Ludwig und Doskozil waren einander schon einmal näher. Der Burgenländer zieht sich aus der Bundespartei zurück. Der Wiener bleibt auf SPÖ-Linie.

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Immer wieder aufs Neue hat man sich in der SPÖ vorgenommen, internen Dissens nicht auf offener Bühne auszutragen. Und immer wieder aufs Neue ist dieses Vorhaben gescheitert – zuletzt am Montag, als Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) seine jüngste Entscheidung bekanntgegeben hatte. In einem Brief an das rote Präsidium, der prompt auch an die Medien gelangt ist und auch dem STANDARD vorliegt, gab Doskozil bekannt, dass er am 26. Juni beim Bundesparteitag nicht mehr als Stellvertreter von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kandidieren werde.

Seinen Schritt begründet Doskozil unter anderem damit, dass die SPÖ aus seiner Sicht zu sehr auf restriktive Maßnahmen in der Corona-Krise beharre. Er sei der Überzeugung, dass die Menschen eine Perspektive brauchen. "Ich will nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe, dass uns in den vergangenen Monaten die Balance zwischen Gesundheit und Gesellschaft als SPÖ oft schwergefallen ist." Um "die ständige mediale Diskussion" zu beenden, ziehe er sich zurück – "ohne jeden Groll" und "um die SPÖ aus dem Dauerfeuer" zu nehmen.

No Comment

Offiziell reagierte man in der Bundespartei auf die jüngste Kapriole von Doskozil vorerst verhalten. SPÖ-Chefin Rendi-Wagner wollte auf Anfrage zu seiner Entscheidung vorerst nicht Stellung nehmen. Hörbar war man auch in der Parteizentrale in der Löwelstraße um Gelassenheit bemüht. Der rote Kommunikationschef Stefan Hirsch erklärte im Gespräch mit dem STANDARD kurz und knapp, dass im Zuge des Bundesparteitages die Stellvertreter von Rendi-Wagner ohnehin von 17 auf sechs reduziert werden sollen – "auch der Vorstand wird da verkleinert".

Auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser wollte sich zum Ausstieg Doskozils aus der Bundes-SPÖ "nicht äußern". Der steirische SPÖ-Vorsitzende Anton Lang sagte nur: "Wir stehen in ganz Österreich vor riesigen Herausforderungen. Es gilt nun, alles daranzusetzen, die Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen, und nicht darum, Personaldiskussionen innerhalb der SPÖ zu führen."

Hinter vorgehaltener Hand ätzt aber so mancher Genosse angesichts des Abschieds von Doskozil aus der Bundespartei: "Wann hat er jemals etwas gesagt oder getan, das der SPÖ wirklich nutzen würde?" Und: "Es war ohnehin mehr als fraglich, ob er noch einmal als Parteivize bestätigt wird."

Amikales Telefonat

Im Burgenland legt man hingegen Wert darauf, der Parteivorsitzenden den Brief nicht einfach nur wortlos geschickt zu haben. "Es hat natürlich vorher ein amikales Telefonat gegeben", heißt es im Landeshauptmannbüro, "in dem wir dieses Schreiben angekündigt haben." Man hört anderweitig aber auch, dass nun Richtung Parteitag es eine Zuspitzung geben werde. "Der Chef", sagt einer aus der Führungsmannschaft der pannonischen SPÖ, "drängt darauf, sich im Hinblick auf die Zeit nach der Pandemie auf die sozialdemokratischen Kernkompetenzen zu konzentrieren und entsprechend aufzustellen." Da sei er sich im Übrigen auch mit dem Wiener Bürgermeister einig.

Roland Fürst, burgenländischer Landesgeschäftsführer, erzählt dem STANDARD, dass sich viele Funktionäre bei ihm gemeldet hätten, "die es satthaben, ausgerichtet zu bekommen, sie wären gar keine Sozialdemokraten". Man habe den Brief "rechtzeitig vorm Bundesparteivorstand" geschrieben, damit es dann nicht heiße, "das Burgenland schießt quer, denn auch diesen Vorwurf haben die Funktionäre satt".

Entscheidung zur Unzeit

Das Vorgehen von Doskozil komme "zur Unzeit", analysiert Politikexperte Thomas Hofer – und sei neuerlich "eine Gefahr für das Erscheinungsbild der SPÖ, wenn nur noch zwei ihrer drei Landeshauptleute die Linie der SPÖ im Kampf gegen die Pandemie mittragen. "In diese Probleme" werde sich die Kanzlerpartei ÖVP "genüsslich vertiefen", prophezeit Hofer. Dennoch gelte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig als der neue starke Mann in der SPÖ.

