Suhrkamp-Autor Uwe Tellkamp veröffentlicht nebenbei in einem Verlag mit Rechtsdrall.

Foto: Sven Döring / Insel-Verlag

In den Ateliers der Leipziger Maler Martin Rahe und Thomas Vogelstrom dampft es vor Arbeiterschweiß, in den sich Sensibilitäten für Blumenbilder vergangener Epochen mischen. Man ist konservativ und stolz darauf und gekränkt von der Überheblichkeit der Großstädter aus Treva, die nun abschätzig von der "Provinz" sprechen. Man hält auch nichts von schicken Messen und der Kunstgeschäftemacherei. Diese Künstler sind keine Hippies, ihre Söhne gehen zum Heer, weil Sicherheit Ordnung braucht. Im Bücherregal steht Ernst Jünger. So lässt sich Uwe Tellkamps neues Buch Das Atelier zusammenfassen.

Tellkamp ist vor zwölf Jahren mit Der Turm zu einem der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren aufgestiegen. Die Resonanz auf das Mitte März erschienene Werk ist indes relativ verhalten, sein Hausverlag Suhrkamp hat nicht die ganz große Marketingmaschinerie angeworfen. Was daran liegt, dass die 112 Seiten nicht dort erschienen sind, sondern in der Edition Buchhaus Loschwitz, betrieben von der wegen ihrer Nähe zu Pegida und AfD umstrittenen Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen. Vertrieben wird der schmale Band kaum über den regulären Handel, sondern online von Götz Kubitscheks Verlag Antaios, der im Umfeld der Neuen Rechten seit Jahren mit kruden ideologischen Positionen für Aufregung sorgt. Wie konnte das geschehen?

Bestseller auf Irrwegen

Tellkamps Entwicklung vom Darling zum Buhmann setzte mit der Flüchtlingsbewegung 2015 ein. In deren Folge verstörte der aus der DDR stammende Autor die Kulturszene mit Unterstützungserklärungen für Pegida und Kritik am liberalen "Meinungskorridor". 2018 distanzierte sich Suhrkamp von Tellkamp, nachdem er festgestellt hatte, "95 Prozent" der Migranten flöhen nicht vor Krieg und Verfolgung, "sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern". Suhrkamp stellte klar, es sei "die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, nicht mit der des Verlages zu verwechseln". Es hagelte dafür Lob und Kritik.

Anfang dieses Jahres konstruierte die deutsche Zeitung Die Welt dann auch noch einen Skandal, weil ein angeblich bereits fertiges Buch Tellkamps namens Lava in den Schubladen Suhrkamps liege, der Verlag es aber zurückhalte, weil er sich wegen einer inhaltlich rechten Schlagseite nicht traue zu publizieren. Um Lava geht es in Das Atelier allerdings auch.

Das "Dunkelding" bricht aus

Nach 93 pathetischen bis schwülstigen Seiten über Farbkleckse, Bildfindungen und den Kunstbetrieb bricht das Brodeln aus: "Im Jahr Fünfzehn habe es gerumst, das Dunkelding sei ausgebrochen mit Folgen für die ganze Republik, vielleicht der Vesuv von Dresden nur ein gerade offener Schlot, einer von vielen im ganzen scheinbar so beruhigten Land, doch anderswo womöglich das Deckgebirge über den Schloten stärker, der Unmut als Magma weniger druckvoll, wer wisse das schon", liest man bildlich über Bürger, die als Besorgte in den Diskurs eingegangen sind. Rom sei an Dekadenz zugrunde gegangen, "so ist es auch heute".

Das Atelier ist ein Anklagebuch gegen links und eine dahin tendierende Mitte. Museumsdirektoren lassen im Buch umstrittene Künstler fallen, sie werden sozial geächtet, es mag also rechtlich Meinungsfreiheit im Lande herrschen, de facto sieht es aber anders aus, will der Autor sagen. Und er trauert der DDR hinterher, da Untergrundgalerien als Opposition zum System fungierten. Das Malerhäuflein in Atelier lobt eine Kunst, die nicht auf die Moden der Gesellschaft anspringt, sondern eigenständig gegenüber dem "sogenannten Bedeutenden" ist – wie "Kometen, die durch die Ordnungen fliegen, sie in Frage stellen". Anleihen für seine heilige Malersippe hat Tellkamp deutlich am Leipziger Maler Neo Rauch und dessen Frau Rosa Loy genommen, er collagiert Informationen aus Interviews und Porträts über den Künstler. Der Maler seinerseits hat Tellkamp in der Vergangenheit gegen Anwürfe verteidigt und eine heutige Blockwartmentalität beklagt. Ein weiteres Vorbild soll Axel Krause sein.

Widerständler aus DDR-Erfahrung

Manche mutmaßen, Tellkamps Rolle des unverstandenen Widerständlers speise sich aus einer Skepsis des DDR-Bürgers gegenüber Mainstreammeinungen und Denkverboten. Dazu passt auch der Name der Reihe, in der Das Atelier erschienen ist: Exil. Bei den einen weckt er sogleich Assoziationen zu geflüchteten Juden, Susanne Dagen selbst versteht ihn hingegen als "Zuflucht der Kunst, die sich einem Klima zunehmender politischer Anfeindung ausgesetzt sieht – nur sie ist es, die uns Räume der Freiheit, des Denkens und Träumens öffnen kann".

Ob Das Atelier nun ein Vorgeschmack auf das zuletzt von Suhrkamp für 2021 angekündigte Lava ist und wie man dort nun reagiert, wird sich zeigen. Sieht man nun gar von einer Veröffentlichung ab? Ein Skandal wäre das nicht, man nennt solche Entscheidungen Verlagsprogramm. Nach Atelier gefragt, erklärt Suhrkamp: "Von der Veröffentlichung hatten wir keinerlei Kenntnis." Wie es um Lava steht? Laufende Lektoratsprozesse behandle man generell vertraulich. (Michael Wurmitzer, 27.3.2020)