Veronika Bohrn Mena beschäftigt sich mit prekären Arbeitsverhältnissen, Segmentierungsprozessen und Veränderungen in der Arbeitswelt und ist Expertin für atypische Beschäftigung bei der Gewerkschaft GPA-djp.

Veronika Bohrn Mena, "Leistungsklasse. Wie Frauen uns unbedankt und unerkannt durch alle Krisen tragen", Euro 19,90,– / 200 Seiten, ÖGB Verlag, Wien 2020

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Wappnen für die Krise. Die finanziellen Folgen könnten sich laut Veronika Bohrn Mena über viele Jahre festigen.

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Wie geht es Frauen aktuell in der Arbeitswelt, im Alter, als pflegenden Angehörigen oder als Müttern? Die Autorin Veronika Bohrn Mena ("Die neue ArbeiterInnenklasse") geht diesen Fragen in ihrem eben erschienenen Buch "Leistungsklasse. Wie Frauen uns unbedankt und unerkannt durch alle Krisen tragen" auf Basis persönlicher Perspektiven und Fakten nach und plädiert für eine Umverteilung von Zeit, Arbeit und Geld.

STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch gleich zu Beginn, die Wut der Frauen sei groß. Es gibt aber auch kaum wahrnehmbaren Widerstand gegen die Corona-bedingten Entwicklungen für Frauen. Warum?

Bohrn Mena: Das führe ich darauf zurück, dass der Handlungsspielraum deutlich eingeschränkt ist. Wenn man ein Thema auf die politische Agenda bringen will, muss man dafür Klinken putzen, unglaublich viel mobilisieren und zäh bleiben. Das ist zeitintensiv und anstrengend – dafür haben Frauen jetzt keine Zeit.

STANDARD: Das heißt aber auch, dass sie Interessenvertretungen bräuchten. Die Kollektivvertragsverhandlungen für Handelsangestellte, vor allem Frauen, waren mit einem Abschluss von 1,5 Prozent aber enttäuschend.

Bohrn Mena: Klar muss sein, dass uns Frauen das Beklatschtwerden nicht satt macht. Wir können damit auch nicht unsere Miete zahlen oder unsere Kinder versorgen. Wir müssen endlich erreichen, dass die wahren Leistungsträgerinnen entsprechend anerkannt, abgesichert und bezahlt werden. Die Enttäuschung beginnt für mich daher dort, wo manche glauben, dass es reicht, wenn man Frauen ein paar Brotkrumen hinwirft, und dann weitermacht wie bisher. Wir brauchen aber keine Almosen. Die Zeit ist reif, dass wir uns solidarisieren und das System grundsätzlich infrage stellen. Dazu braucht es zunächst wieder ein gewisses Klassenbewusstsein, sowohl unter Arbeitenden insgesamt als auch unter Frauen im Speziellen. Die Individualisierung macht uns schwach, das Konkurrenzprinzip hilft uns nicht. Wenn wir wollen, dass wir eines Tages das bekommen, was uns tatsächlich zusteht, dann werden wir es uns gemeinsam erkämpfen müssen.

STANDARD: Wo sehen Sie Fehler im Umgang mit der Krise hinsichtlich der frauenpolitischen Herausforderungen?

Bohrn Mena: Es werden nur die kurzfristigen Auswirkungen gesehen. Wer verliert jetzt seine Jobs? Wer reduziert jetzt seine Arbeitszeit? Die Krise hat aber enorme langfristige Auswirkungen. Nehmen wir an, Sie müssen Ihre Arbeitszeit reduzieren, weil Sie keine Sonderbetreuungszeiten bekommen haben, auf die es ja keinen Rechtsanspruch gibt. In Österreich haben sie bisher keine 5.000 Menschen in Anspruch genommen. Die Sonderbetreuungszeit bringt nichts, wenn die Arbeitgeber nicht mitspielen. Viele Frauen haben dann keine andere Wahl, als ihre Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren. Sehr wahrscheinlich verdient der Partner mehr, weshalb man sich dafür entscheidet, dass die Frau weniger arbeiten wird, weil man so insgesamt weniger Geld verliert.

