In den 90ern holte der SPÖ-Politiker Krainer einen festgehaltenen irakischen Kurden zurück nach Wien. Das wissen selbst nur die wenigsten Parteigenossen.

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So oft wie in den vergangenen Wochen hat man von Kai Jan Krainer wohl noch nie etwas gehört. Der SPÖ-Abgeordnete hatte in letzter Zeit aber auch einen ziemlichen Lauf.

Ende Mai stellte Krainer genüsslich Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) im Parlament bloß. Türkis-Grün war gerade dabei, ausgabenseitig nicht 102 Milliarden Euro, sondern etwas mehr als 102.000 Euro im Zuge der Corona-Krise zu beschließen. Dass Krainer auf diesen Formalfehler aufmerksam machte, ärgerte das Ministerium so sehr, dass es eine E-Mail mit dem Betreff "Die Geschichte wiederholt sich – ist Krainer schon passiert" samt Dokumenten auch an den STANDARD versandte. Es folgte eine Debatte für Detailverliebte.

In der Partei rätselt so mancher Genosse ein wenig, warum die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner diesen Coup nicht selbst politisch auskosten wollte. Krainer informierte Rendi-Wagner davor, sie ließ ihn machen, und Krainer heimste die Lorbeeren ein.

Aus Liebe zur Verfahrensordnung

Dem Finanzressort war Krainer jedenfalls schon früher ein Dorn im Auge, wie kurze Zeit später bekannt wurde. Als Krainer 2017 den Verdacht äußerte, dass KTM-Chef und ÖVP-Großspender Stefan Pierer vor einem neuen Steuerabkommen Gelder aus Liechtenstein nach Österreich transferiert haben könnte, schlug Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) seinem damaligen Kabinettschef Thomas Schmid per SMS vor, zu argumentieren, dass Krainer "die Arbeit von Silberstein übernimmt".

Abgesehen davon ist Krainer ein auffälliger Fraktionsführer der SPÖ im laufenden Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre. Sein amouröses Verhältnis zur Geschäfts- und Verfahrensordnung kann zu einer minutenlangen Sitzungsunterbrechung führen. Krainer erklärt Auskunftspersonen auch schon einmal die Aussageverweigerungsgründe in ziemlicher epischer Breite samt Ausschlussargumenten, wenn er eine Antwort erstreiten will.

Werken im Hintergrund

Ein Parteigenosse beschreibt die jüngsten Ereignisse als einen Durchbruch Krainers. Das klingt fast so, als handle es sich hier um junges Talent, dem noch eine große Karriere bevorsteht. Nur ist Krainer seit bald 18 Jahren im Parlament, seine Zeit in der Parteijugend ist seit 1993 vorbei.

Dass der heute 51-jährige Krainer bis zu seiner Zeit als Fraktionsführer diverser U-Ausschüsse selbst politischen Kennern nicht unbedingt der Geläufigste war, hat vielleicht auch damit zu tun, dass er das Rampenlicht zwar nicht scheut, aber auch nicht danach lechzt. Krainer habe schon in der Sozialistischen Jugend (SJ) eher im Hintergrund gearbeitet, daran habe sich nichts geändert, erinnert sich der ehemalige SPÖ-Klubobmann Josef Cap, dessen Zeit als SJ-Vorsitzender sich mit den politischen Anfängen Krainers in den 80ern überschnitt.

Diese Eigenschaft, sich nicht zwingend in Szene setzen zu müssen, lässt sich anhand einer Anekdote ganz gut festmachen, die selbst enge Parteikollegen nicht kennen. Der ein oder andere Politiker hätte wohl versucht, damit eine Schlagzeile zu ergattern.

Eine Rückholaktion

Krainer holte in den 90er-Jahren einen irakischen Kurden zurück nach Österreich. Dieser lebte schon länger mit Frau und zwei Kindern in Wien. Bei einer Reise in den Irak, die damals nur über die Türkei möglich war, wurde der Kurde in einer Grenzstadt festgehalten. "Bei einer Durchsuchung fanden sie Tonbandkassetten mit kurdischer Volksmusik, dann haben sie ihn eingesperrt", erzählt Krainer, damals Bezirkssekretär in der SPÖ Wien Landstraße.

Obwohl schon ein österreichischer Botschaftssekretär vor Ort war, konnte der Kurde nicht ausreisen. Davon erfahren hat Krainer von Kurt Heindl. Heindl war damals Parteivorsitzender in der Landstraße und sammelte zu Zeiten Bruno Kreiskys im Außenressort wichtige Kontakte. "Aber meine Rolle war lächerlich, auch wenn das mit 25 Jahren aufregend war", sagt Krainer. "Ich musste nur mit ihm in das Flugzeug einsteigen." Bloß der zivile Sicherheitsmitarbeiter mit Sonnenbrille vor dem Flugzeugeingang habe komisch geschaut. Der Kurde wurde davor schon ein paar Mal aus dem Flugzeug gefischt.

