Im Gastkommentar spricht die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl von einem Rückschlag, nicht dem Ende der Identitären. Diese würden neue Kommunikationswege aufbauen. In einem weiteren Gastkommentar warnt Ronald S. Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, vor grassierendem Antisemitismus auf der Plattform Tiktok.

In den vergangenen Tagen wurden die Social-Media-Auftritte der Identitären sowohl auf Twitter als auch auf Youtube ersatzlos gelöscht. Schon zuvor wurden sie von Facebook und Instagram geschmissen, wo sie nur noch ein Schattendasein in Ersatzgruppen fristen, die den Markennamen nicht mehr in sich tragen. Sie sind damit von allen relevanten öffentlichen sozialen Medien gesperrt.

Den Identitären geht es nicht um einen Austausch von Meinungen und eine Beteiligung am öffentlichen Diskurs. Ziel ist nicht das Abwägen der Argumente, um am Ende einen Konsens auf Basis von Vernunft und Wissenschaft zu erlangen. Vielmehr geht es der Neuen Rechten – zu diesem Spektrum des Rechtsextremismus gehören die Identitären – um Diskurszerstörung.

Neurechte PR-Agentur

Die Idee, politische Hegemonie durch einen Kulturkampf um Deutung – und damit Sprache – zu erringen, ist nicht neu. Sie ist ein Produkt des französischen Nachkriegsrechtsextremismus, der keine Perspektive im Straßenkampf oder dem Streben nach Wahlerfolgen gesehen hat. Vielmehr wollte man an einem "1968" für rechts arbeiten. Also einer durchdringenden Veränderung des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach rechter Logik. Durch diese nachhaltigen gesellschaftlichen Änderungen wäre in weiterer Folge auch Macht in Parlamenten und Regierungen langfristig abgesichert.

Die Identitären sind in diesem Spektrum eine der neuesten und umtriebigsten Entwicklungen. Im Gegensatz zu den älteren Generationen davor haben sie es verstanden, soziale Medien für den Zweck des Kulturkampfes zu nutzen. Das bedeutet nicht nur, einfach auf den verschiedenen Plattformen präsent zu sein, sondern vor allem die jeweilige inhärente Logik zu nutzen. Jede dieser Plattformen funktioniert anders, hat eine eigene Sprache und eine eigene Dynamik. Jede hat unterschiedliche Promis, Influencerinnen und Influencer, die es zu gewinnen gilt. Die Identitären wurden mit den Jahren zu einer Art PR-Agentur neurechter Propaganda in den sozialen Medien. Ziel ist es dabei nicht, in diskursiven Kontakt zu treten, sondern bestimmte Diskurse zu verunmöglichen. Das zeigt sich etwa bei Diskursen rund um Flucht und Migration. Hier gibt es eine ganze Menge rhetorischer Strategien, wie Wortumdeutungen, Strohmannargumente, Dog-Whistling oder Derailing, die dieses diskursive Feld nachhaltig zerstören.

Gefährliche Verschwörungserzählungen

Besonders wichtig ist den Identitären in den sozialen Medien die Verschwörungserzählung des "großen Austauschs", laut der geheime Eliten angeblich zum Schaden der weißen Bevölkerung Europas arbeiten würden, indem diese durch Migrantinnen und Migranten ausgetauscht wird. Diese Erzählung des "großen Austauschs", den es um jeden Preis zu verhindern gelte, wurde von den Terroristen in Christchurch, Halle und Hanau als Motiv genannt. Für diese Art von Terrorismus gibt es einen Namen: stochastischer Terrorismus. Die Anschläge werden nicht mehr von einer Gruppe penibel geplant, sondern es handelt sich um vermeintliche Einzeltäter. Diese Einzeltäter sind aber Teil eines dynamischen Netzwerkes, dessen Sprache und Ziel von einigen wichtigen Personen vorgegeben wird.

Martin Sellner ist einer dieser rechtsextremen Ideologen. Er und die Identitären haben diese Idee eines "großen Austauschs" und die damit verbundene Dringlichkeit in die Köpfe vieler Menschen gepflanzt. Wenn ein, zwei oder drei daraufhin zur Waffe greifen, um diesen Austausch zu verhindern, dann ist das kein bedauerlicher Zwischenfall, sondern ein folgerichtiges Resultat. Wenn davon geredet wird, dass jetzt gehandelt werden muss, weil sich böse, dunkle und übermächtige Kräfte gegen einen tapferen Rest aufrechter Patrioten verschworen haben, dann erzeugt das Dringlichkeit und Legitimation von "Notwehr". Notwehr lässt wiederum jede Art der Gewaltanwendung zu. In diesem Denken sind sie Opfer und Helden zugleich. Das ist eine gefährliche Mischung, da Gewaltakte in der eigenen Logik zu Akten der Selbstermächtigung gegen eine Unterdrückung finsterer Mächte werden. Es gibt noch viele weitere solcher Verschwörungserzählungen, etwa aktuell die QAnon-Verschwörung. Der "große Austausch" war und ist eine der wirkmächtigsten und erwiesenermaßen folgenreichsten.

Im berühmten gleichnamigen Videospiel hat die Figur Pac-Man Geister als Gegenspieler. Den Geist der Identitären versuchen nun Social-Media-Plattformen loszuwerden, indem sie ihre Accounts sperren.
Foto: Imago / Sachelle Babbar

Neue Wege

Das späte Deplatforming ist ein schmerzhafter Eingriff für die Kulturkampfstrategie der Identitären und der Neuen Rechten, kam aber nicht unerwartet. Schon seit vielen Monaten werden neue Kommunikationswege aufgebaut: Telegram- und Signal-Gruppen mit einigen 10.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Diese Plattformen funktionieren nach einer ganz eigenen Logik, vor allem bieten sie einen Rückzug in eine Teilöffentlichkeit. Damit sind die Identitären von einem direkten öffentlichen Diskurs in den sozialen Medien weitgehend ausgeschlossen. Gleichzeitig können sie ohne lästiges Publikum direkt und unmittelbar ihre Abonnentinnen und Abonnenten mit dem rhetorischen Handwerkszeug versorgen, das diese wiederum weitertragen. Dies ist vorerst ein Rückschlag, aber kein Ende der Identitären. Es bleibt abzuwarten, wie effektiv diese neuen Kommunikationswege für die Rechtsextremen sein werden.

Ist diese Sperre also gerechtfertigt? Ja, auch wenn man damit im liberalen Feuilleton keinen Eleganzpreis gewinnt. Man kann mit Faschismus aber nicht die "besseren Argumente" austauschen und ihn ganz im Sinne der Wettbewerbslogik "am Marktplatz der Ideen" besiegen. Dieses Spektrum der extremen Rechten nutzt genau diese Naivität zu seinen Gunsten aus. Dementsprechend wichtig und richtig ist es, Plattformen und Verbreitungsmöglichkeiten zu entziehen. Ganz kompromisslos. (Natascha Strobl, 19.7.2020)