Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslose (Bawo) will eine Chronifizierung der aktuellen Notlage verhindern.

Foto: Robert Newald

Wer sich schon vor Corona in einer prekären Lage befand, für den stehen die Chancen "gut", dass sich die Situation in der Krise noch einmal verschärft. Augenscheinlich wird das bei obdach- und wohnungslosen Menschen, deren Lebenssituation es ihnen in den vergangenen Wochen zumeist verunmöglichte, ihre eigene Gesundheit angemessen zu schützen. Sie haben immerhin keine eigene Wohnung, in die sie sich zurückziehen können.

Weil der öffentliche Raum für viele zu einem Ort der Verunsicherung geworden ist, drängten sich Klienten zum Teil in Notquartieren und Tageszentren – Sozialarbeiter berichteten dem STANDARD vor wenigen Wochen von zum Teil heiklen Situationen. Wiewohl durchaus Maßnahmen ergriffen wurden, die die Härte der Situation abfedern sollten: So wurde etwa in Wien das sogenannte Winterpaket um drei Monate bis August verlängert. Dadurch stehen mehr Notquartiere und somit Schlafplätze als üblich in den warmen Monaten zur Verfügung. In einigen Stätten wurde auch auf Tagesbetrieb umgestellt, sodass Klienten den Ort in der Früh nicht mehr verlassen müssen.

Keine "Chronifizierung der Notlage"

Zudem wurden auch Maßnahmen beschlossen, die Menschen davor bewahren sollten, zu Betroffenen von Wohnungslosigkeit zu werden. Wenn Mieter etwa wegen Corona in eine Notlage (etwa Arbeitslosigkeit) geraten, können sie (ausschließlich) für die Monate April, Mai und Juni 2020 ihre Miete reduzieren. Diese muss dann allerdings inklusive Verzugszinsen bis Jahresende zurückgezahlt werden. Auch Möglichkeiten zur Delogierung wurden stark eingeschränkt.

Dass diese Maßnahmen umgesetzt wurden, wird seitens der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslose (Bawo), dem österreichweiten Dachverband der Wohnungslosenhilfe, "begrüßt", wie es in einem offenen Brief an die Regierung, der dem STANDARD vorliegt, heißt. Doch nun fordert die Bawo, der unter anderem die Wiener Landesorganisationen der Caritas, Volkshilfe, Arbeitersamariterbund und Rotes Kreuz angehören, ein paar Schritte weiter zu gehen: Es seien nun "umfassende Maßnahmen notwendig, um eine nachhaltige Verschlechterung der Lebensbedingungen von derzeit obdach- und wohnungslosen Menschen zu vermeiden, eine Chronifizierung der Notlage Wohnungslosigkeit zu verhindern und einem Anstieg der Anzahl von Betroffenen entgegenzuwirken".

Rekord an Arbeitslosen

Man gehe von einem "substanziellen Anstieg von Obdachlosen" aus, sagt Bawo-Obfrau Elisabeth Hammer zum STANDARD und verweist auf knapp 600.000 Menschen, die schon jetzt ihre Arbeit verloren haben. Die Bawo beruft sich dabei auch auf Erfahrungswerte nach der Finanzkrise 2008: Fünf Jahre danach gab es um 5.000 mehr Obdachlose, die offiziell registriert wurden. Robert Blum, Delogierungsexperte der Bawo, rechnet mit einem Anstieg der Zahlen um etwa ein Drittel im selben Zeitraum. Laut aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2018 sind 22.000 Menschen als wohnungs- oder obdachlos erfasst.

Blum berichtet außerdem von ersten Räumungsklagen und Gerichtsterminen, die bereits für die Zeit nach dem Hochfahren der Gerichte festgesetzt wurden. Da würden sich auch Fälle dabei befinden, deren Mietrückstände zum Teil in die Zeit der Corona-Krise fallen würden.

Zugang zur Gesundheitsversorgung

Um dem entgegenzuwirken, fordert die Bawo die Errichtung eines bundesweiten Härtefallfonds zur Wohnungssicherung. Ein solcher solle "analog zum Fonds für UnternehmerInnen" installiert werden und "armutsgefährdeten Menschen mit hoher Wohnkostenbelastung Zuschüsse gewähren". Der konkrete Vorschlag lautet, dass Haushalte, die mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnen ausgeben müssen und laut Definition der Statistik Austria armutsgefährdet sind, Anspruch auf Leistungen aus dem Fonds haben, und zwar in der Höhe von 50 Prozent der Miete für die Dauer von einem Jahr.

Um die Situation "strukturell zu verbessern", finden sich weiters im Forderungskatalog der Bawo: ganzjähriger Ganztagesbetrieb von Notschlafstellen mit adaptierten Standards zur Einhaltung von Abstands- und Hygienemaßnahmen, unbefristete Mietverhältnisse sollen wieder zur Regel werden, restriktive Zugänge für Drittstaatsangehörige beseitigt, die Höhe der Sozialhilfe auf ein "armutsfestes Niveau" angehoben werden. Zudem betont Obfrau Hammer die besonders aktuell dringend notwendige niederschwellige Gesundheitsversorgung: "Wer jetzt hustet und Fieber hat, darf keine Angst davor haben, einen Arzt aufzusuchen." (Vanessa Gaigg, 1.5.2020)