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Luftverschmutzung kann zu einer verstärkten Aufnahme von Sars-CoV-2 durch die Lunge führen.

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Ist das Risiko, an Covid-19 zu sterben, erhöht, wenn man langfristig verschmutzte Luft einatmet? Ein solcher Zusammenhang liegt nahe, ist jedoch nicht direkt messbar. Nun wurde in einer Studie erstmals der Anteil der Covid-19-Todesfälle, der auf Luftverschmutzung durch Feinstaub zurückzuführen sein könnte, länderspezifisch ermittelt.

Die kürzlich im wissenschaftlichen Fachmagazin "Cardiovascular Research" veröffentlichte Studie schätzt, dass etwa 15 Prozent der weltweiten Todesfälle durch Covid-19 auf eine langfristige Exposition gegenüber Luftverschmutzung zurückzuführen sein könnten.

Den Autoren und Forschern des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Harvard T.H. Chan School of Public Health, des London Centre for Climate Change and Planetary Health, der Berliner Charité und der Universitätsmedizin Mainz zufolge liegt der Anteil der luftverschmutzungsbedingten Covid-19-Todesfälle in Europa bei 19, in Nordamerika bei 17 und in Ostasien bei 27 Prozent.

Fossile Brennstoffe

Diese Zahlen sind eine Schätzung des Anteils der Covid-19-Todesfälle, der hätte vermieden werden können, wenn die Bevölkerung einer geringeren Luftverschmutzung ausgesetzt gewesen wäre, bei der es keine Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und anderer vom Menschen verursachter Quellen gäbe.

Andrea Pozzer vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie betont, dass der zurechenbare Anteil keinen direkten Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Covid-19-Mortalität beweist, sondern einen indirekten Effekt, weswegen er und seine Kollegen auch relative Zahlen angeben: "Unsere Schätzungen zeigen die Bedeutung der Luftverschmutzung auf Komorbiditäten, also Gesundheitsfaktoren, die sich gegenseitig verschlimmern und so tödliche gesundheitliche Folgen der Virusinfektion auslösen können," ergänzt der Atmosphärenforscher und Erstautor der Studie.

Für die einzelnen Länder ergeben die Schätzungen der mit Luftverschmutzung in Zusammenhang stehenden Covid-19-Todefälle ein sehr unterschiedliches Bild: Vergleichsweise hoch ist der Anteil in der Tschechischen Republik mit 29 Prozent, in China mit 27 Prozent und in Deutschland sowie Österreich mit 26 Prozent. Niedriger ist der Anteil beispielsweise in Italien (15 Prozent) und Brasilien (zwölf Prozent). Einstellig sind die Werte für Israel (sechs Prozent), Australien (drei Prozent) und Neuseeland (ein Prozent).

Klar ersichtlich

Pozzer, der ebenfalls am Internationalen Zentrum für Theoretische Physik in Triest, Italien, forscht, bewertet die Daten wie folgt: "Obwohl unsere Ergebnisse Unsicherheiten aufweisen, wird der Beitrag der Luftverschmutzung an der Covid-19-Mortalität klar ersichtlich. Allerdings wird die tatsächliche Sterblichkeit durch viele Faktoren beeinflusst, beispielsweise das Gesundheitssystem des Landes."

Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie und Professor am Cyprus Institute in Nikosia, Zypern: "Da die Anzahl der Todesfälle durch Covid-19 ständig zunimmt, ist es zwar nicht möglich, endgültige Zahlen der Todesfälle pro Land anzugeben, die auf Luftverschmutzung zurückgeführt werden können. Allerdings starben beispielsweise in Großbritannien seit Beginn der Pandemie bis Mitte Juni etwa 44.000 Menschen an Covid-19. Wir schätzen, dass der luftverschmutzungsbedingte Anteil bei 14 Prozent lag, was knapp 6.000 Todesfällen entspricht. In den USA führten 220.000 Covid-Todesfälle mit einem Anteil von 18 Prozent zu fast 40.000 Todesfällen, die auf Luftverschmutzung zurückgeführt werden können."

Oxidativer Stress

Und so wirkt Luftverschmutzung auf unseren Körper: "Wenn Menschen verschmutzte Luft einatmen, wandern die sehr kleinen gesundheitsschädlichen Feinstaubpartikel von der Lunge ins Blut und in die Blutgefäße," erklärt Thomas Münzel vom Universitätsklinikum Mainz. "Dort verursachen sie Entzündungen und starken oxidativen Stress, der das Gleichgewicht zwischen freien Radikalen und den Oxidationsmitteln stört, die normalerweise Zellschäden reparieren", so der Mitautor der Studie. Dies wiederum schädigt die innere Arterienschicht, das Endothel, und führt zu einer Verengung und Versteifung der Arterien. Auch das Coronavirus gelangt über die Lunge in den Körper und verursacht ähnliche Schäden an den Blutgefäßen. Es wird daher auch als Endothelerkrankung angesehen.

"Kommen eine langfristige Exposition gegenüber Luftverschmutzung und die Infektion mit dem Covid-19-Virus zusammen, dann addieren sich die negativen Gesundheitseffekte, insbesondere in Bezug auf das Herz und die Blutgefäße", sagt Münzel. Das wiederum führe zu einer größeren Anfälligkeit und einer geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber Covid-19. "Wenn Sie bereits an einer Herzerkrankung leiden, verursachen Luftverschmutzung und Coronavirus-Infektionen Probleme, die zu Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Schlaganfall führen können."

Schäden in der Lunge

Zudem scheint Feinstaub die Aktivität des ACE-2-Rezeptors auf Zelloberflächen zu erhöhen. Von diesem Rezeptor ist bekannt, dass er an der Art und Weise beteiligt ist, wie Covid-19 Zellen infiziert. Es komme also zu einem "Doppeltreffer": "Luftverschmutzung schädigt die Lunge und erhöht die Aktivität von ACE-2, was wiederum zu einer verstärkten Aufnahme des Virus durch die Lunge führt", so Münzel.

Am Ende ihrer Publikation richten die Autoren ein deutliches Plädoyer an die Politik: Die Covid-19-Pandemie werde mit der Impfung der Bevölkerung oder mit der Herdenimmunität durch weitreichende Infektion der Bevölkerung enden. "Es gibt jedoch keinen Impfstoff gegen schlechte Luftqualität und den Klimawandel. Der Weg ist die Minderung von Emissionen", so ihr Fazit. (red, 2.11.2020)