Wie alle anderen in Distance Learning: Die Universität Innsbruck

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Eine Umfrage der Studienberatungsstelle Innsbruck hat ergeben, dass 36 Prozent der Studierenden im Sommersemester 2020 unter Ängsten und depressiven Stimmungen litten. Laut WHO waren es 2018 im Durchschnitt noch 19 Prozent. Christian Schöpf, Leiter der Studienberatungsstelle, ärgert sich im Interview über das Bild der faulen, feiernden Studierenden: "Mir tut das weh, wenn ich so etwas höre, und dann sitze ich Studierenden gegenüber, die für zwei Jobs arbeiten, mit den Eltern Probleme haben und vereinsamen." Die geplante Uni-Reform kritisiert der Psychologe.

STANDARD: Studierende leiden vermehrt an Ängsten und depressiven Stimmungen, das zeigt auch Ihre Studie. Warum ist die Pandemie für junge Menschen so schlimm?

Schöpf: Für Studierende ist es besonders dramatisch, weil der Studienbeginn eine Lebensveränderung mit sich bringt. Sie ziehen von zu Hause aus und gehen einen Schritt in die Selbstständigkeit, sie leben in einer völlig neuen Struktur. Gerade das ist in Zeiten der Corona-Krise besonders schwierig. Vor allem Erstsemestrige sind isoliert. Das Informelle fehlt: an der Universität Fuß fassen, Kontakte knüpfen, sich austauschen. Die Spätpubertät lebt davon, sich selbst kennenzulernen, sich auszuprobieren, das ist ein gesunder Entwicklungsprozess. Das ist jetzt nicht möglich.

STANDARD: Mit welchen Problemen kommen die Studierenden derzeit zu Ihrer Beratungsstelle?

Schöpf: Es ist sehr verständlich und letztens Endes auch sehr gesund, dass sich die Krise psychisch auswirkt. Das ist mir wichtig zu betonen. Wir sind oft mit Existenzängsten konfrontiert. Fast 70 Prozent der Studierenden sind nebenbei berufstätig, um sich das Studium zu finanzieren. Das fällt für viele derzeit weg. Wir erleben in den Beratungen auch oft schmerzlich mit, wie die Studierenden mit den Eltern leiden. Sie leben vielleicht nicht mehr zu Hause, kriegen aber mit, dass die Eltern arbeitslos werden oder sich die Krise in der Familie niederschlägt – bis hin zu Gewalt.

Dazu kommt, dass die Studienbedingungen nicht gerade gut sind. Im Studentenheimzimmer haben sie fünfzehn Quadratmeter Platz. Sie stehen auf, gehen einen Meter bis zum Arbeitsplatz und besuchen dann einen ganzen oder halben Tag lang Online-Vorlesungen. Einige leiden auch darunter, dass sie nicht auf der Bibliothek lernen dürfen. Viele können sich in ihrer WG nicht konzentrieren.

STANDARD: Wie läuft die Onlinelehre? Gibt es da viele Beschwerden?

Schöpf: Es gibt viele Professoren und Lehrende, die sich sehr engagieren und sich auch mit den Online-Plattformen angefreundet haben. Ich habe schon von einigen Studierenden gehört, dass sie froh sind, weil sie nicht mehr im überfüllten Hörsaal sitzen müssen und auch in ihrem Tempo lernen können. Sie sehen sich dieselbe Sequenz eines Vortrags drei-, viermal an. Ich habe aber auch schon von Negativbeispielen gehört: Der Professor hat eine eineinhalbstündige Vorlesung gehalten und vergessen, sein Mikrofon einzuschalten. Die Studentin, die mir das erzählt hat, war eineinhalb Stunden vor dem Computer und hat gehofft, dass er es irgendwann bemerkt. Er hatte nicht einmal Augenkontakt zu den Studierenden, um zu überprüfen, dass sie alles mitbekommen. Das ist fast unglaublich.

STANDARD: Wie hilft Ihre Beratungsstelle den Studierenden?

