Die unabhängige Lehrergewerkschaft fordert deutlich mehr Schutz für die Schulen und sieht grobe Versäumnisse bei den politisch Verantwortlichen.

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ÖLI-UG-Bundeskoordinator und HTL-Lehrer Josef Gary Fuchsbauer.

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Die politisch Verantwortlichen hätten zu spät reagiert und zu wenig für sichere Schulen getan, kritisiert die "Österreichische Lehrer*innen-Initiative – Unabhängige Gewerkschafter*innen für mehr Demokratie" (ÖLI-UG). Darum hat die unabhängige Gewerkschaftsfraktion in der GÖD bei ihrer letzten Generalversammlung beschlossen, eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft einzubringen, um sich gegen "gefährliche Versäumnisse der Regierung" zu wehren. ÖLI-UG-Bundeskoordinator Josef Gary Fuchsbauer hat sie mit einem Kollegen erarbeitet, und sie wird noch diese Woche bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht.

STANDARD: Was sagen Sie als unabhängiger Lehrergewerkschafter zur vorgelegten Schulkonzeption für die Zeit des dreiwöchigen Lockdowns?

Fuchsbauer: Dass es nicht möglich sein wird, einerseits Fernunterricht für die Schüler zu Hause zu machen und gleichzeitig den Betreuungsbedarf von Kindern in den Schulen zu decken. Man wird nicht beides machen können. In der Verordnung heißt es ja, dass es in der Schule nicht nur Betreuung geben soll, sondern auch Unterstützung in Lernecken und spezifische Förderung. Die Schulleitungen sind auch verpflichtet, Kindern, wo es soziale oder pädagogische Gründe gibt, anzuordnen, dass sie in die Schule hereinkommen.

STANDARD: Halten Sie diese Möglichkeit für gut, oder hätten Sie einen rigideren Schullockdown verhängt? Laut den ersten Berichten waren es im Österreich-Schnitt ja nur rund 15 Prozent, die in der Schule vor Ort waren.

Fuchsbauer: Ja, im Schnitt; aber nach meinen Rückmeldungen geht das von null Prozent bis zu Schulen, die sagen, dass sie normalen Unterricht in den Klassen machen können, weil über 70 Prozent anwesend sind. Wenn ich das mit den allgemeinen Lockdown-Bestimmungen vergleiche, passt das nicht zusammen. Es ist inakzeptabel, dass das Ergebnis der Gurgelstudie, dass Schulkinder jeden Alters gleich infiziert sind, und der Stand der Wissenschaft, dass Kinder genauso ansteckend sind, ignoriert werden.

STANDARD: Für die Schülerinnen und Schüler in den Oberstufen hat sich de facto nichts verändert, sie sind schon seit 2. November im Distance-Learning. Sie kommen aus dem BMHS-Bereich – wie funktioniert es?

Fuchsbauer: Formell hat sich für die Oberstufen gegenüber den vorigen Wochen jetzt nichts geändert. Sie können weiter Werkstättenunterricht haben, nur bei den nun wieder erlaubten Freigegenständen ist Fernunterricht vorgeschrieben. Das heißt, die Lehrpersonen bieten für einzelne Schülergruppen auch jetzt Präsenzunterricht an – wenn die Schulen nicht doch autonom bis 6. Dezember zusperren, was meine Schule und auch andere machen. Ob die Schüler zwei Wochen Präsenzunterricht haben oder nicht, davon wird die Welt nicht zusammenbrechen. Überhaupt fragt man sich, wenn die Regierung im Lockdown den Leuten verbietet, zu zweit andere besuchen zu gehen, warum dürfen oder müssen sich dann ganze Klassen in Werkstätten treffen?

STANDARD: Wie hätte es besser organisiert werden können?

Fuchsbauer: Dieses zweigleisige Modell wäre dann nicht ausgeschlossen, wenn man unter Fernunterricht versteht, dass die Schüler Aufgaben bekommen, die sie selbstständig bearbeiten, und die schwachen Schüler sollen in die Schule kommen. Dann brauchen die Lehrpersonen nicht gleichzeitig Videokonferenzen abhalten. Überhaupt setzt das ganze Modell voraus, dass jedes Kind ein digitales Gerät hat. In den Schulen sind aber nicht genug Geräte da. Und wenn die Kinder, die Betreuung brauchen, dann in der Schule sind, sitzen sie zwar vielleicht mit Kopfhörern da, aber wenn sie antworten sollen, sind ja doch die anderen im Raum gestört, weil sie das mithören. Aber: Die Schulen werden es irgendwie schaffen.

STANDARD: Wie ist die Position innerhalb der ÖLI-UG?

