Es sind trübe Aussichten, die EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni vor allem seinen Landsleuten in Italien präsentierte.

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Die Vorlage der Wirtschaftsprognosen war in Vor-Corona-Zeiten stets Routine in der EU-Kommission. Jedes Quartal werden für jedes EU-Land die wichtigsten Zahlen präsentiert, die dann die Basis für die gemeinsamen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen bilden.

Mit der Ruhe ist es nun vorbei. Es wird mindestens bis Ende 2021 dauern, die Einbrüche durch die Corona-Krise einigermaßen abzufangen – und das nur im Bestfall und bei einer Handvoll Staaten wie Deutschland, Österreich, Luxemburg und in Nordeuropa. Vor allem Italien, Griechenland, Spanien und – etwas abgeschwächt – auch Frankreich droht hingegen ein jahrelanges Verharren auf der Kriechspur, sofern die Union nicht kräftig gegensteuert.

Filmriss im Binnenmarkt

Das war die Kernaussage des für Wirtschaft und Währung zuständigen Kommissars Paolo Gentiloni Mittwoch in Brüssel. Was er präsentierte, gleicht einem Filmriss im Binnenmarkt der Union, und er betrifft praktisch alle Mitglieder. Die Schätzungen sprengen alles, was es an Superlativen je gegeben hat – leider im Negativen. Demnach wird die Eurozone (statt des bisher erwarteten Wachstums von 1,2 Prozent) auf ein Minus von 7,7 Prozent kommen (EU-27: minus 7,4). Im Jahr 2021 könnte es dann mit 6,3 Prozent Wachstum aufwärts gehen, sofern nicht weitere Rückschläge wie eine globale Finanzkrise oder eine starke zweite Corona-Welle die Lage noch verschlimmern.

Aber: Neben der hohen Arbeitslosigkeit (2020: neun statt 6,3 Prozent in der Eurozone) und einigen globalen Faktoren wie der Ölkrise droht der EU eine noch größere Gefahr als die starke Rezession: das zunehmende Auseinanderdriften der Währungsunion. Gentiloni sprach von der tiefsten Krise der EU seit ihrem Bestehen, Europas Wirtschaft sei "über Nacht um ein Drittel gefallen". In Zahlen: Italien erwartet beim Wachstum ein Minus von 9,5 Prozent, dem 2021 ein Wachstum von 6,5 Prozent folgen soll, in Spanien minus 9,4 Prozent (2021: plus sieben). Nur etwas besser ist Frankreich (minus 8,2/plus 7,4). Gleichzeitig explodieren dort die Staatsschulden (Italien: 159 Prozent BIP, Griechenland: 196, Frankreich: 116). Die Budgetdefizite klettern durch Hilfszahlungen auf rund zehn Prozent.

Wesentlich günstiger sieht es in Zentraleuropa und Deutschland aus. Berlin kann nach einem Minus von 6,5 Prozent beim Wachstum 2021 wieder ein Plus von 5,9 Prozent erwarten.

Relativ gut schneidet auch Österreich ab (2020: minus 5,5, 2021: plus fünf Prozent). Nur die Wirtschaft in Luxemburg und Polen bricht weniger stark ein als hierzulande. Der weniger tiefe Fall wird in Regierungskreisen als Bestätigung der Maßnahmen in der Corona-Krise gewertet, allerdings auch mit Skepsis gesehen.

Für die Union bedeutet dies, dass es maßgeschneiderte Hilfs- und Wiederaufbauprogramme wird geben müssen, sagte Gentiloni. "In den nächsten Wochen" werde die Kommission auch den darauf abgestimmten Plan für das EU-Rahmenbudget bis 2027 vorlegen. Wie berichtet, drängt vor allem Italien auf ein Hilfsprogramm von zusätzlich 1,5 Billionen Euro, will Zuschüsse statt nur Kredite.

Der Kommissar betonte, dass die erwartete relative Erholung bis Ende 2021 noch ein günstiges Szenario sei. Vor allem im Tourismus und beim Konsum geben es wegen der Corona-Einschränkungen große Ungewissheiten. Zudem sorgt man sich um die Arbeitslosigkeit, die in den südlichen EU-Staaten deutlich über die Zehn-Prozent-Marke steigen könnte. (Thomas Mayer aus Brüssel; 7.5.2020)