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Der Abbau von Ölsand in Kanada oder Saudi-Arabien hat in der Regel eine besonders schlechte Klimabilanz. Bei einer Energiewende in der Branche könnte er als Erstes eingestellt werden.

Foto: Reuters/Todd Korol

Für Big Oil war es kein leichtes Jahr. Die Corona-Krise hat zu den größten Einbrüchen seit Jahrzehnten bei der Nachfrage nach Öl geführt. Amerikanische Ölgiganten wie Chevron oder Exxon Mobil verzeichneten Einbußen in Milliardenhöhe. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) werden die Ölgiganten heuer 33 Prozent weniger in die Ölproduktion investieren. Hinzu kommt der Druck von Investoren und Klimaaktivisten auf die Konzerne, ihr Geschäftsmodell umzustellen und auf erneuerbare Energien zu setzen. Aber kann so eine Umstellung funktionieren?

Für die Unternehmen steht viel auf dem Spiel: Um das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssten die Konzerne laut der Investorengemeinschaft Transition Pathway Initiative ihre Emissionen bis 2050 um 90 Prozent reduzieren. Konkret hieße das, Ölreserven in der Höhe von potenziell hunderten Milliarden Dollar Wert im Boden zu lassen. Schon jetzt müssten Öl- und Kohleproduzenten mehr als die Hälfte ihrer Reserven als "gestrandet" abschreiben, so Schätzungen der "Financial Times". Treffen könnte das laut einem Bericht der Investmentbanker von Goldman Sachs als Erstes Großprojekte und CO2-intensiven Sparten wie den Ölsandabbau.

Große Ankündigungen

Die Forderung, Big Oil müsse sich neu erfinden, hat in der Branche zu großen Ankündigungen und ungewöhnlichen Allianzen geführt. So haben in diesem Jahr gleich mehrere europäische Ölriesen wie Shell, Total und BP angekündigt, bis 2050 die Klimaneutralität erreichen zu wollen.

Auch die Konzerne selbst zweifeln an der Zukunft ihres Kerngeschäfts. BP-Chef Bernard Looney etwa sieht den Gipfel der weltweiten Ölnachfrage bereits als erreicht. BP werde die Öl- und Gasproduktion in den nächsten zehn Jahren um 40 Prozent reduzieren. "Viele wissen es vielleicht nicht – BP verkauft auch Kaffee. Wir haben letztes Jahr 150 Millionen Tassen Kaffee verkauft", sagte Looney in einem Interview im August und bezog sich darin auf die Kioske, die zu den Tankstellen gehören. Kaffee sei für das Unternehmen ein "Wachstumsmarkt".

Abseits der neuen Barista-Ambitionen kreist das Programm für eine Zukunft ohne Öl für die Unternehmen vor allem um erneuerbare Energien. Looney versprach, Investition in Erneuerbare um das Zehnfache hochzuschrauben. Zusätzlich will das Unternehmen vermehrt bei Offshore-Windparks einsteigen. Dafür gab es sogar Lob von Greenpeace.

Emissionen "ausgleichen"

Aber nicht alle Ankündigungen entpuppen sich als so rosig, wie sie anfangs erscheinen. Denn es hakt schon bei dem Begriff Klimaneutralität. Diesen kann man auch so deuten, dass CO2 zwar emittiert werden darf, dieses aber kompensiert werden muss. Laut der Transition Pathway Initiative behalten sich damit viele Ölunternehmen die Möglichkeit vor, Emissionen nicht zu reduzieren, sondern zu einem späteren Zeitpunkt "auszugleichen", etwa, indem Bäume gepflanzt werden oder mittels CO2-Abscheidung und -Speicherung CO2 tief im Boden gelagert wird.

