Wien – Die wegen der Corona-Krise geschlossenen Schulen sollen ab Mai schrittweise öffnen, forderte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum". Sie sieht "Österreich auf einem gleich guten Weg mit Deutschland", und Deutschland habe beschlossen, Anfang Mai die Schulen zu öffnen. Von der Regierung vermisst sie Klarheit, "wie es weitergeht in Österreich".

Sie wolle einen gemeinsamen Kurs "über die neuen Rahmenbedingungen, die neuen Regeln", sagte Rendi-Wagner. "Die Akutphase ist vorbei." Der Shutdown sei "aus fachlicher Sicht notwendig" gewesen, sagte die ehemalige Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit. Die Schulen sollten aber schrittweise öffnen, mit nicht zu vielen Kindern gleichzeitig in der Klasse und einem "Fokus auf Volksschulkinder", die betreuungspflichtig sind.

Schulschließung ohne wissenschaftliche Begleitung

Der Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten, Helmut Fickenscher, sprach in der Sendung von einem "behutsamen Öffnen" der Abschlussklassen. Es gebe aber "kein Patentrezept" bei Schulen. Der Leiter der Abteilung Allgemeinmedizin an der Med-Uni Wien, Andreas Sönnichsen, kritisierte, "man hat die Schulen geschlossen, ohne das wissenschaftlich zu begleiten". In Österreich sei für ihn beispielsweise unklar, wie viele Schulkinder bisher unter den getesteten Personen waren.

Aus internationalen Daten wisse er, "Schulen spielen eigentlich gar keine Rolle" bei der Verbreitung des Virus. "Kinder noch bis Mitte Mai aus der Schule draußen zu halten halte ich nicht für plausibel", sagte Sönnichsen. "Wir machen hier ein großes Experiment." Der aus Deutschland zugeschaltete Virologe Fickenscher entgegnete aber, dass von ähnlichen Krankheiten schon bekannt sei, dass Kinder zur Verbreitung beitragen.

Betreuung belastet überwiegend Frauen

Die Gender-Expertin Marita Haas ortete bei Schulen eine "nachgeordnete Priorisierung" der Regierung. Die Betreuung gehe zulasten der Frauen. Außerdem stelle sich die Frage: "Wie geht es den Kindern damit?" Auch hier "verstärken sich natürlich Ungleichheiten", sagte die Dozentin des Instituts für Bildungswissenschaften.

Kompletten Lockdown vermeiden

Die Experten-Schätzungen über die Dauer bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs gehen auseinander. Gebraucht werde eine Strategie, "die uns über die nächsten Jahre trägt", sagte Sönnichsen. "Wir können jetzt nicht alle halben Jahre wieder zusperren." Er forderte eine gute "Surveillance" (Überwachung, Anm.), und "dann müssen wir lokal reagieren, dann kann es auch mal sein, dass man eine Schule zumachen muss oder ein Pflegeheim oder eine Region". Aber ein kompletter Lockdown sei in Zukunft zu vermeiden.

"Ja, dieser Weg wird ein längerer sein", sagte Rendi-Wagner. Die Dauer sei schwer prognostizierbar, meinte Fickenscher, er "erwarte, dass es uns längere Zeit begleitet, aber dass wir besser lernen, damit umzugehen". Sönnichsen wollte die "Gefährlichkeit des Virus nicht überschätzen". Das durchschnittliche Todesalter der an Covid-19 Verstorbenen liege in Österreich über der durchschnittlichen Lebenserwartung, sagte er. Es sei aber tödlicher als Influenza, warnte Fickenscher.

Das Virus ist laut Sönnichsen "in dieser Welt, und daran werden auch in Zukunft Menschen sterben". Auch bei Verkehrsunfällen sterben Menschen, und das ließe sich ebenfalls durch drastische Maßnahmen verhindern. Man habe sich daran gewöhnt, mit gewissen Todesursachen zu leben. "Das steht uns möglicherweise mit Covid auch bevor." (APA, 20.4.2020)