Der Gesundheits- und Pflegebereich, Beschäftigte im Handel und Reinigungskräfte – das alles ist jetzt zentral. Barbara Teiber hofft, dass man das nach der Krise nicht vergisst, wenn es um das Verhandeln der Löhne und Gehälter geht.

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Lebensmittelgeschäfte und Drogerien dürfen künftig nur mehr bis 19 Uhr offen halten, Schwangere und Risikogruppen sollen keinen Kundenkontakt mehr haben – darauf einigten sich die Sozialpartner am Donnerstag. Die Gewerkschaft hatte angesichts von Kindergarten- und Schulschließungen reduzierte Öffnungszeiten von 8.30 bis 18 Uhr gefordert.

Barbara Teiber, Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp), im Gespräch über Applaus für Supermarktkassiererinnen und niedrig entlohnte Frauenbranchen.

STANDARD: "Die Telefone in der Beratung der Gewerkschaft laufen heiß", schrieben Sie vergangene Woche in einer Aussendung. Von welchen Problemen berichten die Beschäftigten im Handel?

Teiber: Extrem schwierig waren die Tage, an denen die Geschäfte regelrecht gestürmt worden sind. Da war noch keine Rede von Sicherheitsabständen, es befanden sich unglaublich viele Kund*innen auf engstem Raum. Leider gab es in dieser Stresssituation auch einige, die ihren Ärger an den Handelsangestellten ausgelassen haben. Wir haben auch Schilderungen von Kolleginnen bekommen, die Streits zwischen Kund*innen schlichten mussten. Gleichzeitig musste der enorme Andrang bewältigt und permanent nachgeschlichtet werden, viele standen schon um vier Uhr Früh im Geschäft. Und natürlich gibt es auch Sorgen und Ängste, weil die Angestellten vielfach ohne ausreichenden Schutz einer enorm großen Anzahl an sozialen Kontakten ausgesetzt sind.

STANDARD: Welche Herausforderungen gibt es bei der Kinderbetreuung? Im Einzelhandel arbeiten rund 70 Prozent Frauen.

Teiber: Viele Mütter haben mit der Organisation der Kinderbetreuung sehr zu kämpfen. Es gab den Appell der Regierung, Kinder möglichst zu Hause zu betreuen, was angesichts der Lage ja auch verständlich ist. Viele Beschäftigte hatten dann aber Bedenken, ihre Kinder trotzdem in die Schule oder den Kindergarten zu schicken. Kinderbetreuung wird oft im privaten Umfeld organisiert, zu den Großeltern sollen die Kinder aber auch nicht. Das hat bei manchen also Verzweiflung ausgelöst: Ich muss in die Arbeit, ich kann nicht einfach zu Hause bleiben, bin ich jetzt eine schlechte Mutter? Deshalb haben wir auch verkürzte Öffnungszeiten gefordert, dann sind weniger Schichten notwendig. Nachdem die Hamsterkäufe nun vorbei sind und die Lage sich entspannt, ist die Versorgung auch problemlos mit reduzierten Öffnungszeiten sicherzustellen.

STANDARD: Supermarktangestellte stehen in der Coronakrise plötzlich im Rampenlicht, bekommen Applaus. Wird diese Berufsgruppe zu wenig wertgeschätzt?

Teiber: Ja, jetzt wird sichtbar, welche Berufsgruppen unser Land am Laufen halten: Handelsangestellte, Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich, Reinigungskräfte. Es sind oft Berufsgruppen, die unterdurchschnittlich bezahlt werden, überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten dort. Sie sind ganz wichtig für die Grundversorgung, eben für die wichtigsten Bedürfnisse. Ich hoffe, das vergisst niemand nach der Krise, wenn es um das Verhandeln der Löhne und Gehälter geht.

STANDARD: Warum ist der Handel überhaupt eine Frauenbranche?

Teiber: Ein wichtiger Faktor ist die Teilzeitbeschäftigung. Die meisten Jobs dort werden praktisch nur mehr in Teilzeit angeboten, diese Teilzeitstellen suchen eher Frauen. Viele fangen auch im Handel zu arbeiten an, nachdem sie ein Kind bekommen haben, anfangs für ein paar Stunden pro Woche. Und leider sind viele Branchen, wo viele Frauen arbeiten, eben auch schlechter bezahlt.

STANDARD: Abseits der Supermärkte wurden viele Geschäfte geschlossen. Was könnte hier auf die Beschäftigten im Handel noch zukommen?

Teiber: Wir richten einen ganz großen Appell an die Arbeitgeber, unbedingt Kurzarbeit mit den Beschäftigten zu vereinbaren, bevor sie jemanden kündigen. Wir haben, denke ich, ein sehr attraktives Modell für die Kurzarbeit verhandelt, es geht jetzt wirklich darum, Arbeitsplätze zu retten. Ebenso gefordert sind aktuell Pflegeberufe. Vor der Coronakrise kämpften Beschäftigte im Pflege- und Sozialbereich für die 35-Stunden-Woche. Aufgrund der dramatischen Situation werden die Verhandlungen nächste Woche nicht stattfinden – auch keine Streiks. Wir haben die Arbeitgeber aber aufgefordert, uns ein Angebot schriftlich zu übermitteln, das akzeptabel ist und das auch unserer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung entspricht. Ehrlich gesagt erwarten wir, dass die Arbeitgeber das tun. Gerade jetzt sieht man, wer gebraucht wird, wer auch unter schwierigen Bedingungen harte und emotional schwierige Arbeit leistet. Wir erwarten uns also ein gutes Angebot. Alles andere wäre, glaube ich, unverständlich. (Brigitte Theißl, 20.3.2020)