Jugendliche akzeptieren Regeln vor allem dann, wenn die auch in der Peer-Group akzeptiert sind.

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Julia Holzer unterrichtete vier Jahre lang an einer Neuen Mittelschule in Wien-Floridsdorf und ist seit 2018 als Universitätsassistentin und Doktorandin am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung an der Universität Wien tätig.

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Wie kann es gelingen, Schülerinnen und Schülern dabei zu helfen, Hygieneregeln gegen das Coronavirus zu verstehen und sie auch anzuwenden? Wie schafft man es, keine Angst zu machen und trotzdem Risikobewusstsein zu schaffen? Und wie bringt man Jugendliche dazu, sich an Regeln zu halten – obwohl sie gerade Vorschriften in diesem Alter besonders oft infrage stellen? DER STANDARD hat Bildungspsychologin Julia Holzer um Empfehlungen für Schulen und Lehrerinnen und Lehrer gebeten. Viele davon können sich auch Erwachsene zu Herzen nehmen.

Informieren, informieren, informieren: Besonders wichtig sei es, die Schülerinnen und Schüler ausreichend zu informieren, sagt Holzer. "Angst ist nicht hilfreich", sagt sie. Erlebt man sich als hilflos gegenüber einer übergroßen Bedrohung, könnten sogar Traumata entstehen. Aufklärung wirkt am besten, um Angst zu nehmen und gleichzeitig den Sinn von Corona-Regeln klar zu machen. "Man sollte sich Zeit dafür nehmen, Wissen über das Virus zu vermitteln – altersgerecht erklärt." Es gehe darum, Risikobewusstsein zu schaffen. Also so viele Informationen zu geben, dass den Kindern und Jugendlichen bewusst ist, welche Gefahren vom Virus ausgehen, ihnen aber auch gleichzeitig zu vermitteln, wie sie sich und andere schützen können. Eben mit den Regeln, die von der Schule aufgestellt wurden.

Die eigene Lernbereitschaft zeigen: Besonders wichtig sei auch der Umgang mit der eigenen Autorität seitens der Lehrpersonen und der Schulleitungen, meint die Psychologin. Stelle man sich selbst als allwissend über das Coronavirus und die formulierten Regeln als absolut dar, "dann könnte es später zu Problemen führen". Immerhin sei über das Coronavirus noch lange nicht alles bekannt, und die Situation ist häufigen Änderungen unterworfen. Wenn aktuell keine Pflicht für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gelte, könne sich das durch steigende Infektionszahlen jederzeit ändern. Es sei wichtig, transparent zu kommunizieren, dass sich sowohl Wissensstand als auch die Situation und die Regeln ändern können. Flexibilität und Lernbereitschaft ist vonseiten aller notwendig. "Wenn ich sage, diese Regeln sind absolut, dann werde ich in der Zukunft wenig Verständnis für Änderungen oder Rücknahmen bekommen." Die Akzeptanz von Regeln steige auch, wenn Vorschläge von den Schülerinnen und Schülern diskutiert und auch aufgenommen werden. Insbesondere sei es notwendig, Feedback über die Klarheit der Regeln von den Schülerinnen und Schülern einzuholen. Das sei wichtiges Steuerungswissen für Schulleitungen.

An die Peer-Groups denken: Jugendliche akzeptieren Regeln vor allem dann, wenn sie die eigenen Freunde akzeptieren. "Es ist wichtig, dass die ganze Peer-Group die Regeln versteht und akzeptiert", sagt Holzer. Hier kommt wieder die ausreichende Information ins Spiel. "Die Regeln sollten nicht einfach als von Erwachsenen vorgegeben empfunden werden. Sie sind zum Schutz aller da." Schwierig wird es, wenn Jugendliche Druck der Peer-Group verspüren, Corona-Regeln weniger wichtig zu nehmen. Hierfür bietet sich an, in Rollenspielen Reaktionen auf solche Situationen einzuüben. "Wenn jemand fragt 'Fürchtest du dich etwa vor Corona, oder warum hast du eine Maske auf?', kann man mit den Schülern besprechen, was sie antworten können. Zum Beispiel: 'Ich weiß, dass das Virus gefährlich ist und schütze damit die Menschen um mich herum.'"

Den Babyelefanten kennt jeder: Generell empfiehlt Psychologin Holzer wenige und klare Regeln. Und dass sich die Schulen an bereits etablierten Kommunikationsmethoden orientieren. "Das Piktogramm der Maske an Geschäften kennt zum Beispiel inzwischen jeder. Ich weiß, wenn das an der Tür klebt, muss ich eine Maske aufsetzen." Auch das Bild des von der Regierung etablierten "Babyelefanten" für die Abstandsregel von einem Meter findet Holzer nicht schlecht. "Jeder weiß, was gemeint ist. Es ist ein angenehmes Bild und viel weniger aggressiv und technisch als wenn ich sage: 'Halte einen Meter Abstand.'"

Fürsorge zeigen: Für besonders effektiv hält Holzer, wenn Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern kommunizieren, dass Corona-Regeln zum Wohle und Schutz der Gesundheit aller Personen in der Schule gelten. Letztlich sind Corona-Regeln Regeln des Zusammenlebens. Das unterscheide sie im Grunde nicht von anderen Regeln, die im Schulalltag gelten: Weil wir einander wichtig sind, achten wir aufeinander und halten uns an gemeinsame Regeln des Zusammenlebens.

Wenn Corona-Leugner in der Klasse sitzen: Für den Fall, dass Schülerinnen und Schüler das Coronavirus generell infrage stellen oder sich bei Maskenpflicht gegen den Mund-Nasen-Schutz wehren, heißt es zurück zu Punkt eins. Also wieder: die Jugendlichen informieren. "Wenn ich abspreche, dass das Coronavirus existiert, werde ich den Regeln wenig Aufmerksamkeit schenken – egal wie klar und präzise sie formuliert sind", sagt Holzer. Hier käme vor allem Medienkritik und der Umgang mit Fake-News ins Spiel. "Da kann man etwa besprechen, was der Unterschied zwischen einem Posting in sozialen Medien und einem wissenschaftlichen Artikel ist." (Lisa Kogelnik 1.9.2020)