Sowohl bei Mietern als auch bei Vermietern von behördlich geschlossenen Lokalen liegen mittlerweile die Nerven blank.

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Tausende Mieter von Geschäftslokalen durften in den bisherigen Corona-Lockdowns nicht aufsperren oder zumindest keine Kundinnen und Kunden im Geschäft empfangen. Dass sie deswegen die Miete reduzieren dürfen, ist zwar für die allermeisten Zivilrechtsexpertinnen und -experten klar. Zahlreiche Vermieter ziehen trotzdem gegen ihre Mieter vor Gericht, weil sie nicht einsehen, dass sie dafür geradestehen müssen.

Letztlich wird die Frage vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschieden werden müssen; doch wann das sein wird, steht in den Sternen. Denn bis dato wurden entweder außergerichtliche Einigungen erzielt, oder es wurde gegen ein Urteil in erster Instanz nicht berufen.

"Anwaltlicher Rat", nicht zu berufen

Konkret gibt es erst zwei Urteile, beide vom Bezirksgericht Wien-Meidling gefällt, in beiden wurde den Mietern recht gegeben. Es kam zu keiner Berufung der Vermieterseite, die Urteile sind damit rechtskräftig. Die beiden Fälle betrafen einen Friseurbetrieb und einen Textilhändler, beiden wurde vom Gericht eine 100-prozentige Mietzinsminderung zugestanden.

Rechtsanwalt Gottfried Thiery hat in beiden Fällen jeweils die Vermieterseite vertreten. Als das erste Urteil bekannt wurde, war er über die große Resonanz erstaunt. "Es ist ja nicht üblich, dass ein Urteil eines Bezirksgerichts vom Boden- bis zum Neusiedler See auf so großes mediales Interesse stößt."

Dass es zu keiner Berufung kam, sei sein "anwaltlicher Rat" an die Vermieter gewesen, so Thiery zum STANDARD: "Es ist nicht die Aufgabe meiner Klienten, auf ihre Kosten eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen. Das ist die Aufgabe des Staates." Seine Aufgabe als Anwalt sei es, eine Prognose zu treffen darüber, wie ein Gericht in einer Sache entscheiden wird.

"Schwer verantwortungslos"

Darüber, dass es zu keiner gesetzlichen Klarstellung kam, ist er sichtlich empört. "Das ist schwer verantwortunglos", sagt er und meint damit insbesondere die Kanzlerpartei ÖVP.

Anders als die Regierung hatte sich die oppositionelle SPÖ, wie berichtet, bereits im April des Vorjahres um eine gesetzliche Regelung bemüht. Es sollte klar festgelegt werden, dass die Paragrafen 1104 und 1105 des Allgemeinen-bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) im Fall einer Pandemie anwendbar sind, dem Mieter eines nicht mehr verwendbaren Geschäftslokals also eine gänzliche (§ 1104) oder teilweise (§ 1105) Reduktion der Miete zusteht. Derzeit unternehmen die Sozialdemokraten einen neuerlichen Anlauf, die offenen Fragen zu klären.

Dass es bisher dazu nicht kam, bedauert auch Zivilrechtsprofessor Andreas Vonkilch von der Uni Innsbruck. Und er verweist auf Deutschland, wo es zu einem Eingriff des Gesetzgebers kam: Im Dezember wurde dort anlässlich eines neuerlichen Lockdowns das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) geändert; damit wurde zwar die Position gewerblicher Mieter in Verhandlungen um eine Herabsetzung der Miete gestärkt, doch auch hier bleiben noch Fragen offen, sagt Vonkilch.

"Gezielte Verkomplizierung"

Nachdem es in Österreich zu keiner solchen Klarstellung kam, sei es nun eben "der normale Lauf der Dinge", dass es bis zu einer höchstgerichtlichen Entscheidung entsprechend dauert. Allerdings: Dass die "abenteuerlichen" Rechtsmeinungen in dieser Causa nicht abreißen, sondern dass im Gegenteil "teilweise auch noch eine gezielte Verkomplizierung" betrieben werde, und diese Unsicherheit von Vermietern ausgenützt werde – diesen Eindruck hat Vonkilch schon auch.

Denn auch wenn führende Zivilrechtler wie eben Vonkilch oder OGH-Präsidentin Elisabeth Lovrek, sowie auch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) sich im Vorjahr eindeutig festgelegt hatten, dass die Mietzinsreduktion zusteht: Viele Vermieter sehen das immer noch anders.

