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STANDARD: 24 ECTS Punkte müssen Studierende in zwei Jahren erreichen, ansonsten werden sie exmatrikuliert. Einen Schritt weg von der einzelnen politischen Maßnahme gedacht: Ist es überhaupt sinnvoll, die Studien- und Lehrtätigkeit in Punkten und Leistungszielen zu messen?

Hanappi-Egger: In Österreich gilt Bildung als öffentliches Gut – das heißt, ein Studium wird durch Steuergelder anstatt Studiengebühren finanziert. Würden Studierende ein mit dem WU-Angebot vergleichbares Studium an einer Privatuniversität in Österreich studieren, käme das zum Beispiel bei Rechtswissenschaften auf rund 8.000 Euro pro Semester. Das sind immerhin 48.000 Euro für ein sechssemestriges Bachelorstudium. An öffentlichen Universitäten zahlen sie im Normalfall keine Gebühren, das heißt, das ist schon ein hohes Investment, und dafür kann die Öffentlichkeit schon eine Sorgfaltspflicht verlangen. Die muss natürlich dann aber auch spezifiziert werden.

STANDARD: Professoren erzählen, dass Studierende inzwischen weniger am Inhalt als an den zu erreichenden Punkten pro Tätigkeit interessiert sind. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Hanappi-Egger: Ich kann leider nicht nachvollziehen, woher diese Aussage kommt. Aber generell zeigt sich meiner Meinung nach, dass Studierende sehr interessiert sind, gerade jene, die sich bewusst für ein bestimmtes Studium entschieden haben.

STANDARD: Wie könnte ein anderes Modell aussehen, das für die Universitäten gangbar ist, die Lehre aber etwas freier lässt?

Hanappi-Egger: Ich denke, dass die Möglichkeiten an Universitäten schon sehr gut sind. Die Freiheit für Studierende an Universitäten entsteht ja vor allem durch die vielen Wahlmöglichkeiten, freien Wahlfächer, Spezialisierungen und das umfassende Angebot, Auslandsaufenthalte zu absolvieren.

STANDARD: Uniko-Präsidentin Seidler hat unlängst im STANDARD das "Studieren um des Studierens willen" kritisiert. Sehen Sie das auch so?

Hanappi-Egger: Ich denke, das hängt davon ab, von welchem gesellschaftlichen Kontrakt wir ausgehen: Wenn wir annehmen, dass Universitäten Menschen bilden sollen, aber im Sinne eines ganzen Pakets, also eines Qualifikationsprofils, bedeutet das, dass Studierende auch das ganze Bündel an Lehrveranstaltungen besuchen sollen, also der Zweck eines Uni-Besuchs ein Abschluss ist. Ist man der Meinung, dass jede Absolvierung einer universitären Lehrveranstaltung schon einen Mehrwert hat, müsste man jeden einzelnen ECTS-Punkt honorieren – also auch den Unis finanziell abgelten.

STANDARD: Wissenserlangung ist doch gut ... Manche Studierende müssen einiges ausprobieren, um ihren Weg zu finden. Warum sollten sie nicht studieren um des Studierens willen?

Hanappi-Egger: Etwas auszuprobieren heißt ja nicht, nichts zu tun. Gerade an Universitäten gibt es sehr viele Angebote zur Orientierung. Die WU bietet auch während der Corona-Pandemie virtuelle Campus Days an, wo Studieninteressierte die Möglichkeit haben, sich umfassend zu informieren. Aber Universitäten können nicht alles abfangen. Es braucht auch klare Vorstellungen der Studienanfängerinnen und -anfänger, wo ihre Interessen liegen. Da sind vor allem auch Schulen gefragt.

STANDARD: Wenn wir einen Blick zurück machen in die Zeit vor Bologna: Inwiefern hat sich der Anspruch an Studierende verändert?

Hanappi-Egger: Bologna hat aus einem fünfjährigen Diplom- oder Magisterstudium ein dreijähriges Bachelor- und zweijähriges Masterstudium gemacht. Hier ging es ja vor allem darum, Studien über Landesgrenzen hinweg vergleichbarer zu machen, und den Versuch, europäische Flexibilität und Mobilität für Studierende zu ermöglichen. Unter dem damaligen Schlagwort "Employability" ist es tendenziell zu einer größeren Verschulung gekommen, das gilt es im Sinne der universitären Bildung schon zu hinterfragen. Im Vergleich zu früher gibt es mittlerweile aber auch sehr viel mehr Bemühen seitens der Unis, auf ihr Angebot aufmerksam zu machen und Studierende anzuregen, sich mit ihrer Studienwahl kritisch auseinanderzusetzen.

STANDARD: Ist es aus Ihrer Sicht richtig, dass die Leistungsansprüche höher werden?

Hanappi-Egger: Wieso höher? Schon bisher mussten Stipendienbezieherinnen und -bezieher ihren Studienerfolg nachweisen, ebenso für die Familienbeihilfe. Diese Schwelle liegt weit höher als die jetzt in der UG-Novelle festgehaltenen 24 ECTS in zwei Jahren.

STANDARD: Die Erzählung des "faulen Studenten" ist wohl schon so alt wie das System an sich. Wenn wir die vielen inaktiven Studierenden sehen – ist sie richtig? Oder was steckt Ihrer Meinung nach hinter dieser Zahl?

Hanappi-Egger: Inaktiv zu sein heißt ja nicht, faul zu sein. Vielmehr bedeutet es, dass sich Studierende, aus welchen Gründen auch immer, nicht dem Studium widmen. Und das ist angesichts des generösen öffentlich bezahlten Angebots wirklich schade.

STANDARD: Weg von den eher allgemeinen Überlegung, hin zur aktuellen politischen Realität: Die Prüfungsaktivität ist zur finanziellen Maßeinheit geworden, und dadurch wollen und müssen die Unis diese erhöhen. Ist die 24-ECTS-Grenze die richtige Maßnahme?

Hanappi-Egger: Ich sehe das als einen Schritt in die Richtung zu mehr Verbindlichkeit seitens der Studierenden, und das halte ich für legitim. Außerdem führt das neue Finanzierungsmodell schon dazu, das sich die Unis wie nie zuvor intern mit der Frage beschäftigen, woran Prüfungsinaktivität liegt, wie Studierende im Studium unterstützt werden können. Das halte ich für eine positive Entwicklung. Was natürlich nicht passieren sollte, ist, dass Universitäten allein an Prüfungsaktivität gemessen werden. Da braucht es ja auch, und daran krankt es noch in vielen Bereichen, gute Betreuungsverhältnisse. Und Innovationen, Reflexion und Diskurs benötigen Freiräume, daher auch die nötigen finanziellen Mittel abseits von Indikatorenmessungen.

STANDARD: Könnten Sie selbst entscheiden, welche Maßnahme würden Sie als Wissenschaftsministerin setzen, um die Prüfungsaktivität zu erhöhen?

Hanappi-Egger: Ich würde einem Studium als wichtigem Lebensabschnitt den Raum geben, den es braucht: also ein Vollzeitstudium. Daher bräuchte es eine echte ökonomische Absicherung der Studierenden, damit sie sich diesem intensiv widmen können. Gleichzeitig würde ich einen Teilzeitstatus einführen für jene Personen, die das aus welchen Gründen auch immer eben nicht können. (Lisa Kogelnik, 15.12.2020)