C/2020 F3 thront über dem Wunderhimmel des mittleren Burgenlandes. STANDARD-Fotograf Matthias Cremer besuchte ihn dort immer wieder.

Foto: Matthias Cremer

Er heißt C/2020 F3. C ist der Nachname. Er sagt uns, dass er zur Familie jener gehört, die sich länger als 200 Jahre Zeit lassen, um wieder vorbeizuschauen. Neowise – Akronym von Near-Earth Object Wide-field Infrared Survey Explorer – wird er gerufen. Das Nasa-Weltraumteleskop Wise hat ihn am 27. März entdeckt. In der zweiten Hälfte des März (das sagt der Buchstabe F) war er der dritte seiner Art, der ins Visier genommen wurde.

Von allen aber ist C/2020 F3 zweifellos der schönste. Astronomen hat er in seinen Bann geschlagen und Hobbyastronomen, auch Fotografen und Hobbyfotografen. Matthias Cremer, STANDARD-Bildhaudegen, starrte nächtelang in den Wunderhimmel über dem Mittelburgenland. Mit feinem Objektiv. Und – das vor allem – mit erhobenem Herzen.

Schweifstern

Vielen geht es so oder so ähnlich. Trotz all der spektakulären raumfahrerischen Bravourstücke hat der Himmel sich immer noch ein bisserl Poesie herübergerettet in die entzauberte Welt. Nicht nur Verliebte liegen, sich mitsammen in die Zukunft hoffend, im Gras und zählen die Sterne. Zieht aber ein Komet übers Firmament, fallen sie nicht selten übereinander her. Man sagt, immer, wenn ein besonders schöner Schweifstern kommt, wird ein Gott geboren. Oder eine Göttin.

Komet heißt ja Haarstern, nach dem griechischen komē, Haupthaar. Wir Heutigen glauben zu wissen: Kommt der dreckige Schneeball der Sonne nahe, dampft er und zieht eine Millionen Kilometer lange Koma hinter sich her. Aber das ist nur die moderne Umschreibung dafür, dass eine Göttin von Horizont zu Horizont reitet, ihr Haar fliegend im Wind. Bei Homer, aber auch später noch, bei uns Jahr für Jahr zu Weihnachten, kann man das nachlesen. Oder es sich, besser noch, erzählen lassen.

C/2020 F3 – so erzählt man sich – ist laut Nasa-Schätzung rund fünf Kilometer groß. Er zieht seine Bahn, die 129 Grad gegen die Ekliptik geneigt ist, in einer langgezogenen Exzentrik von 0,99890. Seine Umlaufzeit um die Sonne ist oder war etwa 4420 Erdenjahre lang.

Gezerrte Exzentrität

C/2020 F3 hat uns also in der Mitte des dritten Jahrtausend vor Christus zum letzten Mal besucht. Das nächste Mal wird’s länger dauern. Saturn und Jupiter haben seine Exzentrizität auf 0,99918 gezerrt. Erst ums Erdenjahr 8709 werden wir C/2020 F3 wieder zu Gesicht bekommen. Dann allerdings wohl unter anderem Namen.

All das erstaunliche Himmelswissen ist uns errechnet worden. Die Mathematik war der Versuch, Göttersprache zu lernen. Ein paar Vokabel beherrschen wir. An der Grammatik hapert’s. Wir radebrechen noch.

Als C/2020 F3 zuletzt da gewesen ist, haben die Ägypter begonnen, die Pyramiden zu bauen. Gilgamesch, mutmaßt man, war König von Uruk. Im 17. Jahrhundert hat der Ire James Ussher – zur ewigen Warnung für die irdischen Gotteslinguisten – errechnet, dass circa im Jahr 2051 v. Chr. die Sintflut stattgefunden hat mit all ihren Vor- und Nachteilen.

C/2020 F3 hat also schon einiges gesehen. Es mag sein, dass ihm das dennoch kein ganz vollständiges Bild der Welt gemalt hat. Denn von damals bis heute ist doch noch ein bisserl was durch die Lande gezogen. Götter wurden entmannt, die Entmanner ihrerseits gesichelt: Uranos, Kronos – die Römer nannten ihn Saturnus – Zeus, der als Jupiter herrschte über Stadt und Erdkreis.

Die Perseiden kommen

Bis 8709 nach Christus – dessen Entmannung noch andauert, weshalb wir dann nicht mehr nach ihm rechnen werden – wird sich da kaum was geändert haben. Die toten Götter stehen immer noch mächtig am Firmament: Merkur, Venus, Gaia, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun. Und dann, weit draußen, weg von den Sterblichen: Pluto, Herr über die Toten. Nur Orpheus, der Sänger, bezwang ihn einst.

Ein schönes Bild: "Poetica vincit mortem." Jetzt, nach C/2020 F3, kommen die Perseiden, die Tränen des Laurentius. Und es heißt, wenn man eine Sternschnuppe sieht und sich was wünscht, so geht dieser Wunsch ganz gewisslich in Erfüllung. (Wolfgang Weisgram, 29.7.2020)