Auch an den Sonderschulen ist nun Distance-Learning möglich – ein alter Wunsch der Sonderpädagogen.

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Auch Sonderschulen können seit Freitag auf Distance-Learning umstellen. Das hat das Bildungsministerium in der Covid-19-Schulverordnung festgehalten. Nach wochenlanger Kritik der Betroffenen und der Lehrergewerkschaft habe man nun reagiert, heißt es aus dem Büro von Minister Heinz Faßmann (ÖVP) zum STANDARD.

Im ersten Lockdown waren die Sonderschulen noch geschlossen, seit November sind sie dazu verpflichtet, Präsenzunterricht durchzuführen. Die Wut der Sonderpädagogen war deshalb groß. Sie sahen eine Ungleichbehandlung zu anderen Schulen, die Schüler nur bei Bedarf der Eltern aufnehmen müssen und die Möglichkeit zum Distance-Learning haben. "Mir hat noch niemand schlüssig erklären können, warum die Ungleichbehandlung besteht", sagt Paul Kimberger (FCG), oberster Lehrergewerkschafter für die Pflichtschulen.

Sorge vor Ansteckung

"Die Sorge vor einer Ansteckung ist sehr groß, überhaupt seit den Berichten über ansteckende Virusmutationen", sagt Elisabeth Tuma, Vorsitzende des Dienststellenausschusses für allgemeine Sonderpädagogen in Wien, zum STANDARD. Sie bekomme täglich mehrere Mails und Anrufe zu dem Thema. Ihre Kolleginnen und Kollegen könnten nicht immer Masken tragen – manche Kinder seien auf nonverbale Kommunikation angewiesen. Den Schülern selbst ist in vielen Fällen eine Maske nicht zumutbar. Abstand halten ist ohnehin nicht möglich, wenn Schützlinge gewickelt und bewegt werden müssen.

Eine komplette Gleichstellung wird es nicht geben, den Wünschen der Sonderschulen und der Gewerkschaft wird dennoch entsprochen. Die Standorte können nun selbst festlegen, ob sie in einzelnen Schulstufen, Klassen oder Gruppen Präsenzunterricht anordnen wollen oder lieber auf Distance-Learning umstellen. Die Eltern können in beiden Fällen entscheiden, ob sie das Kind an die Schule schicken wollen oder nicht.

Distance-Learning bei manchen Gruppen möglich

"Die bisherige Regelung war diskriminierend und eine Ungleichbehandlung", sagt Walter Mayrhofer, Leiter der Nikolaus-Lenau-Schule in Gmunden Oberösterreich. Als im November verkündet wurde, dass die Schulen aufgrund der steigenden Infektionszahlen wieder auf Fernlehre umstellen, waren die Sonderschulen ausgenommen. Die Argumentation: Distance-Learning sei für Sonderschüler schwierig, Präsenzunterricht notwendig.

Dem widerspricht Gewerkschafter Kimberger. "Der Sonderschulbereich ist sehr divers, Distance-Learning ist für viele Kinder möglich", sagt er, selbst auch ausgebildeter Sonderschulpädaogoge, und verweist etwa auf hörbehinderte Kinder, die gerade im digitalen Bereich oft sehr versiert seien.

Keine Kinder, "die am Boden herumkugeln"

Lucia Kreisel, Leiterin der Schule für Alle in Linz, ärgert sich über die Wahrnehmung von Sonderschulen. "Da gibt es das Bild von Kindern, die am Boden herumkugeln. So ist das nicht. Unsere Schüler sind sehr verschieden. Ein Drittel unserer Kinder ist schwer behindert, ein Drittel ist lernbehindert, ein Drittel hat Probleme mit dem Verhalten." Für letztere Gruppe sei das Distance-Learning ohne Probleme möglich, versichert sie. "Im ersten Lockdown hat das sogar mit allen Kindern gut funktioniert. Selbst für schwer behinderte Kinder haben die Pädagoginnen Videos erstellt, sie waren sehr kreativ."

Wenn sie jetzt manche Schülerinnen und Schüler auf Fernlehre umstellen kann, könne sie für mehr Abstand sorgen und so das Ansteckungsrisiko reduzieren. "Das ist eine große Entlastung", sagt Kreisel, die auch Obfrau der Grünen Pädagogen in Oberösterreich ist. "Wenn es heißt, wir sollen auf Gemeindeimmobilien zugreifen, um Abstand zu schaffen, empfinde ich das als Hohn." In der Theorie klinge das gut, in der Praxis gebe es rund um ihre Schule einfach keine passenden Räumlichkeiten. "Ich kann den Fahrtendienst nicht bitten, durch ganz Linz zu fahren."

Höheres Risiko für manche Schüler

Auch Schulleiter Mayrhofer erzählt, dass es an Sonderschulen besonders schwer ist, die Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. "Die Kolleginnen können sich kaum schützen, die Schüler sind von der Maskenpflicht ausgenommen." Mit Dienstplänen versucht er, so gut es geht, Ansteckungen zu vermeiden. So wickelt und füttert etwa immer dieselbe Person dieselben Kinder. Die Pädagogen tragen FFP2-Masken, so oft es möglich ist. Zudem würde sich sein Personal "auch privat sehr einschränken", um keine Infektion in die Schule zu tragen. Schließlich gebe es auch Kinder mit schwacher Lungenfunktion, da sei die Angst vor dem Virus groß.

Ziel: Sonderschule abschaffen

Mit der neuen Regelung sind die vom STANDARD befragten Schulleiter sowie die Gewerkschaft grundsätzlich zufrieden. Von seinem Ziel ist Direktor Mayrhofer dennoch noch weit entfernt. Er fordert, die Sonderschule als Schulart abzuschaffen und für alle Kinder als allgemeine Pflichtschule zu öffnen. So könne die bestehende Expertise, die Infrastruktur und das individuelle Lernumfeld für die Kinder erhalten bleiben. "Es würde sich aber zugleich eine Vielzahl an lebensbedeutsamen Handlungsfeldern durch das gemeinsame Erleben von Schule eröffnen", sagt Mayrhofer. Österreich hat sich dazu eigentlich schon im Jahr 2008 mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. "Davon ist keine Rede mehr", sagt Mayrhofer. "Sonderschulen sind weiterhin isoliert."

Und auch die Gewerkschafter Tuma und Kimberger haben ein Anliegen: Sonderpädagogen sollen bei der Impfung gegen das Coronavirus Priorität haben. "Eine umgehende Immunisierung der Bediensteten an den Sonderschulen ist unbedingt notwendig", schreiben Tuma und ihre Kollegen in einem Brief an den Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und Bildungsdirektor Heinrich Himmer. "Je früher, desto besser", sagt auch Kimberger. So könne man die prekäre Situation des Personals entschärfen. (Lisa Kogelnik, 22.1.2021)