Die vier Minuten des Ibiza-Videos, die im Mai 2019 über den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" bekannt wurden, hatten es in sich: Wir mussten uns der Debatte stellen, ob wir als gelernte Österreicher tatsächlich so sind. Machtgeil und korruptionsanfällig. Nein, so sind wir nicht, hielt Bundespräsident Alexander Van der Bellen damals dagegen. Nun, diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.

Heinz-Christian Strache hatte sich als Politiker diskreditiert. So stellte sich das vor einem Jahr dar. Mittlerweile kandidiert er für die Landtagswahl in Wien und hat gute Chancen auf ein Mandat. Die "Kronen Zeitung", die nach Publikwerden des Gesprächs auf Ibiza mit Strache gebrochen hat, scheint mittlerweile versöhnt und bietet ihm bereitwillig Gelegenheit, sein politisches Comeback zu zelebrieren. Dass Strache die "Krone" an Russen verkaufen und sie nach seinen Vorstellungen umgestalten wollte, scheint vergeben und vergessen.

Heinz-Christian Strache kandidiert für die Landtagswahl in Wien und hat gute Chancen auf ein Mandat.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Mittlerweile kursieren mehrere Versionen des Ibiza-Videos, die einen Gesprächsverlauf über sieben Stunden darstellen, nicht nur die vier Minuten. Daraus ergeben sich mehrere Fragen.

Haben die deutschen Medien durch die Verkürzung eine unzulässige Fokussierung vorgenommen?

Ergibt die Kenntnis des gesamten Videos einen neuen Blick auf Strache, einen neuen Ansatz zur politischen Einordnung?

Und schließlich: Warum wird das Video den Medien zugespielt, liegt aber nicht den Abgeordneten im Parlament vor, die über seine Dimension befinden sollen?

Korruptionsanfälliger Politiker

Der erste Fragenkomplex lässt sich einfach beantworten: Nein, was auch immer aus den gesamten sieben Stunden nun im Detail bekannt wird, führt zu keiner Neueinschätzung, weder der Person von Strache noch der Relevanz seiner damals getätigten Aussagen. Er hat sich als machtgeiler und korruptionsanfälliger Politiker präsentiert. "Süddeutsche" und "Spiegel" haben die richtigen Passagen ausgewählt. Dass Strache heute wieder auf der politischen Bühne geduldet wird, ist irritierend. Dieser Ignoranz moralischer Kriterien steht man ratlos gegenüber. Aber es scheint ein Publikum für diesen Politikertypus zu geben – und die Medien spielen mit.

Dass auf Ibiza stundenlang über die "Krone" gequatscht wurde, passt gut ins Bild. Medien spielen in der politischen Machtausübung eine wesentliche Rolle, nicht nur in Österreich. Strache selbst verweist auf sein diesbezügliches Vorbild Viktor Orbán in Ungarn. Es ist auch in Österreich schlechte Tradition, dass Parteien versuchen, sich der Medien als Mittel der Macht zu bedienen. Immer wieder wird versucht, Einfluss auszuüben. Das ist ein Werkzeug im politischen Handgepäck, bei der ÖVP derzeit ganz besonders. Bei der SPÖ, als sie noch die Mittel hatte, war es auch einmal so.

Warum landete das Video bei den Medien? Weil auch damit Politik gemacht wird. Der Zweck ist noch nicht ganz offensichtlich, wem schadet es, wem nützt es, aber irgendwer hat sich sicher etwas dazu überlegt.

Dass den Abgeordneten im U-Ausschuss die Ansicht des Videos verweigert wird, ist nicht nachvollziehbar. Wenn die Justiz das Parlament ernst nimmt, und davon darf man bitte ausgehen, muss sie das Video zur Verfügung stellen. Sonst wäre es Aufgabe der Medien, dies zu tun – als politisches Korrektiv, als das sie sich auch verstehen können. (Michael Völker, 2.9.2020)