Wenn jetzt ein Arbeitgeber zusagt, die Arbeitszeit zu reduzieren, heißt das noch lange nicht, dass man später wieder aufstocken kann. Dann werden Arbeitgeber sagen: "Jetzt war Corona, wir können uns das jetzt nicht leisten – reden wir in einem halben Jahr nochmal darüber." Man kommt also schwer wieder auf sein altes Arbeitszeitniveau zurück. Im schlimmsten Fall müssen Frauen wegen zusätzlicher Betreuungsarbeit ihren Job kündigen. Dann wieder einen Job zu finden ist extrem schwer. Und wenn man einen finden, fängt man oft unter dem Lohnniveau an, auf dem man eigentlich schon mal war. Wenn man das alles auf das Lebenseinkommen rechnet, verlieren Frauen extrem viel Geld. Die Schere zwischen den Männer- und Fraueneinkommen wird sich weiter öffnen. Und das ist nur die finanzielle Situation.

STANDARD: Was gibt es noch darüber hinaus?

Bohrn Mena: Wir haben alle diesen Mythos in uns, man könne als Frau inzwischen eh alles machen. Diese Mär, dass alles nur eine Sache der Vereinbarung sei. Diese Vereinbarkeitsgeschichte haben sich Männer ausgedacht. Es wird so getan, als ob das eine individuelle Geschichte wäre, dass man sich ja mit seinem Partner alles ausmachen könne. Ich muss es mir aber leisten können als Frau, zu sagen, ich teile mir das partnerschaftlich auf, ich muss also annähernd gleich viel verdienen wie mein Partner. Und es setzt voraus, dass es ausreichend und leistbare Betreuungseinrichtungen gibt, was auf dem Land nicht so ist, wie wir wissen. Und es setzt voraus, dass man sich die Kinderbetreuung leisten kann. Ich komme aus Salzburg, meine Schwester zahlt dort für den Gemeindekindergarten des einen Kindes und den Hort für das andere ingesamt 500 Euro.

STANDARD: Aber fehlt es nicht auch am Bewusstsein, – zumindest in der Mittelschicht –, dass eine gleichberechtigte Teilung der Familienarbeit ein Wert ist, dessen Auswirkungen weit in die Zukunft reichen? Und dass man dafür schon mal einen Urlaub im Jahr opfern könnte?

Bohrn Mena: Vorweg: Die tatsächliche Mittelschicht ist relativ klein – nur weil sie rechnerisch anhand des Medianeinkommens definiert wird, stehen wir in Österreich noch vergleichsweise gut da. Laut OECD-Berechnung beginnt sie bei Frauen allerdings schon bei einem Monatseinkommen von rund 1.180 Euro brutto, weil sich unsere Einkommen in den letzten 15 Jahren sehr ungleich entwickelt haben und rund ein Drittel aller Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen musste.

Diejenigen, bei denen es also nur um Opferung eines Urlaub geht, sind in Wahrheit nicht die Mitte, sondern eine wesentlich kleinere Gruppe innerhalb der Bevölkerung. Der große Teil der Bevölkerung kann sich nicht leisten, zu sagen, dann haben wir halt 200 Euro weniger, weil ihnen jetzt schon am Ende des Monats nichts übrigbleibt. Da geht es nicht um einmal weniger Urlaub, sondern darum, ob man sich die Miete noch leisten kann.

Wenn man es sich leisten kann, sollte man das natürlich fair aufteilen. Aber das löst trotzdem das gesamtgesellschaftliche Problem nicht, und wir haben immer noch einen sehr großen Bevölkerungsanteil, für den diese Aufteilung nicht möglich ist. Es ist letztlich eine politische Verantwortung: Wir haben eine Regierung dafür, damit diese gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen schafft, dass Menschen gleichberechtigt leben können. Jetzt putzt sich die Politik ab und individualisiert die Verantwortung.

STANDARD: Woran sehen Sie diese Individualisierung?

Bohrn Mena: Vieles in der Krise könnte man anders machen. Zum Beispiel die Pflege: Pflege ist etwas, das alle Menschen brauchen, genauso wie Bildung, Straßen, Strom oder Wasser. Pflege sollte deshalb zur staatlichen Infrastruktur gehören, weil wir alle darauf angewiesen sind. Stattdessen wird es unbezahlt den Frauen umgehängt, die dadurch später ein finanzielles Problem bekommen. Oder es wird auf Frauen aus dem Ausland abgewälzt, die sehr wenig verdienen. Das ist derzeit der Weg, anstatt etwa eine Pflegeversicherung einzurichten oder Pflege genauso zu finanzieren, wie man die Schulen oder Kindergärten finanziert. Man könnte einfach die staatliche Infrastruktur zur Verfügung stellen. Punkt. Das wäre machbar, nur der Staat macht es nicht, weil es billiger und einfacher ist, es die Frauen machen zu lassen.

