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Bleiben Sie zu Hause. Diese wiederholte Aufforderung nach neun Monaten Corona-Krise hat für Frauen in Gewaltbeziehungen noch einmal eine andere Bedeutung als den Schutz vor dem Virus: nämlich mit einem Gewalttäter daheim festzusitzen. Der diesjährige Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, der 25. November, und der damit beginnende Auftakt zu der weltweiten Aktion "16 Tage gegen Gewalt" finden heuer vor einem besonders prekären Hintergrund für Gewaltbetroffene statt. Die Frauenhelpline verzeichnet einen Anstieg bei den Anrufen um 40 Prozent, bei den Betretungsverboten beläuft sich der Anstieg um 20 Prozent. Zumindest die Zahl der Frauenmorde ist im Vergleich zu den vergangenen Jahren nicht gestiegen und liegt bisher bei 20. Allerdings war die Zahl der Frauenmorde insbesondere in den Jahren 2018 (41) und 2019 (39) auf einem sehr hohen Niveau. "Es gibt ein verstärktes Klima der Angst und der Unsicherheit", so die Soziologin Laura Wiesböck gegenüber dem STANDARD zu den Bedingungen während der Pandemie. Der stärkere ökonomische Druck, das höhere Armutsrisiko und auch die fehlende Möglichkeit, während eines Lockdowns bei Verwandten oder Freunden unterzukommen, all das mache es für Frauen in Gewaltbeziehungen zusätzlich schwer, einen Partner zu verlassen.

Beratungen ab 2020 verpflichtend

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) hat an zwei Tagen vor dem 25. November einen zweitägigen Gewaltschutzgipfel mit Vertreter*innen der Polizei und Gewaltschutzeinrichtungen veranstaltet. Zu dessen Abschluss präsentierte Raab mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) neue Maßnahmen für den Gewaltschutz. Beratungsstellen für sexualisierte Gewalt sollen budgetär aufgestockt werden, somit bekäme jedes Bundesland eine Stelle mit diesem Schwerpunkt. Auch die Anlaufstellen für Zwangsheirat sollen ausgebaut werden, und Frauenberatungsstellen sollen Schulungen zu dem neuen Gesetzespacket zu Hass im Netz erhalten. Raab erwähnte auch die laufende Infokampagne für Gewaltbetroffene mit Slogans wie "Stopp der Gewalt" oder "Es ist nicht deine Schuld". Zudem lägen seit vergangener Woche rund 400.000 Beratungs-Flyer in Apotheken, Arztpraxen und in Supermärkten auf, die auf die Angebote hinweisen sollen.

Die Täterarbeit solle künftig ausgebaut werden. Ab 1. Juli 2021 sollen Beratungen für Gefährder verpflichtend werden. Das ursprüngliche Konzept der Gewaltpräventionszentren hat für Täter Gewaltpräventionstrainings im Ausmaß von drei Stunden vorgesehen – und dass sie die Kosten selbst tragen müssten. Nun wird auf sechs Stunden aufgestockt, und die Kosten übernimmt der Bund.

210 Millionen für effektiven Gewaltschutz nötig

Auch eine Budgeterhöhung wurde vor kurzem für 2021 beschlossen, das Budget liegt kommendes Jahr nun insgesamt bei 14,65 Millionen. Die Hälfte des Budgets soll für Frauenprojekte mit Fokus auf Gewaltschutz bereitstehen. Konkret sind das 700.000 Euro mehr als 2019, unterstützt werden 170 Frauenberatungsstellen. Der Österreichische Frauenring, der Dachverband der österreichischen Frauenvereine, bleibt allerdings bei seiner Forderung: Es brauche 210 Millionen für effektiven Gewaltschutz. "Betrachtet man die Folgekosten von 3,7 Milliarden für die Gewaltopfer, so ist unsere Forderung mehr als berechtigt", so Klaudia Frieben, Vorsitzende des Frauenrings.

Für Rosa Logar, Leiterin der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, reichen die Mittel bei weitem nicht aus. Über die zusätzlichen drei Stunden für Täterarbeit ist sie empört. Es brauche vor allem mehr Ressourcen für die Betreuung der Opfer. Dass Tätern wie nun geplant sechs Stunden pro Jahr zur Verfügung stehen, während die Interventionsstelle circa 6.000 Betroffene betreut und diesen durchschnittlich nur fünf Stunden Beratungszeit pro Jahr zur Verfügung stünden, sei ein "Hohn", so Logar gegenüber dem STANDARD.

Keine Opferschutzorientierte Täterarbeit

Auch Alexander Haydn von der Männerberatungsstelle kritisiert den neuen Entwurf zur Täterarbeit. Es handle sich dabei um keine opferschutzorientierte Täterarbeit, auch wenn das draufsteht, so Haydn in einem Beitrag auf Ö1. Für die Einschätzung der Gefahr wären Informationen von der Opferschutzseite nötig. Dieser Austausch sei allerdings für die Beratungsstellen im vorliegenden Entwurf aus Datenschutzgründen untersagt.

Laura Wiesböck verweist auf die vielen Fälle, in denen Täter selbst nach einem Kontakt mit der Polizei wieder gewalttätig wurden. Eine Studie vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien zeigt, dass in allen Fällen bei Frauenmorden bereits Gewalt im Vorfeld passiert ist und in knapp der Hälfte Kontakt mit der Polizei stattgefunden hat. Als "beispielhaften Fall" nennt Wiesböck jenen vom Juni dieses Jahres in Kärnten, als ein Mann seine Ehefrau und deren Freundin, bei der sie Hilfe suchte, ermordete. Er wurde vor dem Mord bereits viermal weggewiesen. "Das ist kein Einzelfall, es passiert sehr häufig, dass der österreichische Staat trotz Hilfesuche keinen Gewaltschutz bietet", sagt Wiesböck.

Seit 2017 wurden in Österreich 136 Frauen von Männern ermordet. Trotzdem hat Österreich hinsichtlich Verharmlosung von Gewalt im europäischen Vergleich noch immer ein Problem. Laut einer europaweiten Umfrage zu Aussagen zu Gewalt gegen Frauen stimmt in Österreich jeder Vierte der Aussage "Gewalt gegen Frauen wird oft durch das Opfer provoziert" zu, erklärt Wiesböck die in Österreich offenbar gut verankerte Täter-Opfer-Umkehr. (Beate Hausbichler, 24.11.2010)