Fuchsbauer: Natürlich wurde auch bei uns diskutiert. Etliche sagen, wir müssen den Kindern etwas anbieten in verkleinerten Klassen und Gruppen. Das würde bedeuten, dass die Kinder in die Schule kommen müssten. Das wäre eine Möglichkeit. Andere wären aber dafür gewesen, dass man den Lockdown konsequenter macht, dazu hätte man aber den Eltern tatsächlich freigeben müssen, damit sie ihre Kinder daheim problemlos betreuen können. Ich persönlich habe eher dazu tendiert, dass man jetzt 20 Tage lang eine echte Pause einlegt und allen Eltern mit betreuungspflichtigen Kindern entweder Homeoffice erlaubt, wo das geht, oder ihnen Sonderbetreuungszeit einräumt. Das fände ich in der jetzigen Situation konsequenter.

STANDARD: Die ÖLI-UG-Generalversammlung hat unlängst eine Resolution an die Bildungsverantwortlichen der Regierung sowie in den Parlamentsparteien verabschiedet. Darin heißt es unter anderem: "Schule muss in Pandemiezeiten anders organisiert werden, wenn man sie offen halten will. Schulkinder verdienen es, Schule als sozialen Ort zu erleben, und Lehrerinnen und Lehrer haben ein Anrecht auf Gesundheit erhaltende Arbeitsbedingungen." Welche Sicherheitsmaßnahmen für die Schulen fordern Sie?

Fuchsbauer: Wir fordern zum Beispiel das Recht der Lehrperson, das Tragen von Masken – auch im Volksschulbereich – im Unterricht anzuordnen, eine FFP2-Maske pro Tag für jede Lehrperson, einen Mindestabstand von zwei statt nur einem Meter, das Reduzieren der Klassengrößen, aber auch ein Covid-bedingtes Entschlacken der Lehrpläne und natürlich das Verbessern der Belüftung und das Filtern. Ein weiterer großer Kritikpunkt von uns ist, wie mit Schwangeren umgegangen wird. Ihnen kann als Schutzmaßnahme das Tragen einer FFP2-Maske nicht zugemutet werden, weil das eine Gefahr für das ungeborene Kind bedeuten würde. Wir fordern daher einen Anspruch für schwangere Bundes- und Landeslehrerinnen auf Homeoffice und, wenn das nicht möglich ist, eine Dienstfreistellung für sie.

STANDARD: Mit der Performance der Regierung sind Sie extrem unzufrieden. Sie prüfen rechtliche Schritte gegen Bildungsminister Heinz Faßmann, seinen Generalsekretär und die Bildungsverantwortlichen in den Bundesländern sowie gegen und Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Dazu sollen Sie und ein Kollege mit einem Juristen eine Sachverhaltsdarstellung erarbeiten. Worum geht es da?

Fuchsbauer: Wir bringen diese Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft ein, weil monatelang nichts passiert ist. Wir wehren uns gegen gefährliche Versäumnisse der Regierung bei der Pandemievorbereitung. Man weiß, dass Kinder unter zehn auch ansteckend sind. Aber im Bildungsbereich ist viel zu spät gehandelt worden, und im Vergleich zu anderen Bereichen ist budgetär in Bezug auf Bildung bis jetzt nichts passiert. Man hätte schon lang – auch finanziell – etwas tun können und müssen, um die Schulen sicherer zu machen. Auch finanziell.

STANDARD: Wie ist die Stimmung in der Lehrerschaft?

Fuchsbauer: Die Lehrkräfte sind überfordert von gleichzeitigem Präsenz- und Fernunterricht und erleben Schule als Ort mit mangelnden Schutzmaßnahmen. Sie haben häufig schwerere Covid-19-Erkrankungen, weil über 40 Prozent älter als 50 Jahre sind. Sie haben Ängste und berechtigte Sorgen: nicht nur um sich und die eigene Gesundheit, sondern natürlich um die ihnen anvertrauten Kinder und deren Bildungschancen, aber auch um das Leben ihrer Eltern, die aufgrund des Alters häufig der höchsten Risikogruppe angehören.

STANDARD: Welche Vorwürfe prüfen Sie konkret?

Fuchsbauer: Wir haben den Verdacht, dass geeignete Gesundheitsschutzmaßnahmen wider besseres Wissen nicht ergriffen werden und es so zur "vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten" nach Paragraf 178 Strafgesetzbuch kommt bzw. dass Amtsmissbrauch vorliegen könnte, wenn wissentlich die wissenschaftliche Faktenlage ignoriert wird, dass auch Schulkinder von Covid-19-Infektionen betroffen sind und das Virus verteilen und sich zugleich mehr Lehrpersonen im Präsenzunterricht ansteckten als anderswo. So waren etwa 1,2 Prozent der Lehrpersonen in der Steiermark im Vergleich zu weniger als 0,9 Prozent bei den restlichen erwerbsfähigen 25- bis 64-Jährigen infiziert. (Lisa Nimmervoll, 18.11.2020)