Der 220.000 Tonnen schwere Frachter Ever Given in misslicher Lage.

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Der Bug der Ever Given steckte tief im Sand des Suezkanals fest – und ist damit sinnbildlich für den gesamten Welthandel. Schlepperschiffe zogen tagelang mit voller Kraft am Heck des 220.000 Tonnen schweren Frachters, um ihn aus der misslichen Lage zu befreien. Am Montag gab es mit der Freilegung die erste Erfolgsmeldung, wann die Durchfahrt wieder möglich ist, ist aber weiter unklar.

Für die durch Corona bereits strapazierte Weltwirtschaft kommt die Blockade zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Zwischenfall setzt den nächsten Tiefschlag für den globalen Warenaustausch – und das gerade in dem Moment, in dem sich globale Lieferketten langsam vom Corona-Schock erholen.

Warnung vor Lieferengpässen

Egal ob Kinderspielzeug, Autoteile oder Rohstoffe – Experten warnen längst vor neuen Lieferengpässen in der europäischen Wirtschaft. Auch die Frachtkosten steigen. Mehr als 320 Frachter stauen sich bereits auf beiden Seiten des Kanals, der jährlich von rund zwölf Prozent des weltweiten Seehandels passiert wird. Der kürzeste Umweg führt um das Kap der Guten Hoffnung – und ist um 7.000 Kilometer länger.

Die Corona-Krise und das gestrandete Schiff zeigen, wie sich eine geschlossene Fabrik in China oder ein verstopfter Kanal in Ägypten entlang der globalen Lieferketten zum Flächenbrand auswachsen können. Arbeiter in China spüren die Folgen, Konsumenten in Österreich auch. Welthandel bringt Wohlstand. Aber er bringt auch systemische Risiken, die man nicht unterschätzen sollte – gerade wenn es um die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern geht.

Großwetterlage im globalen Warenverkehr

Auf Rückenwind wartet der Welthandel inzwischen schon seit einiger Zeit. Die Großwetterlage im globalen Warenverkehr wechselt seit Jahren zwischen Gegenwind und Flaute, der verstopfte Kanal ist bloß ein weiterer Tiefpunkt. Die langsame Abkehr von der Globalisierung kommt nicht aus dem Nichts. Die Basis bereitete Donald Trumps Politik des "America first", mit der der ehemalige US-Präsident Arbeitsplätze und Industrien in den USA vor ausländischer Konkurrenz schützen wollte. Dann kamen der Aufbau neuer Handelsbarrieren durch den Brexit und ein giftiger Impfstoffnationalismus, der zu Exportbeschränkungen für ein weltweit knappes, aber lebenswichtiges Gut führte. Es gibt es genügend Belege dafür, dass dem globalisierten Handel die politischen Fürsprecher abhandenkommen.

Selbst Minister einer als wirtschaftsfreundlich bekannten ÖVP treten offen für mehr Regionalisierung ein. Lieferkettengesetze sollen zudem soziale und ökologische Standards schaffen, auch das bringt neue Hürden für den Handel.

Wandel des Welthandels

Es wäre falsch, die Globalisierung wegen der jüngsten Rückschläge totzusagen. Mit Afrika wartet ein ganzer Kontinent darauf, Teil globaler Warenströme zu werden. Fest steht aber: Der Welthandel wandelt sich. Der Rückenwind mag wieder aufziehen, aber die See bleibt rau.

Das Dogma vom freien Handel verliert immer mehr an Anziehungskraft. Etwa für Versorgungssicherheit, Klimaschutz oder den Erhalt sensibler Branchen sind Handelsschranken längst zum beliebten Instrument geworden. Die Covid-Pandemie hat einmal mehr aufgezeigt, dass der freie Handel wortwörtlich an Grenzen stößt, wenn es kriselt. Das Frachtschiff in Ägypten verdeutlicht, wie viel Sand tatsächlich im Getriebe steckt. (Aloysius Widmann, 29.3.2021)