Durch die Wahl des FPÖ-Politikers Martin Graf zum Dritten Nationalratspräsidenten kam es im Plenarsaal zu besonders intensiven Debatten über Rechtsextremismus.

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Für seine Dissertation hat der Wiener Politikwissenschafter Matthias Falter die Debatten im österreichischen Nationalrat analysiert, um den politischen Umgang mit Rechtsextremismus unter die Lupe zu nehmen. Startpunkt seiner Untersuchung ist das bislang beste bundesweite Abschneiden der FPÖ unter Jörg Haider im Jahr 1999 und die darauffolgende Bildung der ersten schwarz-blauen Koalition, die besonders oft zu Wortgefechten über Rechtsextremismus im Parlament führte. Nun ist seine materialreiche Untersuchung "Die Grenzen der Demokratie" als Buch im Nomos-Verlag erschienen. Ein Gespräch über Einzelfälle, politische Frames und blinde Flecken bei der Normalisierung rechtsextremer Positionen.

STANDARD: Sie haben sich durch 15 Jahre an Parlamentsprotokollen gewühlt, um den österreichischen Rechtsextremismus zu erforschen. Wie kam es zu dieser Herangehensweise?

Matthias Falter: Ich habe festgestellt, dass es relativ viel Literatur gibt, in der über rechtsextreme Ideologien, Diskurse und Organisationen geschrieben wurde. Hingegen wurde noch wenig über die Auseinandersetzung der Gesellschaft mit dem Phänomen Rechtsextremismus publiziert. Dieser Schritt in der Analyse hat mir gefehlt.

STANDARD: Haben Sie eine Vermutung, warum das so ist?

Falter: Es ist naheliegend, dass man sich in erster Linie für den Rechtsextremismus an sich interessiert. Für Untersuchungen auf der Metaebene fehlen in der Wissenschaft leider oft die Ressourcen, zumal die Rechtsextremismusforschung in Österreich institutionell an den Hochschulen nur schwach verankert ist.

STANDARD: Wieso haben Sie die Debatten im Nationalrat in den Fokus Ihrer Analyse gerückt und nicht etwa den allgemeinen polit-medialen Diskurs?

Falter: Der Nationalrat repräsentiert idealerweise die politischen Hauptströmungen, die in der Bevölkerung vorhanden sind. In den Medien lässt man bei Diskussionen zum Rechtsextremismus oft nur die pointierten, polarisierenden Meinungen aufeinanderprallen. Im Nationalrat kommen dagegen Akteure aus dem gesamten politischen Spektrum zu Wort und müssen ihren Standpunkt formulieren. Außerdem als österreichisches Spezifikum interessant: Im Nationalrat saßen während des gesamten Zeitraums auch extrem rechte Politiker in den Reihen der FPÖ oder des BZÖ. Das heißt, es kam immer wieder zu Debatten mit Rechtsextremen über Rechtsextremismus.

STANDARD: Sie haben ausgewertet, wie häufig das Thema in den verschiedenen Zeiträumen im Nationalrat vorkam. Was zeigt sich?

Falter: Am intensivsten wurde über Rechtsextremismus diskutiert, als die erste schwarz-blaue Regierung amtierte. Zwischen 1999 und 2003 wurde das Thema in rund 40 Prozent der Sitzungen aufgeworfen. Und dann gab es 2009 einen Höhepunkt: zum einen, weil es in dem Jahr zu Übergriffen von Jugendlichen auf Teilnehmer einer Gedenkfeier im ehemaligen KZ Ebensee kam; zum anderen ging es in dem Jahr immer wieder um Martin Graf und eine mögliche Abwahl als Dritter Nationalratspräsident. Graf hat ja sogar im Amt den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde attackiert.

STANDARD: Es wird häufig über sogenannte Einzelfälle gesprochen. Ist die Fokussierung auf die FPÖ oder einzelne Personen ein Problem?

Falter: Es besteht dadurch jedenfalls die Gefahr, dass die schleichende Normalisierung von rechtsextremen Positionen unterbelichtet bleibt, weil man sich zu viel mit rechtsextremen Personen und zu wenig mit den Inhalten befasst. Ein Beispiel ist das sogenannte Ausländervolksbegehren von Jörg Haider, aus dem dann in den späteren 1990er-Jahren zahlreiche Forderungen von der großen Koalition in Gesetzesform gegossen wurden. Und auch Sebastian Kurz hat ja einmal zutreffend gesagt, dass er in der Migrationspolitik Positionen vertritt, die vor ein paar Jahren noch als rechtsradikal galten.