Auch Anwalt Thiery, der die beiden Vermieter vor dem Bezirksgericht Meidling vertrat, verweist auf die zahlreichen herumschwirrenden Rechtsmeinungen, das Thema werde nicht nur in juristischen Blättern nach wie vor heiß diskutiert. "Es gab zahlreiche Gründe für die Mietzinsreduktion, aber auch gewichtige Gründe dagegen."

Sehr wenig Judikatur

Was die Sache so kompliziert macht, ist auch die Tatsache, dass es so wenig Judikatur zu den Paragraphen 1104 und 1105 ABGB gibt. Auch andere Anwälte, die nun in dieser Causa Vermieter vertreten, wie Mark Krenn von Cerha Hempel, würden deshalb gerne höchstgerichtlich geklärt haben, ob beispielsweise nicht doch Paragraf 1107 ABGB anwendbar sei, die Pandemie also ein "der Sphäre des Mieter zurechenbarer" Unglücksfall sei.

Allerdings: Auch er sagt dem STANDARD, dass er derzeit versucht, Streitfälle außergerichtlich zu lösen. Es kann also noch dauern, bis der OGH entscheiden darf.

"Der Ton wird rauer"

Einstweilen wird der Ton zwischen Mietern und Vermietern immer rauer, das nimmt jedenfalls der Wiener Rechtsanwalt Reinhard Pesek (FSM Rechtsanwälte) wahr, der sowohl Mieter als auch Vermieter in diversen Streitfällen vertritt. Es gebe derzeit, nach dem bereits dritten Lockdown, mehr Diskussionen, da merke man, dass die finanzielle Situation auf beiden Seiten angespannter wird. "Bei den Mietern sind neben den gravierenden Umsatzausfällen oft auch die Unterstützungsmaßnahmen noch nicht oder nur teilweise geflossen, und oft reichen sie auch einfach nicht aus."

Zu Mietern, die er vertritt, zählen u. a. auch Gastronomen, Einzelhändler und Beherbergungsbetriebe. Mehrere Fälle sind vor Gericht, aber noch nicht erstinstanzlich entschieden.

Kleine Vermieter machen eher Zugeständnisse

Und auch bei vielen Vermietern würden die bereits hingenommenen Mietausfälle an den Nerven zehren. Hier zeige sich aber laut Pesek, dass "kleinere Vermieter eher bereit sind zu Zugeständnissen", bei großen, institutionellen machten oft die dahinterstehenden Eigentümer Druck, "die sind fremdbestimmter, müssen Renditeerwartungen erfüllen".

Wenn er Vermieter berät, versuche er aber immer auch auf die schwierige Situation der Mieter aufmerksam zu machen, so der Anwalt. Eine Insolvenz oder eine Beendigung eines Mietvertrags helfe oft auch nicht weiter, denn es sei derzeit ja auch die Mietersuche überaus schwierig. Und so kam es auch bei ihm schon zu sehr vielen außergerichtlichen Einigungen. Denn ganz grundsätzlich sei "eine konsensuale Lösung, wenn sie fair ist, immer besser als ein jahrelanger Rechtsstreit", sagt Pesek.

Ausmaß der Unbrauchbarkeit entscheidend

Der Wiener Anwalt hat sich schon vor seiner Anwaltskarriere an der juridischen Fakultät der Uni Wien wissenschaftlich mit dem ABGB und insbesondere auch mit den nun punkto Geschäftsraummieten im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Paragrafen 1096, 1104 und 1105 beschäftigt. Auch aus dieser Erfahrung heraus sagt er: "Dem Grunde nach kann eigentlich niemand bestreiten, dass wenigstens ein Mietzinsminderungsrecht bestehen muss, wenn es ein behördliches Betretungsverbot für ein Geschäftslokal gibt."

Die Schwierigkeit sei dann aber, festzustellen, in welchem Ausmaß die Minderung schlagend werden kann. Vermieter von Gastronomen würden mitunter die gesamte Miete einfordern, weil sie darauf hinweisen, dass es ja die Möglichkeit des Take-away für Gastronomen gibt. Er habe aber auch schon eine vom Vermieter angebotene 90-prozentige Mietzinsminderung für Gastronomen erlebt. Und im ersten Lockdown habe ein Vermieter einem Mieter (einem "körpernahen Dienstleister") beispielsweise auch die halbe Miete "unaufgefordert zurücküberwiesen". (Martin Putschögl, 10.2.2021)