet haben." Beim Thema Noten habe sich aber gezeigt, dass Volksschulen die alternative Benotung teilweise missbraucht hätten, indem "sie Schüler durchwinken, denen in der vierten Klasse die Note geschenkt wird, und die dann in der Mittelschule aufschlagen."

Zum Thema Bildungswegentscheidung betonte Riegler-Picker, bei der von der Regierung geplanten "individualisierten Kompetenzfeststellung" in der dritten Volksschulklasse wolle man keinen "Aufnahmetest" für die AHS schaffen, sondern ein "Portfolio", das den Druck vom Zeugnis der vierten Klasse nehmen solle.

Stärkung der elementaren Bildung

Da der Abend unter dem Fokus Grundbildung stand, waren auch Bildungspflicht und Mittlere Reife Thema. Diese bedeutet aus IV-Sicht, dass am Ende der ersten acht Schuljahre alle Kinder ein bestimmtes Kompetenzniveau erreicht haben müssen. IV-Chef Kapsch begrüßte die Idee, dass Jugendliche, die mit 14 bestimmte Grundkenntnisse nicht vorweisen können, in Zukunft "spätestens mit 16 oder 18 abliefern" müssen. "Nicht das Kind muss abliefern, sondern das System", wandte da Grünen-Politikerin Hamann ein.

Erfreut zeigten sich die Diskutanten darüber, dass im Regierungsprogramm von einer "Stärkung der elementaren Bildung" die Rede ist. Wichtig sei vor allem die Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen, betonte Nicole Ruckser, da viele Abgängerinnen der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik nicht im Beruf bleiben. Teach for Austria vermittelt seit Herbst 2019 erstmals auch Hochschulabsolventen als Quereinsteiger in Kindergärten. "Wir brauchen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten wollen, und müssen sicherstellen, dass sie das auch tun können." Was auch bessere strukturelle Rahmenbedingungen erfordere: "Wir brauchen Geld im System."

Gemeinsam oder doch nicht

Am Ende des Abends blieb der Eindruck, dass es echte, grundlegende Veränderungen im Bildungssystem wohl auch unter Türkis-Grün nicht geben wird. Hamann verwies einmal mehr auf die großen ideologischen Unterschiede. Die gemeinsame Schule für alle Sechs- bis Vierzehnjährigen etwa sei mit der ÖVP "vollkommen illusorisch", darum habe man sie gar nicht erst gefordert.

Zumindest "einen Schritt" in diese Richtung hätte man doch gehen können, hatte der IV-Präsident gleich zu Beginn gefordert – und damit den ersten Applaus des Abends bekommen. "Damit hätte man die Bildungssegregation in diesem frühen Alter vermieden", sagte Kapsch. Was mit einem Zwischenruf aus dem Publikum beantwortet wurde: "Da hat er sich noch einen Applaus verdient." (Johannes Pucher, 6.3.2020)