STANDARD: Sie identifizieren verschiedene Frames, in denen im Nationalrat über Rechtsextremismus gesprochen wird. Besonders bedeutsam sei der "ordnungslogische Frame". Worin besteht der?

Falter: Das ist eine Perspektive, die sich selbst in der Mitte verortet und bei der eine fixe Vorstellung von sozialer oder kultureller Normalität als Ausgangspunkt für politische Beurteilungen genommen wird. Erst sobald man aus dem Rahmen dieser Normalität herausfällt, wird man als problematisch wahrgenommen.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel dafür?

Falter: Wenn rechtsextreme Positionen lärmend und mit Springerstiefeln und Bomberjacken daherkommen, werden sie im ordnungslogischen Frame als Gefahr erkannt. Wenn aber jemand dieselben rassistischen Äußerungen mit Anzug und Krawatte im Fernsehen vertritt, wird diese Gefahr übersehen, weil sie sich in geordneten, gewissermaßen normalen Umgangsformen bewegt. Wenn außerdem extrem rechte Diskurse Teil des Alltags sind, werden sie in diesem Frame nicht mehr als problematisch erkannt.

STANDARD: Anfang des Jahrtausends kam es immer wieder zu Skandalen, weil Parlamentarier sich positiv auf den Nationalsozialismus bezogen oder den Holocaust leugneten, wie der FPÖ-Abgeordnete John Gudenus 2005.

Falter: Ein weiterer Fall zur selben Zeit war der BZÖ-Abgeordnete Siegfried Kampl, der in einer Bundesratssitzung Wehrmachtsdeserteure als "Kameradenmörder" diffamiert hatte. Um zu verhindern, dass Kampl turnusmäßig das Amt des Bundesratspräsidenten übernimmt, wurde sogar eilig die Verfassung geändert.

STANDARD: Derartige Geschichtsbilder scheinen weniger zu werden, auch bei Abgeordneten von Rechtsparteien. Deckt sich das mit Ihrer Untersuchung?

Falter: Ja, zumindest an der Oberfläche. Das hat ganz banal sicher auch mit dem Generationenwechsel zu tun. Man darf aber nicht den Fehler machen, daraus zu schließen, dass damit auch der Rechtsextremismus verschwindet. Wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu beobachten war, modernisierte sich der Rechtsextremismus. Anstelle von "Rasse" wird von "Kultur" und "Identität" gesprochen. Die ideologischen Grundlagen, die Abwertung der anderen und der Wunsch nach autoritärer Politik sind die gleichen. Die Morde in Utøya, Christchurch und Hanau sind die Umsetzung dieser Ideologie in die Tat.

STANDARD: Besonders hitzig wurden die Debatten über Rechtsextremismus im Nationalrat, als es um die Wahl des Nationalratspräsidiums ging, wie Sie anhand der Fälle Thomas Prinzhorn und Martin Graf nachzeichnen.

Falter: Prinzhorn hatte im Wahlkampf 1999 rassistische Verschwörungstheorien verbreitet, wonach Ausländer mit staatlicher Hilfe fruchtbarkeitssteigernde Hormone bekämen, die Inländern verwehrt würden. Und Martin Graf war durch seine Aktivitäten bei der Burschenschaft Olympia sowieso immer schon ein Symbol für den Rechtsextremismus innerhalb der FPÖ. Als die FPÖ diese Personen für das Amt des Zweiten bzw. Dritten Präsidenten nominiert hatte, argumentierten in der Debatte interessanterweise beide Seiten in einem demokratiepolitischen Framing.

STANDARD: Inwiefern?

Falter: Diejenigen, die darauf beharrten, Prinzhorn und Graf ins Amt zu wählen, argumentierten mit den demokratischen Usancen im Parlament. Demnach stehe jeder der drei stärksten Parteien ein Nationalratspräsident zu, weil ja jede dieser Parteien demokratisch vom Volk gewählt wurde. Die Gegner sagten hingegen: Wer keine klare Abgrenzung vom Faschismus zustande bringt, ist kein aufrechter Demokrat und soll daher nicht zum Repräsentanten der wichtigsten demokratischen Institution gemacht werden. In Diskussionen zum Rechtsextremismus werden regelmäßig die Grenzen der Demokratie definiert. (Theo Anders, 22.4.2020)