Motivation ist derzeit die große Herausforderung – weil alle läuferischen Pläne für dieses Jahr ins Wasser gefallen sind.

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Wien, Boston, Chicago, Berlin und New York: Fast alle großen Marathons sind 2020 abgesagt, und viele weitere Sportveranstaltungen auch. In der Corona-Pandemie sind Massenveranstaltungen wegen des zu erwartenden Gedränges bei solchen Events verständlich. Doch viele sind enttäuscht. Schließlich haben sie sich monate- oder sogar jahrelang darauf vorbereitet haben.

Der Sportpsychologe Georg Hafner von der Sportordination in Wien zeigt Verständnis: "Der Mensch ist ein soziales Wesen, deshalb sind Sportereignisse, bei denen man sich mit anderen messen kann, so spannend." Für viele Hobbysportlerinnen und Hobbysportlern ist alleine schon der Gedanke, bei einem der großen Marathons nach der Königsdistanz die Ziellinie zu überqueren, beim Training motivierend. Motivation ist derzeit die große Herausforderung, jetzt, wo alle läuferischen Pläne für dieses Jahr ins Wasser gefallen sind.

"Das Hintrainieren auf den Tag X, an dem das Rennen stattfindet, bringt bei vielen, die laufen, ja auch Struktur ins Training," erklärt Hafner. Wer sich jetzt mental nicht mehr aufraffen kann, kann in andere Sportarten "hineinschnuppern", in Yoga und Crossfit zum Beispiel. Oder, eine zweite Variante: das Training trotzdem beibehalten – und auf einen selbst festgelegten Tag X hintrainieren. Hafner empfiehlt jenen, die ohnehin auf einen Marathon trainiert haben, sich eine herausfordernde Strecke zu suchen und die 42,195 Kilometer alleine oder mit einigen laufbegeisterten Freundinnen und Freunden trotzdem zu absolvieren.

Einige Freiheiten

Ein solcher privater Laufbewerb hat einige Vorteile: Während bei offiziellen Marathons der Startschuss unabhängig von Wetter und persönlichem Befinden fällt, kann man sich bei einem privaten Marathon ein paar Freiheiten nehmen. Wenn es am angepeilten Samstag regnet, wird der Start um ein paar Tage verschoben. Wer sich am Start nicht gut fühlt, wartet ein paar Tage.

Ist der Entschluss, das Unterfangen Marathon zu probieren, erst einmal gefasst, steigt die Anspannung. Gut ist, immer wieder in sich hineinzuhören: "Je näher der Tag rückt, umso mehr spürt man, ob es stimmig ist oder ob es einen inneren Widerstand gibt", sagt Hafner. "Dann gilt es zu reflektieren, worin dieser Widerstand besteht: Ist die Distanz für mich körperlich oder mental nicht zu schaffen? Oder fühlt es sich einfach nur seltsam an, die Strecke alleine zu laufen?"

Viele haben angesichts von 42,195 Kilometer die Sorge, dass die Motivation spätestens dann ausgeht, wenn die Beine schwer werden – und der gefürchtete "Mann mit dem Hammer" auftritt. Zur Erklärung: Der in der Welt des Ausdauersports berüchtigte "Mann mit dem Hammer" bezeichnet den Moment, in dem beim Laufen der Kohlenhydratspreicher leer ist – und es für den Körper schlagartig deutlich anstrengender wird, die Leistung aufrechtzuerhalten. Dieser Moment tritt bei Marathons häufig zwischen Kilometer 30 und 35 auf.

Teil des Trainings

"Ja, die Zuschauer und die anderen Läufer motivieren in solchen Momenten, und die anderen Läufer ziehen mit", räumt Hafner. Auch die Streckenversorgung, die Getränke austeilt, ist eine große Hilfe. "Andererseits es ist eine neue mentale Herausforderung, einen Marathon ohne das Drumherum zu bewältigen. Die eigentliche Challenge ist: Schaffe ich den Marathon nur für mich?" Das sei spannend und eine gute Gelegenheit, sich selbst von einer neuen Seite kennenzulernen. Und: Man sollte den Privatmarathon als wichtigen Teil des Trainings sehen, meint Hafner: "Ultramarathonläufer wählen beim Training auch Strecken, wo sie stundenlang niemanden treffen, um mentale Stärke zu trainieren."

Die Freiheit, sich seinen eigenen Marathon zu organisieren, bedeutet außerdem, dass man nicht unbedingt exakt 42,195 Kilometer laufen muss. Es dürfen geplant auch ein paar Kilometer weniger sein – oder mehr, wenn es die Tagesverfassung zulässt: "Warum nicht gleich 50 Kilometer als Ziel setzen?", so Hafner.

Was dabei motivieren kann: der Gedanke an die großen und offiziellen Laufbewerbe, die hoffentlich bald wieder möglich sein werden. Hafner rechnet dann sogar mit mehr Teilnehmern als zuvor. Denn viele bemerken erst jetzt, wie sehr ihnen das gemeinsame Rennen abgeht. (Franziska Zoidl 26.7.2020)