Im Grunde ging es bei der Aktion nach Krainers Einschätzung eher um die Symbolik, dass jemand extra aus Wien anreist, um den Kurden abzuholen. "Das wirklich Schöne an der Geschichte war in Wien-Schwechat, als ich gemerkt habe, welche Sorge da war und welche Freude, dass sich die Familie wiedersieht." Krainer war nie mehr in der Türkei und will das auch nicht nachholen.

Diese Erfahrung war aber nicht der Grund, warum Krainer einige Jahre später seine Parlamentskarriere als Integrationssprecher begann. Das hat eher mit seiner persönlichen Lebensgeschichte zu tun.

Wien, Kalifornien, Wien

Krainer verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in Amerika, genauer in Palo Alto in Kalifornien. Seine Mutter ist Amerikanerin, wurde in Oklahoma geboren und wuchs in Omaha auf. Letzteres sei laut Krainer "wie Gramatneusiedl" mit Luftwaffenstützpunkt. Die Mutter ging für das Germanistikstudium nach Wien und lernte Krainers Vater kennen. Als es zur Scheidung kam, nahm Krainers Mutter die drei Kinder aus der Beziehung mit in die USA, verliebte sich in eine Frau und zog mit ihr zusammen, als Krainer acht Jahre alt war. Krainer wollte zurück nach Wien, weil er die USA für eine "gewalttätige Gesellschaft" hält, später setzte der Vater eine Vormundschaft durch. "Dann hatte ich die Erfahrung, als Zehnjähriger ins Gymnasium zu kommen, ohne Deutsch lesen und schreiben zu können", sagt Krainer. "Ich weiß ein bisschen, wie das ist, wenn man nicht versteht, was andere sagen und selbst nicht besonders gut verstanden wird." In der Schule wurde Krainer mit einem Zweiten zusammengesetzt, der die Sprache ebenso wenig konnte. "Das war nie anders."

In Wien hatte Krainer den pathetischen Drang, die Welt verändern zu wollen. Er dockte 1981 bei der SJ an. Als ihm die eine Gruppe im dritten Bezirk zu viel Party und zu wenig Politik machte, wechselte er weiter zu einer anderen. "Party war nicht so meins", sagt Krainer. Bei der Parteijugend "erfand" er die Umweltwochen im Waldviertel. Die jungen Sozialisten analysierten Proben und diskutierten über Klimawandel und Tierhaltung. Nach zwei Jahren im Parlament wird Krainer Umweltsprecher. "Ich beschäftige mich mit politischen Fragen, seit ich ein Teenager bin und habe damit nie aufgehört." 2007 wurde er von Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer angerufen und der ließ ihm keine Wahl. Krainer wurde Budgetsprecher, was er bis heute ist. Sein Studium der Wirtschaftsinformatik an der Uni Wien schließt er nicht annähend ab. Die unzähligen Paragrafen und Budgetregeln hat er sich selbst angelernt.

Schon vorab kein Minister

Es gibt vor allem ein Wort, mit dem Krainer beschrieben wird: pingelig. Das sei der Grund, warum er die fehlenden Nullen im Budget findet. Den jüngsten Erfolg schiebt er aber einem seiner Mitarbeiter zu. Das Pingelige könne aber auch lästig sein, erzählt ein Genosse. Wenn man Kompromisse eingehen möchte, und Krainer nicht will, könne das in stundenlange Diskussionen ausarten. "Das ist sicher manchmal mühsam, aber ich bilde mir meine Meinung nicht in fünf Minuten", sagt Krainer. "Da müssen schon gute Argumente her." Wenn er einen Fehler beim Gegenüber erkennt, kann er sich daran auch ziemlich festbeißen. Für die minutenlangen Reden über die Geschäftsordnung empfinden die anderen Fraktionen im Ibiza-U-Ausschuss nicht nur Hochachtung.

In gewisser Weise hat Krainer aber als Fraktionsführer der SPÖ bei U-Ausschüssen – begonnen mit jenem über Banken 2007 – etwas gefunden, das einem Teil seiner Persönlichkeit besonders entspricht. Das pingelige Lesen von unzähligen Akten. Wären da nicht die Interviews, die ihn davon abhalten. "Es gehört halt zum Job dazu, dass man auch die Sachen macht, die man nicht so gern macht", sagt Krainer.

Wegbegleiter beschreiben Krainer als einen geborenen Parlamentarier. Innerparteilich gilt er als loyal und nicht als Aufmüpfiger. Wenn in der SPÖ Feuer am Dach ist, erfährt man von ihm als Journalist eher nichts. Nur für ein Jahr begab er sich 2014 in andere politische Sphären und arbeitete zusätzlich 20 Stunden als wirtschaftspolitischer Berater von Ex-Kanzler Werner Faymann. Als Krainer einmal medial als Minister gehandelt wurde, will er intern gleich vorab aus familiären Gründen abgesagt haben. "Minister sein muss man wollen", sagt er. Und in die erste Reihe muss Krainer ja nicht unbedingt. (Jan Michael Marchart, 20.6.2020)