Natürlich könne Österreich mit weniger Spitalsbetten auskommen, sagt der Sozialdemokrat Hacker: "Wenn man ein Gesundheitssystem will, wo die Geldbörse des Einzelnen zählt."

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Isolierstation im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien: Kommen die Spitäler trotz Corona mit weniger Betten aus? Fachleute beantworten die Frage mit Ja.

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Peter Hacker ist schwer zu stoppen, die Einwände folgen Schlag auf Schlag. Das Thema, so ist beim Telefoninterview herauszuhören, hat den Wiener Gesundheitsstadtrat angestachelt. Was da von Expertenseite behauptet wird, sagt er, "ist eine völlige Fehleinschätzung".

Der Stadtpolitiker spricht einen Bericht des STANDARD an, der einer seit Ausbruch der Corona-Krise schwelenden Debatte eine neue Wendung gegeben hat. Immer wieder hatten Sozialdemokraten wie Hacker darauf hingewiesen, dass die Pandemie den Rechnungshof und diverse Experten Lügen gestraft habe, die stets einen Abbau der im internationalen Vergleich vielen Spitalsbetten gefordert hatten. Nun aber erhob Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) Einspruch: Dass Österreich gut über die Runden gekommen ist, habe nichts mit der Bettenzahl zu tun – eine Kürzung sei nach wie vor sinnvoll.

Als Beleg zitiert Czypionka die Zahlen vom Dashboard des Gesundheitsministeriums: Die für Corona-Patienten verfügbaren Normalbetten – im Fachjargon Akutbetten – waren seit Anfang April an keinem Tag zu mehr als fünf Prozent belegt, die Auslastung der Intensivbetten lag bei maximal 26 Prozent. Das Land wäre auch mit der Hälfte der Betten ausgekommen, urteilt der Experte.

Orakel von Delphi statt Bibel

Hacker teilt diese Meinung kein bisschen. "Das Dashboard ist in diesen Zeiten mehr das Orakel von Delphi als die Bibel", kontert der Stadtrat, dessen Meinung sich mit jener der Ärztekammer trifft. Man könne doch nicht ignorieren, dass die Spitäler tausende Operationen verschoben hätten, um Kapazitäten für den Fall des Falles freizuhalten: "Das nun als Beweis dafür herzunehmen, dass Spitalsbetten überflüssig sind, ist kindisch."

Geringe Auslastung schön und gut, schickt Hacker nach, aber was, wenn die Fallzahlen stärker gestiegen wären? "Eine Verdreifachung ist in einer Pandemie nicht verwunderlich, dann sieht die Welt anders aus", argumentiert er: "So aber konnten die Wiener Spitäler die Krise in Ruhe bewältigen. Kein Patient musste zu früh die Intensivstation verlassen."

Der Verweis auf internationale Vergleiche reizt den Sozialdemokraten nur noch mehr. Natürlich könne Österreich auch mit viel weniger Spitalsbetten auskommen, wirft er zurück, "wenn man ein Gesundheitssystem will, wo die Geldbörse des Einzelnen zählt. Ein Auto kann ja auch auf drei Rädern fahren. In der Kurve könnte es halt gefährlich werden."

Gesünder außerhalb des Spitals

Den Qualitätsverlust stellen Kritiker wie Czypionka allerdings in Abrede und fordern keine reine Einsparung, sondern eine "Umschichtung" des Geldes in andere Leistungen: Viele Patienten könnten außerhalb der Krankenhäuser nicht nur günstiger, sondern auch erfolgreicher versorgt werden. Als klassisches Beispiel gelten Zuckerkranke. Statt Diabetes frühzeitig in Arztpraxen zu behandeln, werde so lange zugeschaut, bis die Betroffenen als schwere Fälle im teuren Spitalsbett landen.

Auch gegen Pandemien sei Vorsorge auf niederschwelliger Ebene die bessere Investition. Die überlasteten Spitäler in anderen Ländern erklärt Czypionka mit anderen Faktoren als der Bettenzahl. In Italien etwa sei für die dramatische Situation entscheidend, dass so viele junge Menschen mit den Eltern zusammenleben und diese angesteckt haben.

Aus der Fachwelt erntet der IHS-Forscher viel Zuspruch. Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer gibt dem Befund zu den überzähligen Spitalsbetten ebenso recht wie der Public-Health-Experte Martin Sprenger.

Deren Kollegin Maria Hofmarcher-Holzhacker tut das nur zum Teil. Natürlich gebe es die Notwendigkeit von Kapazitätsanpassungen, sagt die Expertin auf Anfrage der APA, aber die hohe Bettenzahl habe in der Corona-Krise vertrauensbildend gewirkt: "Das halte ich atmosphärisch für wichtig." Außerdem müsse erst die ambulante Versorgung ausgebaut werden, bevor bei den Spitalsbetten angesetzt wird.

Die Jünger der Privatisierung

Darauf pocht auch Hacker. Wenn die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) für die ambulante Versorgung Ausbaupläne vorlege, "die zum Niederknien sind", könne man über weniger Betten in Krankenhäusern reden: "Aber ich halte nichts davon, erst einen Mangel zu erzeugen."

Statt eines Ausbaus befürchtet der Landespolitiker das glatte Gegenteil. Weil Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wegen der Wirtschaftsflaute ausfallen, "wird im Gesundheitssystem heuer ein riesiges Defizit entstehen", sagt er, allein in der ÖGK könnte das Minus eine Milliarde und mehr betragen: "Und schon rücken die Jünger aus, die das Heil in einer Privatisierung sehen." Dass die türkis-grüne Regierung ein paar Pflegerinnen per Zug ins Land hole, sei "herzig", aber nur eine von vielen Nebensächlichkeiten, während Entscheidendes offenbleibe: "Ich vermisse einen Plan, wie die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten wird." (Gerald John, 11.5.2020)