An der Universität Wien haben sich die linken Fraktionen in der ÖH-Koalition zerkracht.

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Die linke Koalition in der Österreichischen Hochschülerschaft an der Uni Wien (ÖH Uni Wien) ist am Mittwochabend überraschend geplatzt. Inmitten der zweijährigen Amtsperiode hat der Verband sozialistischen Student_innen (VSStÖ) die Zusammenarbeit mit den Grünen & Alternativen Student_innen (Gras) und der kommunistischen Liste KSV-Lili aufgekündigt. Über die Ursachen des Bruchs gehen die Auffassungen der Fraktionen weit auseinander.

Jasmin Chalendi, die sozialistische Vorsitzende der ÖH Uni Wien, wirft den nunmehrigen Ex-Partnern vor, den Sozialtopf "systematisch zu sabotieren". Gras und KSV-Lili widersprechen dieser Darstellung energisch und empören sich darüber, dass der VSStÖ versucht habe, die Macht in den Gremien an sich zu reißen und dort eine "Alleinherrschaft" zu etablieren. Im Vorfeld der Sitzung der Universitätsvertretung am Donnerstag liegen die Nerven blank, auch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten von VSStÖ mit der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft steht im Raum.

Streit um Geldtöpfe

Was war passiert? Laut VSStÖ dreht sich der Konflikt rund um die Aufstockung der Gelder für Studierende, die durch die Coronavirus-Krise in soziale Notlagen geraten sind. Um hier zu helfen, habe der VSStÖ zusätzliche 500.000 Euro für den Sozialtopf verwenden wollen, um die massiv gestiegenen Anträge bedienen zu können. Im Normalfall ist der Sozialtopf mit 87.000 Euro dotiert. Das Geld habe man durch eine Auflösung von Rücklagen freimachen wollen. Dieses Vorhaben sei von den Koalitionspartnern jedoch im Finanzausschuss abgelehnt worden. "Wir sind enttäuscht, dass die bedrohten Existenzen vieler Studierenden nicht ernst genommen wurden", sagt Marianne Hofbauer vom VSStÖ zum STANDARD. Gras und KSV-Lili hätten auch weitere Einigungsversuche in der vergangenen Woche boykottiert, daher habe man die Koalition beenden müssen.

Die angesprochenen Fraktionen halten die Begründung mit dem Sozialtopf für vorgeschoben. Man habe sich auf eine Dotierung des Sozialtopfs mit 250.000 Euro aus Rücklagen schon längst geeinigt, der Vorschlag einer Verdoppelung sei jedoch willkürlich erfolgt. Gras und KSV-Lili wollten weitere Mittel lieber in einen anderen Topf fließen lassen, um konkrete Projekte zu fördern. Eine schlechtere Ausstattung des Projekttopfs zugunsten des Sozialtopfs wäre ein "Schlag ins Gesicht gewesen", sagt Paul Benteler von der Gras zum STANDARD. Ähnlich sieht das der KSV-Lili: Die Förderung von "kämpferischen Initiativen und Projekten zur Selbstorganisation" sei wichtig, um gemeinsam Druck auf die Regierung aufzubauen.

VSStÖ schlug mehr Macht für VSStÖ vor

Die beiden ohne gemeinsame Mehrheit verbliebenen Koalitonspartner Gras und KSV-Lili wittern hinter dem Koalitionsbruch keine sachlichen Gründe, sondern machiavellistische Anwandlungen beim VSStÖ. Zum Beleg verweisen sie auf ein Papier, das der VSStÖ ihnen diese Woche als Ultimatum zur Unterschrift vorgelegt habe. Darin ist tatsächlich eine auffällige Verschiebung von Entscheidungskompetenz in Richtung VSStÖ enthalten. Bisher musste im Konsens entschieden werden. Nun schwebte dem VSStÖ die Option eines Abrückens von dieser Regel vor: Sofern kein Konsens in der Koalition zustande kommt, hätte eine Abstimmung im Koalitionsrat entscheiden sollen. Dadurch hätte der VSStÖ als stärkste Fraktion de facto allein seine Vorstellungen durchsetzen können, zumal das letzte Wort bei der Vorsitzenden liegen hätte sollen, "nachdem sie jene Person ist, die primär für alle Projekte et cetera der ÖH Uni Wien haftet", wie es in dem Papier heißt.