STANDARD: Welche Zahlen haben wir schon, die auf eine langfristige Verschärfung der Schlechterstellung von Frauen durch die Corona-Krise hinweisen?

Bohrn Mena: Wir wissen, dass sich die tatsächlich geleistete Lohnarbeitszeit seit Corona wesentlich reduziert hat. Unsere tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit sackte vom April bis Juni 2020 auf 27,8 Stunden pro Woche ab, nach 31,8 Stunden pro Woche im Vorjahreszeitraum. Dieser Abbau betrifft Frauen wesentlich stärker, denn gerade unter den Teilzeitbeschäftigten haben rund zweieinhalb Mal so viele Frauen ihre Jobs verloren wie Männer.

Die Anzahl der teilzeitbeschäftigten Männer hat sich vom zweiten Quartal 2019 mit rund 248.000 auf 234.000 im zweiten Quartal 2020 reduziert, die Anzahl der teilbeschäftigten Frauen ist im gleichen Zeitraum von 964.000 auf 932.000 gesunken. Wir wissen, wie die aktuelle Arbeitsmarktsituation aussieht, es wird also nicht leicht für Frauen, ihr Arbeitszeitausmaß auf das vorige, ohnehin schon wesentlich niedrigere Volumen wieder zu erhöhen. Das wird langfristig dramatische Auswirkungen auf die Lebenseinkommen von Frauen haben und die Altersarmut erhöhen.

STANDARD: Sie plädieren in Ihrem Buch für Umverteilung von Zeit, von Geld, von Arbeit. Wie könnte diese Umverteilung angestoßen werden?

Bohrn Mena: Die eine Ebene sind die sofortigen Maßnahmen, damit die Auswirken von Corona nicht dramatischer werden, als sie es ohnehin schon sind: Wer die Arbeitszeit reduziert, müsste einen Rechtsanspruch haben, dass man nachher wieder genauso viel arbeiten kann wie vor Corona. Und es braucht eine Abfederung der finanziellen Ausfälle, die man aufgrund von Betreuungspflichten hat, die man jetzt verstärkt wahrnehmen muss. Ich kann nicht verstehen, dass das keine Partei fordert. Würde das Männer betreffen, wäre es Thema. Bei Frauen ist es nicht einmal der Rede wert.

Wenn die Regierung weiterhin nichts dafür tut, dass die Lasten der Krise auf alle gleich verteilt werden, dann wird der Gender-Pay-Gap noch größer werden. Dann haben wir einen gesamtgesellschaftlichen Rückschritt für Frauen, der sich gewaschen hat. Und wenn man langfristige Maßnahmen setzen will, dann muss man die Lohnarbeitszeit auf 30 Stunden kürzen und die unbezahlte Arbeit anders verteilen.

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STANDARD: Arbeitszeitverkürzung oder Kompensation der Lohnverluste – dabei geht es letztlich um Unterschiede in der Bewertung von Arbeit und unterschiedliche Positionen, was der Staat für eine Gesellschaft tun muss und was jede*r selbst. Wie könnten diese Debatten inhaltlich besser geführt werden?

Bohrn Mena: Es gibt sachliche Argumente, die man stärker machen müsste: Arbeitszeitverkürzung findet in Österreich ohnehin schon seit mindestens 15 Jahren statt. Allein schon dadurch, dass seit 2012 so gut wie keine neuen unbefristeten Vollzeitarbeitsplätze geschafften wurden, sondern nur noch Teilzeitstellen. Über die steigende Teilzeit, über die steigende Arbeitslosigkeit und jetzt über die Kurzarbeit haben wir ohnehin eine Arbeitszeitverkürzung. Wir müssen nicht darüber reden, "sollen wir die Arbeitszeit verkürzen oder nicht?", weil das ohnehin schon passiert. Die Lohnarbeit wird weniger und verteilt sich immer ungleichmäßiger auf immer weniger Menschen.

Die Frage ist also nicht, ob wir die Arbeitszeit verkürzen, sondern wer diese Verkürzung der Arbeitszeit zahlt. Jetzt zahlen es wir als Beschäftigte, über die Arbeitslosenversicherung, über das Kurzarbeitsgeld und darüber, dass es uns finanziell nicht besonders gut geht. Es wird durch einen gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsverlust bezahlt. So finanzieren wir jetzt die Arbeitszeitverkürzung. (Beate Hausbichler, 5.11.2020)