Für Umweltaktivisten hat das mitunter zu PR-ähnlichen Auswüchsen geführt – etwa bei Shell, das vergangenes Jahr einen "klimaneutralen" Sprit in den Niederlanden einführte. Mit einem Aufpreis von lediglich 0,01 Euro pro Liter sei der CO2-Ausstoß beim Auto- oder Motorradfahren kompensiert, versprach das Unternehmen. Allerdings hängt laut Kritikern viel davon ab, auf welche Art das CO2 kompensiert wird. Wird ein Baum gepflanzt, kann es mitunter mehr als 20 Jahre dauern, bis das versprochene CO2 ausgeglichen wird. Schätzungen legen nahe, dass der Preis von CO2 weit höher sein müsste, um den Schaden für Natur und Wirtschaft zu kompensieren.

Erneuerbare nur kleiner Anteil

Zudem beziehen sich die Ziele von Konzernen wie BP nicht auf alle Emissionen, an denen das Unternehmen Anteil hat. Reduziert werden sollen die Emissionen, die durch die eigene Öl- und Gasförderung entstehen, und jene, die von Konsumenten verursacht werden. Weil der Konzern als Mittelsmann allerdings auch viel Öl von anderen Produzenten kauft und wieder verkauft, machen diese nur rund 30 Prozent der Energieverkäufe des Unternehmens aus.

Nicht zuletzt scheinen erneuerbare Energien bisher nur am Rande in den Portfolios der Ölunternehmen auf. Laut einer Analyse der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young haben zehn der größten internationalen Ölunternehmen seit 2014 rund acht Milliarden US-Dollar in erneuerbare Energien investiert – bei Gesamtausgaben von mehr als 350 Milliarden Dollar. In Summe bewegen sich Investitionen in Erneuerbare allesamt noch im einstelligen Prozentbereich.

Bruch zwischen USA und Europa

Laut Analysten zeichnet sich trotzdem ein eindeutiger Trend ab: Während die amerikanischen Ölriesen wie Chevron und Exxon Mobil nach wie vor ausschließlich auf Öl und Gas setzen, habe bei europäischen Firmen ein Umdenken Richtung Diversifizierung des Geschäftsbereichs eingesetzt. Zu den Konzernen mit den ambitioniertesten Zielen gehören laut der Transition Pathway Initiative Shell, Eni und BP. Die österreichische OMV sei bei ihren Klimazielen noch nicht vorne dabei. Die Zwei-Grad-Marke könne mit keinem der Pläne der Ölkonzerne erreicht werden.

Tatsächlich scheint es von Big Oil zu "Big Energy" noch ein steiniger Weg zu sein. Die Ursache liegt mitunter im Geld: Das Geschäft mit dem Öl versprach lange Zeit schnelle und hohe Gewinne. Laut der Beratungsfirma Wood Mackenzie hatten amerikanische Ölfirmen mit ihrer Solo-Öl-und-Gas-Strategie bisher bessere Karten bei Investoren als europäische Diversifizierer.

Schwankungen bei Ölpreisen

Das könnte sich in Zukunft ändern. Während es bei Ölpreisen in der Vergangenheit immer wieder zu großen Schwankungen gekommen ist, würden Erneuerbare laut Analysten stabilere Renditen abwerfen. Nicht zuletzt sind die Kosten für Energie aus Sonne und Wind in den letzten Jahren dramatisch gesunken, was die Technologie immer wettbewerbsfähiger mache. Auch der stärkere Fokus auf Gas könnte zur Emissionssenkung der Unternehmen beitragen.

Auf Ölbosse wie Bernard Looney von BP wächst der Druck, ihre Unternehmen klimafreundlicher auszurichten und gleichzeitig Gewinne zu erwirtschaften. Einen gänzlichen Ausstieg aus dem Öl- und Gasgeschäft wird es wohl bei keinem Ölriesen in naher Zukunft geben. Denn noch sprechen die Zahlen eine recht eindeutige Sprache: Der weltweite Energieverbrauch war auch 2019 zu rund 84 Prozent abhängig von Kohle, Gas und Öl. (Jakob Pallinger, 5.10.2020)