Künftiger Vorsitz rot statt grün

Laut ursprünglicher Koalitionsvereinbarung hätte der Vorsitz der ÖH Uni Wien demnächst vom VSStÖ an die Gras wandern sollen. Doch nun wollte der VSStÖ den Chefposten nicht räumen und bis zur nächsten ÖH-Wahl in einem Jahr den Vorsitz für sich reklamieren, weil in Corona-Zeiten "für bestmögliche Kontinuität" gesorgt werden müsse. Den anderen Fraktionen erschien dieser Vorschlag als Affront: "Das widerspricht allen bisherigen Abmachungen und hätte dem VSStÖ die alleinige Macht gegeben. Das war für uns natürlich nicht hinnehmbar", erklärt Gras-Aktivist Benteler. Der VSStÖ bestätigt zwar gegenüber dem STANDARD die Authentizität des Papiers, es habe sich aber um kein fixes Ultimatum, sondern eine Diskussionsgrundlage gehandelt.

Hoffen auf Mehrheit – mit der AG?

In der Sitzung des Universitätsrats am Donnerstag will der VSStÖ seinen Antrag zur Aufstockung des Sozialtopfs erneut einbringen. Eine Zustimmung der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft (AG) würde für einen Beschluss reichen, was Spekulationen über eine VSStÖ-AG-Allianz nährt, die bisher als No-Go unter linken Studierendenvertretern galt. VSStÖ-Aktivistin Marianne Hofbauer dementiert Absprachen mit der AG: "Was die AG macht, wissen wir nicht, wir hoffen aber, dass andere Fraktionen mit unserem Antrag mitgehen." Zu den Mehrheitsverhältnissen nach der ÖH-Wahl im Mai 2019: Der VSStÖ hat zehn, die Gras acht und der KSV-Lili zwei Mandate in der Universitätsvertretung, die AG hat fünf Vertreter.

Einigen sich Gras und VSStÖ nicht, führt also für keine der beiden Fraktionen der Weg an der AG vorbei. "Wir finden das linke Chaos an der ÖH Uni Wien absolut erschreckend", heißt es von dieser auf Anfrage. Gerade in "diesen schwierigen Zeiten" bräuchten die Studierenden eine stabile und funktionierende Interessensvertretung. Und weiter: "Was hier passiert, ist reine Kindergartenpolitik. Wir sind bereit, mit allen zu sprechen, die daran interessiert sind, gute Arbeit für die Studierenden zu leisten". Ähnlich äußerten sich die liberalen Junos, die allerdings nur zwei Mandate haben. Es brauche eine "Koalition, die nicht an sich selbst denkt, sondern an die Studierenden. Dafür stehen wir und das erwarten wir uns auch von allen anderen Fraktionen", sagt Junos-Vorsitzender Stephen Slager.

Probleme mit Social-Media-Zugängen

Momentan herrscht internes Chaos in der ÖH der Uni Wien. Julia Spacil ist seit sechs Jahren im antifaschistischen Referat der ÖH an der Uni Wien tätig und pflegte bisher zu allen drei Koalitionsfraktionen gute Kontakte, wie sie sagt. Das Agieren des VSStÖ hält sie für einen "sehr schlechten politischen Stil"; niemand wisse, wie es jetzt weitergeht, das langjährige Projekt einer linken ÖH sei mutwillig aufs Spiel gesetzt worden. "Eine handlungsunfähige ÖH ist das Schlechteste, was jetzt in der Krise passieren kann." Spacil kritisiert auch, dass der VSStÖ am Mittwochabend sofort die Zugänge zu allen Social-Media-Kanälen der ÖH an sich gerissen habe: "Mein Zugang funktioniert auch nicht mehr." Beim VSStÖ kann man sich die blockierten Zugänge auf STANDARD-Anfrage nicht wirklich erklären. Man wisse aber über das Problem Bescheid und werde im Referat für Öffentlichkeitsarbeit danach trachten, die Zugänge wieder zur Verfügung zu stellen.

Keine Party

Im nun wertlos gewordenen Koalitionsprogramm findet sich übrigens als letzter Punkt eine Party, um "20 Jahre linke ÖH Uni Wien" zu feiern. Man soll Jubiläen nie zu früh planen. Nach rund 19 Jahren ist die linke Exekutive an ihr Ende gelangt. (Theo Anders, 28.5.2020)