Schöpf: Anfangs kommen sie meist mit Problemen beim Studium zu uns. Das kann Prüfungsangst sein, Aufschieben, Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen. Das sind so die Hauptsymptome. Bei uns erwarten sie sich rasche Hilfe und Unterstützung. Bei zwei oder drei Gesprächen geht es dann darum herauszufinden, was das Problem hinter dem Problem ist. Unterstützung für Lernstrategien ist meist in Form eines Workshops oder mithilfe eines vier- bis fünfstündigen Coachings erledigt. Wenn wir draufkommen, dass hinter den Lernschwierigkeiten Existenzängsten, Schuldgefühle oder Depressionen stehen, gibt es die Möglichkeit, bei uns eine Kurzzeittherapie zu machen, die bis zu ein Jahr dauern kann.

STANDARD: Solche Therapien sind sicher zeitlich aufwendig. Haben Sie dafür genug Ressourcen?

Schöpf: Wir sind hier in Tirol mit dreieinhalb Therapeutenstellen für 30.000 Studierende zuständig. Die Studienberatung ist schon seit sieben Jahren in einem Downsizing-Prozess. Die Stellen werden nicht nachbesetzt, wir fallen unter die Kosteneinsparungen bei der Verwaltung. Es gibt aber die Bestrebungen, uns personell wieder aufzurüsten. Weil man gesehen hat, wie groß die Nachfrage ist.

STANDARD: Das heißt, derzeit müssen Sie Studierende abweisen?

Schöpf: Wir hatten früher ein sehr offenes Sprechstundenmodell, bei dem Studenten zwei Stunden am Tag zu uns kommen durften. Aber wenn dann in diesen zwei Stunden zwölf Leute da sind, dann kann man nicht mehr vernünftig mit jedem Einzelnen ein Gespräch führen. Deshalb haben wir einen Online-Terminkalender, in dem jeder selbst einen Termin buchen kann. Es gibt sehr oft Studierende, die verärgert oder verzweifelt anrufen, weil die Termine sofort weg sind, wir versuchen dann, sie noch unterzubringen. Jene Studierenden, die zum Erstgespräch bei uns sind, werden alle fachlich wertschätzend betreut. Dann wird niemand mehr weggeschickt, aber über diese Schwelle reinzukommen ist schwer. Wir haben uns leider nicht mehr anders zu helfen gewusst.

STANDARD: Abgesehen von dieser Personalsituation, wie könnte die Politik die Studierenden unterstützen?

Schöpf: Erstens sollten sie öfter erwähnt werden. Ich verstehe schon, dass das mit den Schulen ein Riesenthema ist, aber auch für Studierende ist die Situation belastend. Generell sollte man an dem Bild von den faulen, feiernden Studierenden arbeiten. Mir tut das weh, wenn ich so etwas höre, und dann sitze ich Studierenden gegenüber, die für zwei Jobs arbeiten, mit den Eltern Probleme haben und vereinsamen. Sie leiden. Auch wenn sie Existenzängste bekommen, wenn sie einmal ein Semester versäumen. Gerade in dieser Krise sollte man den Druck herausnehmen und nicht durch neue Gesetze verschärfen.

STANDARD: Sie sprechen die Reform des Universitätengesetzes an. Wer ab dem Wintersemester 2022 in den ersten zwei Studienjahren weniger als 16 ECTS-Punkte absolviert, wird zwei Jahre lang für das Studium gesperrt. Warum kritisieren Sie die Novelle?

Schöpf: Es entsteht der Eindruck, dass man die Studierenden erst dazu bringen muss, fleißig zu lernen. Das stimmt nicht. Wenn Studierende keine Prüfungen ablegen, kann das viele Gründe haben. Ich traue mich zu sagen, dass es nur selten an Faulheit liegt. Aber wir kennen die Gründe nicht. Bevor so ein Gesetz beschlossen wird, sollten wir zuerst die Studierenden selbst befragen, wieso sie ECTS-Punkte absolviert haben. Diese Forschung fehlt. (Lisa Kogelnik, 21.2.2021)