Das Insurance Institute for Highway Safety, kurz IIHS, kommt in einer aktuellen Studie zum Ergebnis, dass autonom fahrende Autos nur ein Drittel der Unfälle verhindern werden können – vor allem dann, wenn diese Fahrzeuge den Menschen sehr ähnlich fahren sollen. Das IIHS ist ein unabhängiges Non-Profit-Unternehmen mit Sitz in Arlington, Virginia, und wird von Versicherungen finanziert.

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Es gibt kaum einen Fahrzeughersteller, der nicht intensiv am autonom fahrenden Auto arbeitet. Eine aktuelle Studie aus den USA geht nun davon aus, dass diese nur ein Drittel der Unfälle verhindern können, wenn sie zu sehr wie Menschen fahren.
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"Es ist wahrscheinlich, dass vollständig selbstfahrende Autos Gefahren besser erkennen als Menschen, aber wir haben festgestellt, dass dies allein den Großteil der Unfälle nicht verhindern würde", sagt Jessica Cicchino, IIHS-Vizepräsidentin für Forschung und Mitautorin der Studie. Sie widerspricht damit der Hoffnung, dass durch selbstfahrende Fahrzeuge Verkehrsunfälle eines Tages der Vergangenheit angehören werden. Und das obwohl die Studiendaten – man untersuchte 5.000 Unfälle, bei denen ein Fahrzeug abgeschleppt werden musste oder ein Rettungsdienst gerufen wurde – belegen, dass in neun von zehn der Unfallszenarien Fahrfehler der Grund für den Crash waren.

Sicherheit vor Komfort und Geschwindigkeit

Die Studie zeigt trotzdem, dass nur etwa ein Drittel dieser Unfälle auf Fehler zurückzuführen ist, die von automatisierten Fahrzeugen vermieden hätten werden können, auch wenn diese eine genauere Wahrnehmung haben als menschliche Fahrer und nicht anfällig für Ablenkungen sind. Um die anderen zwei Drittel zu vermeiden, müssten sie speziell programmiert werden, um Sicherheit vor Geschwindigkeit und Komfort zu stellen.

Manche Unfälle sind gänzlich unvermeidbar, etwa solche, die durch technische Gebrechen auftreten – denken wir an Reifenplatzer oder Achsbrüche. Hinzu kommen würden bei autonom fahrenden Autos Unfälle durch Abstürze der Rechner ohne Fehlberechnungen. Wegfallen würden der Studie zufolge also jene 24 Prozent der Unfälle, die auf Wahrnehmungsfehler, und jene zehn Prozent, die auf einer Handlungsunfähigkeit basieren.

Der Uber-Crash als Exempel

"Der Bau selbstfahrender Autos, die genauso gut fahren wie Menschen, ist an sich schon eine große Herausforderung", sagt die IIHS-Wissenschaftlerin Alexandra Mueller, Hauptautorin der Studie. "Aber sie müssten tatsächlich besser sein, um die Versprechen zu erfüllen, die wir alle gehört haben." Sie erinnert dabei etwa an "den Unfall eines Uber-Testfahrzeugs, bei dem im März 2018 in Tempe, Arizona, ein Fußgänger getötet wurde. Das automatisierte Fahrsystem hatte zunächst Probleme, die 49-jährige Elaine Herzberg am Straßenrand korrekt zu identifizieren. Nachdem dies der Fall war, konnte es immer noch nicht vorhersagen, dass die Frau vor dem Fahrzeug die Straße überqueren würde und konnte nicht das richtige Ausweichmanöver fahren."

In der untersuchten Stichprobe waren Geschwindigkeitsübertretungen und verbotene Fahrmanöver der Grund für rund 40 Prozent der Unfälle. Die Experten schließen aus der Tatsache, dass absichtliche Entscheidungen von Lenkerinnen und Lenkern zu Unfällen führen und "Fahrerpräferenzen manchmal im Widerspruch zu den Sicherheitsprioritäten autonomer Fahrzeuge stehen können". Sollen autonom fahrende Fahrzeuge also ihr Versprechen, die meisten Unfälle zu verhindern, erfüllen wollen, müssen sie nicht nur penibel alle Verkehrsregeln einhalten, sondern auch langsamer fahren, als Menschen das etwa in einem Gebiet mit vielen Fußgängern oder bei schlechten Sichtverhältnissen tun würden.

Ablenkung als Unfallgrund in Österreich

In Österreich zeichnet die Unfallforschung ein etwas anderes Bild als in den USA. Die Unfallstatistik für 2019 weist in 32,4 Prozent der Unfälle Unachtsamkeit oder Ablenkung als Unfallursache aus. Ein Problem dabei: die Anzahl der Gegenverkehrsunfälle. 2019 starben 139 Personen, weil sie selbst oder der Unfallgegner in den Gegenverkehr gerieten.

Eine aktuelle Fahrstudie des Mobilitätsclubs, die gemeinsam mit dem ADAC im ÖAMTC-Fahrtechnik-Zentrum Teesdorf mit 45 Probanden durchgeführt wurde, untersuchte mögliche Auswirkungen unterschiedlicher Nebentätigkeiten auf das Fahrverhalten und die Verkehrssicherheit beim Lenken von Pkw, Fahrrad und E-Tretroller. Im Rahmen der Studie konnten etwa beim Hantieren mit Gegenständen, dem Trinken aus der Wasserflasche, der Verwendung des Smartphones sowie der Nutzung des Navis während der Fahrt gravierende Beeinträchtigungen der Fahraufgabe nachgewiesen werden – unabhängig vom Fahrzeugtyp. Besonders auffällig waren in den Tests "gravierende Spurhaltefehler, eine veränderte Fahrdynamik, verminderte Handzeichensetzung und eine reduzierte Anhaltebereitschaft an Hindernissen und Verkehrszeichen", heißt es in einer Aussendung des ÖAMTC.

"Wir haben unsere Probanden im Zuge von Testfahrten vor Aufgaben gestellt, die in der Realität häufig durchgeführt werden. Dabei konnten wir aufzeigen, dass ablenkende Tätigkeiten zu massiven Fahrfehlern führen. So wären neun von zehn Autofahrern mit einem plötzlich auftauchenden Hindernis kollidiert, und mehr als ein Drittel der Probanden überfuhr zumindest einmal die Mittellinie, was in einer realen Situation dazu führen würde, dass sie zwischen dreieinhalb und vier Sekunden im Gegenverkehr landen", erklärt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. "Jede ablenkende Tätigkeit, die wir untersucht haben, so banal diese auch erscheinen mag, hatte messbare Auswirkungen auf das Fahrverhalten." Kommt hinzu, dass sich die Versuchspersonen dabei oft besser eingeschätzt haben, als sie tatsächlich waren.

Sensibilisierung

Der ÖAMTC hat in den Fahrtechnikkursen für das Mehrphasentraining schon Übungen und Demonstrationen zu diesem Thema implementiert, um die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dieses Thema zu sensibilisieren – das spätestens bei autonom fahrenden Autos gar keines mehr sein wird. (Guido Gluschitsch, 3.7.2020)