Denn schon seit geraumer Zeit ist Doskozil wegen seines Zickzackkurses in Sachen Corona in der SPÖ in Verruf: Noch im März drängte er darauf, die Thermenhotels zu öffnen, und konnte nur mühsam von einem Ost-Lockdown überzeugt werden. Zuletzt war Ludwig wieder verstimmt, weil Doskozil im Alleingang den Lockdown im Osten für sein Burgenland als beendet erklärte. Solidarität, sagte Ludwig dazu, habe Doskozil offenbar vor allem mit dem auf Öffnungen pochenden Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gezeigt.

Ludwig bleibt auf Linie

Und auch jetzt, wo der Bund pauschal Öffnungen ab dem 19. Mai plant, beharrt Ludwig auf seine bedachtere Linie. Nach wochenlangem Lockdown in der Bundeshauptstadt verkündet er am Dienstag, auf welche behutsamen Öffnungsschritte sich die zwei Millionen Einwohner unter seiner Ägide einstellen können – Restösterreich hin oder her.

Schon am Freitag warnte Ludwig die türkis-grünen Koalitionäre über alle Stadtgrenzen hinweg gut vernehmbar vor einem allzu riskanten Öffnen in Bausch und Bogen. Doch Kurz und Co versicherten, das Infektionsgeschehen auch bei offener Gastronomie und Hotellerie sowie unter Zulassung von Kultur- und Sportveranstaltungen bereits knapp nach der nächsten Monatsmitte unter Kontrolle halten zu können – schließlich werde jetzt ja gegen das Coronavirus geimpft, was das Zeug hält, lautete ein Argument.

Beratungen mit Experten

Gemeinsam mit SPÖ-Chefin Rendi-Wagner wagt es Ludwig, trotz sonniger Frühlingstage dem Corona-geplagten Volk zu seiner eigenen Sicherheit noch Einschränkungen zuzumuten: Während der Bund bald sogar bis zu 1500 getestete, genesene oder geimpfte Besucher bei Indoorveranstaltungen zulassen will, beriet sich Wiens Bürgermeister zu Wochenbeginn erneut mit hochkarätigen Experten, ob man etwa nebst den Schanigärten überhaupt die Innenräume der Wiener Gaststätten wieder für Speis und Trank öffnen könne. Nach Eigenbekunden hält der Stadtchef nämlich gar nichts davon, dass die Politik jetzt mit überhasteten populären Maßnahmen auch über den Sommer auf "ein Aufsperren-Zusperren-Aufsperren-Zusperren" zusteuere.

Der Bürgermeister hört deswegen lieber auf Fachleute. Neben dem städtischen Krisenstab, der noch immer täglich tagt und Stadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf dem Laufenden hält, stimmt sich Ludwig mit einer eigenen Gruppe an Experten ab. Unter ihnen der Intensivmediziner Thomas Staudinger, der Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter, Pneumologin Sylvia Hartl, Infektiologe Christoph Wenisch und die Gynäkologin Barbara Maier. Sie geben Ludwig einen Überblick über die Lage an den Spitälern, die über die Intensivstationszahlen hinausgehe. Zuletzt zu der Runde der Bürgermeisterberater dazugestoßen ist Komplexitätsforscher Peter Klimek, den die Sorge um unberechenbare Virusmutationen umtreibt.

Telefonate auch am Wochenende

Dazu stimmt sich das mächtige Stadtoberhaupt rund um Corona regelmäßig mit Rendi-Wagner, selbst auf Infektionen spezialisiert, ab – und zwar "auch außerhalb der Dienstzeiten und am Wochenende", wie es in der Bundes-SPÖ heißt. Rendi-Wagner selbst sagt dazu im Gespräch mit dem STANDARD: "Der Wiener Bürgermeister verspricht nichts, was er nicht halten kann – im Gegenteil: Er tut das, was leider notwendig ist, um die Gesundheit der Menschen zu schützen, auch wenn die Stimmung eine andere ist."

Gut möglich, dass auch dieses neue einvernehmliche Vorgehen Doskozil enerviert hat – auch wenn davon in seinem Brief freilich keine Zeile zu lesen ist. (Oona Kroisleitner, Walter Müller, Nina Weißensteiner, Wolfgang Weisgram, 27.4.2021)